Im Namen des Gesetzes

Die Initiative Deutschplus übersetzt das Grundgesetz in den Alltag von Jugendlichen – und macht es so wieder lebendig.

Von Sascha Kirchner
Veröffentlicht am 26. Okt. 2018, 06:00 MESZ
Foto von DeutschPlus

Vor den hohen Fenstern eines Altbaus in Berlin-Kreuzberg steht Van Bo Le-Mentzel vor einem Dutzend Jugendlichen und sagt: „Das Grundgesetz ist die Mutter aller Gesetze. Es ist ein Best of aus Bibel, Koran und meinen Lieblingscomics.“ Mit diesem gut gelaunten Bekenntnis zur deutschen Verfassung eröffnet der Architekt mit laotischen Wurzeln die House of Rights Academy (kurz: „Hooray“) – ein Ferienprogramm, an dem Schüler zwischen 14 und 18 Jahren teilnehmen.

Im Stadtteilzentrum Alte Feuerwache hören ihm auch die Brüder
Marouan und Adham in ihren Kapuzenshirts zu. Sie wissen noch nicht so
recht, was sie erwartet. Doch als der Projektgestalter Le-Mentzel die Grund
rechte in „19 demokratische Spielregeln“ übersetzt, horchen sie auf. 
Denn aus Artikel 1 des Grundgesetzes
wird der anschauliche Satz: „Jeder
 Mensch verdient Respekt.“ Lässt sich 
die in Artikel 4 garantierte Religionsfreiheit nicht auch mit „Unsere Gedanken sind frei“ interpretieren? Als es um den Satz „Eigentum verpflichtet“ in Artikel 14 geht, nickt Yasmina mit ihrem leuchtend roten Kopftuch: „Wir sollten alles teilen, was wir teilen können.“ Auf einmal hat das abstrakte Grundgesetz ziemlich viel mit dem Leben von Teenagern zu tun.„Über Grundrechte zu diskutieren wird sehr schnell konkret und persönlich“, sagt Farhad Dilmaghani, Mitgründer und Vorsitzender von „DeutschPlus – Initiative für eine plurale Republik“ und Organisator der „Hooray“-Woche. Wir alle seien deutsch plus etwas anderes, hätten eine komplexe Identität, die man nicht auf die Herkunft reduzieren könne, erklärt Dilmaghani.

“Über Grundrechte zu diskutieren wird schnell konkret und persönlich.”

DeutschPlus will vor allem junge Menschen mit Migrationshintergrund ermutigen, sich politisch zu engagieren, indem sie sich mit den demokratischen Werten der Verfassung identifizieren – und sich so stärker zugehörig fühlen. Über den Verein und seine verschiedenen Projekte sagt Dilmaghani: „Wir haben eine grassroots credibility, sind aber auch anschlussfähig für politische Institutionen.“ Die Initiative hat bereits Gewicht in der Öffentlichkeit: Auf dem letzten Integrationsgipfel durfte Dilmaghani an prominenter Stelle für die Belange von Zuwanderern eintreten.

Wer mit Jugendlichen über ihre Wünsche und Rechte reden will, braucht genau das: credibility, Glaubwürdigkeit. Die besitzen die „Hooray“-Dozenten wie etwa Mamoun Yaacoubi, ein „Grundgesetz-Coach“, der in seinem Workshop gesteht, er sei „keinen geraden Weg gegangen“ – er wuchs im Umfeld der berüchtigten Rütli-Schule in Berlin- Neukölln auf. Yaacoubi fragt die Jugendlichen, was ihnen wichtig sei. Einer antwortet: „Wenn ich andere respektiere, dann respektieren sie auch mich.“ Schon redet man über Würde und Toleranz.

Es geht hier aber nicht nur um große Begriffe, sondern auch um Talentförderung – die „Hooray“ soll Spaß machen. Der Musiker Kays Elbeli erklärt, wie man mithilfe von Lunge, Zähnen und Zunge ein Schlagzeug imitiert. Er zaubert im Nu eine ganze Band herbei. Die Bässe wummern, eine Trompete hat ein fulminantes Solo. „Beatboxing“ heißt das, und einige der Teilnehmer sind gleich dabei. Elbeli wirft die Hände in die Luft und ruft: „Macht einen Sound wie Donald Duck!“ Sogar der schüchterne Ibrahim traut sich. Szenenapplaus. Der Profi jubelt: „Super, genau so! Und jetzt die Ladys!“

Gleich zu Beginn der „Hooray“ zeigt sich: Wer junge Menschen auf Basis ihrer Rechte ernst nimmt, kann darauf hoffen, dass sie sich in unserer Einwanderungsgesellschaft für Veränderung einsetzen. Farhad Dilmaghani bekräftigt: „Das Grundgesetz ist lebendig. Wir haben bloß vergessen, uns darauf zu berufen und zu sagen: Wir wollen dafür kämpfen.“

 

Dieser Artikel stammt aus Heft 11/2018 des National Geographic-Magazins. Jetzt ein Abo abschließen!

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