Die letzten Stimmen des Zweiten Weltkriegs: Betty Webb

Jahrzehnte sollten vergehen, bis die Bletchley-Park-Veteranen über ihre Tätigkeit während des Krieges sprechen durften.

Von Roff Smith
Veröffentlicht am 30. Juli 2020, 09:54 MESZ
BETTY WEBB. Britischer Geheimdienst.

Webb, heute 97, war 18, als sie in Bletchley Park, Großbritanniens streng geheimer ...

BETTY WEBB. Britischer Geheimdienst.

Webb, heute 97, war 18, als sie in Bletchley Park, Großbritanniens streng geheimer Codeknacker-Zentrale, zu arbeiten begann. Die deutsche Führungsriege glaubte, dass die von ihren Enigma-Maschinen verschlüsselten Nachrichten buchstäblich nicht zu entschlüsseln waren. Die Bletchley-Mitarbeiter bewiesen das Gegenteil.

Foto von National Geographic

Betty Webb zeigt mit ihrem Gehstock auf einen Raum im Parterre des Herrenhauses von Bletchley Park, Großbritanniens legendärer, streng geheimer Codeknacker-Zentrale während des Zweiten Weltkriegs. Durch das Erkerfenster sieht man einen wuchtigen Tisch.

„Dahinter saß ein ranghoher Geheimdienstoffizier“, erzählt sie. „Und ich erinnere mich daran, dass eine Waffe wie beiläufig neben ihm lag, gleich da, wo jetzt die Kaffeetasse steht. Man sagte mir, ich solle unterschreiben, und machte mir unmissverständlich klar, dass ich niemals mit irgendjemandem über meine Arbeit hier sprechen dürfte. Ich war damals 18.“

Es war das Jahr 1941. Großbritannien befand sich im Krieg. Deutsche Truppen hatten bereits einen großen Teil Europas überrannt. Webb hatte einen Hauswirtschaftskurs absolviert, sich dann aber dem Auxiliary Territorial Service angeschlossen – der Frauenabteilung der Armee. „Ich wollte mehr für unseren Sieg tun, als Würstchen im Schlafrock zu backen.“ Und das konnte sie, denn die junge Frau war zweisprachig – sie war mit einem deutschen Kindermädchen aufgewachsen und als Austauschschülerin in Deutschland gewesen. Also wurde sie nach Bletchley beordert, etwa eine Stunde nördlich von London. „Das Ganze war so geheim, dass ich keine blasse Ahnung hatte, worauf ich mich da einließ.“

Zunächst musste sie Tausende von verschlüsselten deutschen Funksprüchen katalogisieren, die britische Abhörstationen tagtäglich abfingen. Später bekam sie eine kreativere Aufgabe: wertvolle Informationsschnipsel, die von den Codeknackern gesammelt wurden, umschreiben, damit niemand den Verdacht schöpfte, sie könnten von entschlüsselten Codes stammen.

„Es sollte so klingen, als kämen die Informationen von Spionen, aus gestohlenen Dokumenten oder von der Luftaufklärung“, sagt sie. „Die Tatsache, dass wir deutsche und japanische Militärcodes geknackt hatten, war ein streng gehütetes Geheimnis, von dem nur sehr wenige Menschen wussten.“

Webb mochte die Arbeit. „Mir gefiel diese ganze Hinterlist“, sagt sie lächelnd. Sie war so gut im Paraphrasieren der Nachrichten, dass man sie im Juni 1945, als der Krieg in Europa zu Ende war, nach Washington schickte, um den Amerikanern im Pazifikkrieg zu helfen. „Ich bin mit einem Flugboot hingeflogen“, erinnert sie sich. „Da saß ich überhaupt das erste Mal in einem Flugzeug.“

Es sollte Jahrzehnte dauern, bis die Bletchley-Spezialisten über ihre Arbeit während des Krieges sprechen durften. „Meine beiden Eltern waren da schon gestorben, daher haben sie es nie erfah- ren“, bedauert sie. „Diese ganze Geheimhaltung machte es schwer, nach dem Krieg einen Job zu finden, da man den Arbeitgebern nichts über seine Kriegsjahre erzählen durfte.“

Webb fand schließlich eine Stelle an einer Schule, deren Direktor ebenfalls in Bletchley gearbeitet hatte. „Ich kannte ihn damals nicht“, sagt sie. „Aber als er in meiner Bewerbung sah, dass ich auch in Bletchley war, gab es nichts mehr zu fragen, nichts mehr zu sagen. Ich bekam den Job.“

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