Das Ende der Ehe? Zukunftsaussichten einer alten Institution

Die Ehe gilt als Antwort auf gesellschaftliche Bedürfnisse. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt ihre Verbindung zum Patriarchat - und potenzielle Wege in die Zukunft.

Von Sarah Langer
Veröffentlicht am 4. Apr. 2024, 18:11 MESZ
Das Ende der Ehe? Zukunftsaussichten einer alten Institution

Eine Scheidung wurde lange Zeit nicht einmal in Betracht gezogen – obwohl es die Paare manchmal glücklicher machen kann

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Die Ehe gilt in unserer Gesellschaft als Heiliger Gral der Beziehungen. Ein Leben lang arbeiten Männer und Frauen darauf hin, einen geeigneten Partner zu finden, sich auf ewig zu binden und eine Familie zu gründen. Das Statistische Bundesamt bestätigt das: „Nach vorläufigen Angaben haben 2022 rund 390 800 Paare geheiratet“. Damit bleiben die Zahlen der Eheschließungen mehr oder minder konstant, seit Anfang der 90er Jahre. Die Ehe scheint das Zeichen der großen Liebe, der Verbindung und Hingabe zweier Personen zu sein, sie ist sogar im Grundgesetz verankert (Artikel 6 Absatz 1): „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung".

Es gibt jedoch auch Kritik an dem Konstrukt. Autorin, Aktivistin und Politologin Emilia Roig plädiert dafür, die Ehe abzuschaffen, worüber sie in ihrem Buch „Das Ende der Ehe“ schreibt. Die Ehe sei ein patriarchales Konstrukt, die der Unterdrückung der Frau diene, so die gebürtige Französin. Die Entstehung und Bedeutung der Ehe als förmliche Verbindung zweier oder mehrerer Personen hing im Laufe der Geschichte vom gesellschaftlichen und kulturellen Rahmen ab und variiert bis heute stark.

Forschende denken, dass die Menschheit nicht immer monogam war

Wenn auch nicht empirisch belegt, gehen Sozialevolutionist*innen davon aus, dass sich die Menschheit von der Promiskuität (mehr als ein*e Sexualpartner*in), über die Gruppenehe und Polygamie (Vielehe) zur Monogamie entwickelt hat. Als Friedens- und Bündnisvertrag diente die Installierung der Ehe der Interessenssicherung von Einzelpersonen, religiösen und weltlichen Eliten oder der Gemeinschaft und Gesellschaft. Bereits die ältesten erhaltenen Gesetzestexte enthalten Regelungen zur Ehe: So gibt es im Codex Hammurapi (18. Jahrhundert vor Christus) 69 Bestimmungen zum Ehe- und Familienrecht der babylonischen Ehe, die im Grundsatz patriarchal und monogam, sowie juristisch ein Kaufvertrag war.

Auch noch im mittelalterlichen Europa wurden Frauen von ihrer Sippe an die Familie des Mannes übergeben, welche eine Ablösesumme, den sogenannten Muntschatz zahlte, welcher später auch als Witwenrente galt und somit die Frau finanziell absicherte. Ein Mitspracherecht hatte die Frau bei der Wahl ihres Gatten nicht. Die Höhe der Summe dieser Ablöse lässt annehmen, dass die sogenannte Muntehe nur für den höheren Stand gedacht war. Für andere Schichten gab es hingegen die Friedelehe, die auch neben der Muntehe bestehen konnte, Frauen jedoch nicht absicherte. 

Daneben existierte bis ins Frühmittelalter die Kebsehe (mhd.: Kebse bedeutet Nebenfrau), bei der ein freier Mann seine Leibeigenen, also Sklavinnen oder Dienerinnen, jederzeit zum Sex zwingen oder sogar heiraten konnte. Kinder aus solch einem Kebsverhältnis waren nicht erbberechtigt, der Vater konnte ihnen aber die Freiheit schenken. Im 10. Jahrhundert n. Chr. ging die Kirche gegen die Kebsehe vor, sie wurde weitestgehend verboten und die Monogamie zog ein. 

