Gendern: Eine Chance für die Gleichberechtigung oder nur sinnlose Sternchen?

Das Thema Gendern ist in aller Munde, der Diskurs polarisiert: Mancherorts von der Politik verboten, anderenorts als Sprachzwang verstanden und gefürchtet. Doch was steckt hinter dem Gendern und ist Kritik gerechtfertigt?

Von Sarah Langer
Veröffentlicht am 7. März 2024, 11:42 MEZ
Gendern:  Eine Chance für die Gleichberechtigung oder nur sinnlose Sternchen?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um zu Gendern, wie beispielsweise das Binnen-I. 

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Der Diskurs über das Gendern wird öffentlich wie privat bisweilen hitzig geführt. Neben viel Emotion werden wissenschaftliche Erkenntnisse allerdings oftmals außen vorgelassen. Dabei bräuchte es diese dringend, findet Prof. Dr. Carolin Müller-Spitzer, Leiterin des Projekts „Empirische Genderlinguistik“ der Abteilung „Lexik" des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache. Um die Diskussion über das Gendern und ihren Ursprung zu verstehen, müsse zum Beispiel der sprachliche Hintergrund zuerst genauer betrachtet werden: „Mit unserer Wortwahl, der Sprechgeschwindigkeit oder Tonalität senden wir Signale an unser Gegenüber. Eine inklusive Sprache ist dabei auch ein Akt der Höflichkeit oder eine Form von Respektkommunikation. So können Menschen mit der Verwendung genderinklusiver Sprache ausdrücken, dass sie Geschlechtergerechtigkeit für wichtig erachten“, erklärt Müller-Spitzer. Es gehe also nicht um eine zwanghafte Erneuerung der Sprache, sondern um ein offenes und tolerantes Miteinander. 

Gendern ist eine respektvolle Art der Sprache

Geschlechtergerechtigkeit spielt auch in anderen Lebensbereichen eine immer größere Rolle, zum Beispiel bei gleicher Bezahlung oder Care Arbeit. Das Gendern ist damit eine sprachliche Ausdrucksform des gesellschaftlichen Wandels. Das generische Maskulinum soll angepasst werden, indem das Femininum verwendet wird, wenn Frauen gemeint sind und neutrale Varianten oder Doppelformen genutzt werden, wenn von einer gemischten Gruppe gesprochen wird. Denn Personenbezeichnungen werden im Deutschen bisher oft nur im Maskulinum verwendet. Auch dann, wenn eigentlich Frauen (mit)gemeint sind. Das soll durch Genderformen wie dem Stern (Autofahrer*innen), einem Doppelpunkt (Autofahrer:innen) oder dem Gender Gap (Autofahrer_innen) verändert werden, um die Wahrnehmung für andere Geschlechter zu vergrößern. Der Genderstern und der Doppelpunkt sind mittlerweile die am meisten genutzten Optionen. 

Mit dem Genderstern kann man auch nonbinäre Personen miteinbeziehen. 

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Neu ist diese Bewegung allerdings nicht. Schon in den 1970er und 1980er Jahren beschäftigte sich die feministische Linguistik mit den Auswirkungen von Sprache auf die Wahrnehmung von Geschlechtern. „Frauen werden sprachlich wie real ausgegrenzt“, so Heidrun Deborah Kämper, Professorin für Germanistik am Institut für Deutsche Sprache gegenüber dem Deutschlandfunk. „Je nachdem, wie ich mich auf die Wirklichkeit beziehe, lenke ich die Wahrnehmung - so wie ich die Wirklichkeit sehe -, meiner Kommunikationspartner.“ Das generische Maskulinum führe zu einer Unterrepräsentation von Frauen in der Sprache – und somit auch in der Gesellschaft. Nicht nur Frauen sind betroffen, sondern auch Menschen mit anderen Geschlechteridentitäten. Eine sprachliche Veränderung könnte also die Repräsentation und die Wahrnehmung von Gruppen verändern. Doch wie sieht das in der Praxis aus?

Automatisierte Prozesse des Sprachverstehens machen Gendern nötig

Eine Studie der Technischen Universität Darmstadt und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) zeigte deutlich, dass das generische Maskulin nicht als generisch verstanden wird. Bei einer Umfrage wurden 344 Teilnehmenden ein Fragebogen ausgehändigt. Einer enthielt das generische Maskulinum („Nennen Sie drei Politiker“), die anderen enthielten eine von drei geschlechtergerechten Optionen: Die Doppelnennung (Politiker und Politikerinnen), das Binnen-I (PolitikerInnen) oder den Genderstern (Politiker*innen). Das generische Maskulinum erzeugte hierbei einen eindeutigen Male Bias (männerzentrierte Interpretation von Lebenszusammenhängen und Sozialisationsbedingungen). Wenn mit Personenbezeichnungen Frauen und Männer gleichermaßen gemeint seien, sei es aus psychologischer Sicht klar, dass geschlechterinklusive Sprachformen verwendet werden müssten, so Professor Tobias Richter, Inhaber des Lehrstuhls Psychologie IV an der JM. Die Studie wurde in leicht abgewandelter Form schon vor 20 Jahren durchgeführt – mit dem gleichen Ergebnis. „Das deutet darauf hin, dass Prozesse des Sprachverstehens so stark automatisiert sind, dass die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 20 Jahre keinen Einfluss darauf haben“, erklärt Nina Keith von der TU Darmstadt. 

Demnach hat das Gendern eine wirkliche Bedeutung für die Sprache und die Wahrnehmung. Doch wie sieht die Gesellschaft die Notwendigkeit für geschlechtergerechte Sprache? An einer Studie des Augsburger Instituts für Generationenforschung nahmen 2398 Menschen zwischen 16 und 71 Jahren teil. 46 Prozent fanden das Gendern wichtig, 43 unwichtig, 11 Prozent waren neutral. Während Personen über 50 Jahren weniger Verständnis zeigten, waren Personen unter 50 offener. Auch der Genderstern, der ebenfalls nonbinäre Personen einschließt, wird von jüngeren Personen besser angenommen als von älteren. Insgesamt fanden 61 Prozent aller Männer das Gendern unwichtig, während es bei Frauen nur 38 Prozent waren. „Die Gruppe mit den meisten Gender-Befürworter:innen ist weiblich, lebt in Westdeutschland, hat einen Hochschulabschluss und ist zwischen 30 und 45 Jahre alt“, sagt Studienleiter Rüdiger Maas. 

Im Austausch wird deutlich, dass vor allem Gendergegner*innen hart mit dem sozial motivierten Sprachwandel in Gericht gehen. In Sachsen wurde das Gendern an Schulen und auch für Kooperationspartner*innen der Schule verboten. In Bayern soll ein Verbot kommen: „Mit uns wird es kein verpflichtendes Gendern geben, im Gegenteil: Wir werden das Gendern in Schule und Verwaltung sogar untersagen“, kündigte Ministerpräsident Markus Söder im Dezember 2023 an. 

BELIEBT

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    Auch die neutrale Form, wie hier Radfahrende, kann eine Möglichkeit sein, um alle Geschlechter einzubeziehen. 

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    Dass sich Sprache ändert, wenn sich die Konventionen ändern, hat die Geschichte bereits oft gezeigt: „Geil“ sei schon im Mittelalter benutzt worden, galt dann für einige Zeit als obszön und wurde nur im sexuellen Kontext genutzt, mittlerweile habe es wieder mehr in den Sprachgebrauch zurückgefunden. In der Original-Lutherbibel steht beispielsweise: „Da Jakob aber fett und satt ward, ward er geil.“ Geil habe damals so viel wie übermütig oder ausgelassen bedeutet, erklärt der emeritierte Linguist Rudi Keller.

    Genau deshalb solle Sprache nicht vorgegeben werden, findet Sprachwissenschaftlerin Müller-Spitzer. „Es ist ein Eingriff in die sprachliche Identität, keine Frage der Grammatik.“ Es gehe vor allem auch in Schulen nicht darum, Gendern zu unterrichten, sondern es zu tolerieren. 

    „Wenn zum Beispiel der Vorsitzende des Vereins Deutsche Sprache im "Spiegel" betont, dass sein Mailprogramm automatisch alle Nachrichten mit Genderstern in den Spam einsortiert und er als Professor die Annahme von Studienarbeiten mit Genderstern ablehnt, ist dies genauso ein Eingriff in die sprachliche Freiheit, wie für fehlendes Gendern in Studienarbeiten Punktabzug zu geben. Sprachliche Autonomie und gegenseitige Toleranz wären hier sinnvollere Alternativen. Die sprachliche Welt geht vom aktuellen Wandel nicht unter. Was "korrekt" oder "richtig" ist, steht nicht auf alle Zeiten fest und ist – und war nie – für alle Sprachteilnehmer*innen gleich, sondern muss in vielfältiger Weise immer wieder neu erarbeitet werden“, schreibt Carolin Müller-Spitzer in einem Artikel für die Bundeszentrale für politische Bildung. 

    Ähnlich sieht es auch das Leibniz Institut für Deutsche Sprache: „Die sprachliche Freiheit sollte uns ein hohes Gut sein. Die Forderung beispielsweise, der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse das Gendern unterlassen, läuft diesem Freiheitsgedanken gerade zuwider.“. Stattdessen solle man akzeptieren, mit Sprachformen konfrontiert zu werden, die nicht die sind, die man selber präferiere. „Dies ist eine Form von Toleranz, die man in einer pluralistischen Gesellschaft erwarten können sollte.“, ergänzt Müller-Spitzer. Wichtig zu betonen ist ihr jedoch auch, dass Gendern allein keine Geschlechtergleichheit herstellen könne. „Es handelt sich dabei um eine von vielen Stellschrauben, die gedreht werden müssen. Doch jede dieser Schrauben ist wichtig, um eine Veränderung herbeizuführen.“ 

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