Der Hochzeitstag: Für viele Paare als der glücklichste Tag des Lebens bezeichnet

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Ehepaare hatten nun zwar mehr Mitspracherecht bei der Wahl ihrer Partner*innen, ein Zusammenleben oder Intimität ohne eine Eheschließung wurde jedoch geahndet. Im frühen 13. Jahrhundert hatte die Kirche ihr eigenes Eherecht formuliert, was die Hochzeit zu einer rein kirchlichen Angelegenheit machte, die nur durch einen Priester vollzogen werden konnte. 1530 stieß Martin Luther an, dass die Eheschließung von weltlichen Autoritäten übernommen werden sollten, doch die Kirche weigerte sich. Erst mit der Französischen Revolution konnte die Ziviltrauung eingeführt werden, ohne deren Vorangehen Geistliche keine kirchlichen Trauungen mehr durchführen durften. 

Drei spannende Entwicklungen der Ehe über die Zeit

  • Über die Jahre hat sich die Ehe weiterentwickelt, vieles ist jedoch auch gleichgeblieben. Bei den Germanen war die Ehe offiziell anerkannt, wenn das neue Ehepaar den Beischlaf vollzog. Währenddessen waren Zeugen anwesend, die den Raum erst verließen, nachdem sie eine Decke über dem Ehepaar ausgebreitet hatten.
  • Die „Wilde Ehe“, ein Zusammenleben eines Pärchens ohne einer Heirat, wurde bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts abwertend beäugt und war in den 70er Jahren sogar noch unsittlich, wie ein Spiegel Artikel aus dem Jahr 1979 zeigt.
  • In Südafrika dürfen bis heute nur Männer eine Ehe mit mehreren Frauen führen. Ein neuer Gesetzesentwurf soll dies nun ändern und auch Frauen die Mehrehe erlauben und somit dem Patriarchat entgegenwirken.

Mit der Entwicklung hin zur Monogamie in der Beziehung zwischen Mann und Frau war die Ehe aus rechtlichen und gesellschaftlichen Gründen notwendig. Jedoch hat sie sich seitdem kaum verändert. Zwar wurde am 3. Mai 1957 im Deutschen Bundestag das Gleichberechtigungsgesetz als „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts“ beschlossen, doch gleichberechtigt sei die Ehe trotzdem nicht, findet die französische Autorin und Aktivistin Emilia Roig. „Die Entstehungsgeschichte und die Grundlage der Ehe ist das Patriarchat. Damit basiert sie auf dem Konzept von Besitz und Kontrolle der Frauen. Man könnte meinen, das ist lange her und heute ist die Ehe etwas anderes – das stimmt aber nicht! Die Institution ist die gleiche.“ 

BELIEBT

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    Die französische Autorin und Aktivistin fordert ein Ende der Ehe

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    Auch die gesellschaftliche Betrachtung der Ehe sei weitestgehend gleichgeblieben. Vor allem unbezahlte Care-Arbeit spiele dabei eine große Rolle: Das Versorgen der Kinder, Einkauf, Putzen - laut dem Statistischen Bundesamt haben „Frauen in Deutschland im Jahr 2022 pro Woche durchschnittlich rund 9 Stunden mehr unbezahlte Arbeit geleistet als Männer, das entspricht 1 Stunde und 17 Minuten pro Tag. Der Gender Care Gap lag damit bei 43,8 %“. Für Emilia Roig sind diese Strukturen tief in der Gesellschaft verankert und nicht nur Probleme von einzelnen Haushalten. 

    Die Ehe als Problem des Kapitalismus

    „Eine Kritik an der Ehe ist zudem Kritik am Kapitalismus. Wenn wir die Ehe hinterfragen, müssen wir auch das kapitalistische System in Fragen stellen – denn es geht um eine Aufwertung der Care-Arbeit in der Gesellschaft. Care ist das, was uns am Leben erhält, die Arbeit, die für unser Überleben sorgt.“ Durch die Institution der Ehe würden Frauen von ihren Männern finanziell abhängig gemacht, wenn sie die meiste Care-Arbeit übernähmen. Frauen, die sich um ihre Kinder kümmern wollen, sollten nicht finanziell bestraft werden. „Doch Frauen werden regelrecht in die Ehe gedrängt, weil es die einzige Möglichkeit der finanziellen Absicherung ist. Es bleibt aber die Entscheidung der Partei, die mehr Geld verdient, wie und ob diese Absicherung während der Ehe zustande kommt“, erklärt Roig weiter. 

    Abhängigkeiten und Unterdrückung: Single-Frauen sind glücklicher als Ehefrauen

    Nicht nur finanziell, auch gesellschaftliche werden Frauen in die Ehe und das Muttersein gedrängt. Denn eine unverheiratete Frau ohne Kinder hat bis heute eine schlechtere gesellschaftliche Stellung hat als eine verheiratete. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie unglücklicher ist. Das Gegenteil ist der Fall: Studien zeigen, dass Single-Frauen glücklicher sind als Ehefrauen, gleichzeitig verdienen sie besser. Bei Männern ist es genau andersrum. Männer sind in Ehen glücklicher und im Durchschnitt finanziell besser aufgestellt. „Diese Erkenntnis ist in meinen Augen sehr bezeichnend dafür, dass die Ehe für Männer geschaffen wurde“, findet die Autorin. 

    Durch die finanzielle Abhängigkeit der Frau vom Mann entstehe ein ungesundes Machtgefälle – dies gelte für alle Paare, egal wie fortschrittlich und feministisch sie seien. „Es ist weniger ein Problem der einzelnen Beziehungen als ein strukturelles Problem, das im Patriarchat und im Kapitalismus verwurzelt ist.“ Auch gleichgeschlechtliche Ehen, die seit 2017 in Deutschland anerkannt sind, stünden vor diesem Problem, so die Autorin. Auf der Leipziger Buchmesse 2023 und im Buch erklärte sie, dass die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehen der perfekte Zeitpunkt gewesen wäre, die Ehe auch inhaltlich anzupassen und zu erneuern. Jedoch wurde diese Chance vertan und vielmehr müssen sich nun homosexuelle Paare an das heteronormative Rollenbild anpassen.

    Die Ehe – ein Vertrag der Liebe – oder doch nicht?

    Foto von Africa Studio-Adobe-Stock.com

    Und trotzdem überdauert die Monogamie als klassisches Rollenbild einer Beziehung. Laut Roig würde die Ehe auf diesem Gebiet allerdings versagen, denn in vielen Ehen gäbe es trotzdem Seitensprünge. Die Ehe habe „ein monogames Zusammenleben mit Vertrauen und ohne Fremdgehen“ nicht gewährleisten können. Grund dafür sei, dass die Monogamie nicht die klassische Form der menschlichen Beziehung wäre. „Die Monogamie entstand nicht aus Liebe, sondern um die Frau an den Mann zu binden und somit die Unterdrückung der Frau zu fördern“, schlussfolgert die französische Autorin. Auch Evolutionsforscher gehen davon aus, dass Menschen am Anfang der Menschheit eine freie Partnerwahl hatten, also promiskuitiv lebten

    Roig geht es nicht darum, die Monogamie abzuschaffen oder herabzusetzen. Vielmehr sollten auch andere Beziehungsformen wie polyamoröse Beziehungen der Monogamie gleichgestellt werden: „Es gibt mehr als nur eine richtige Konstellation der Liebe. Alle sollten gleichermaßen anerkannt werden“. Eine Abschaffung der Ehe ohne weitere Veränderungen würde jedoch in der Gesellschaft keinen Unterschied machen. „Es braucht ganz klar einen Paradigmenwechsel, um die Liebe zu revolutionieren“, schließt Emilia Roig ab. 

    Klar wird, dass sich die Ehe und damit auch die zwischenmenschlichen Beziehungen immer wieder gewandelt haben. Die römisch-katholische Theologin Susanne Andrea Birke sagt in einem Interview mit dem SRF: „Wir müssen diskutieren, wie auch diejenigen Menschen einen Platz finden in unserer Gesellschaft, die anders leben möchten.“ Hierbei denke sie an schwule und lesbische Paare mit Kindern, an Menschen, die kein Paar sind und Kinder gemeinsam aufziehen, an Gemeinschaften, die Kindern aufziehen. „Hier gibt es unendlich viele Möglichkeiten, wir müssen sie nur nutzen.“ Das aktuelle Konzept der Ehe scheint also nichts für die Ewigkeit zu sein. Neue Gesetze wie in Südafrika könnten ein Schritt zu einem offeneren Umgang mit der Ehe sein – geschlechterunabhängig.

    Cover National Geographic 4/24

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