Comanche – Das Volk der Pferde

Vor etwa 500 Jahren kam das Pferd nach Nordamerika und veränderte das Leben vieler indigener Völker für immer. Sie konnten nun viel effektiver jagen und kämpfen. Noch heute ehren sie das edle Reittier als Inbegriff für ihren Stolz und ihre Traditionen.

Von David Quammen
bilder von Erika Larsen
Foto von Erika Larsen

Im September 1874 fand das große Reiterreich der Comanchen im nördlichen Texas ein grausames Ende. Es war ein erstes Vorzeichen für tief greifende Veränderungen auf den Great Plains, denn die Comanchen gehörten zu den ersten indigenen Stämmen, die das Pferd von den spanischen Konquistadoren übernommen hatten.

Auf dem Rücken der Pferde waren sie zu erfahrenen Kriegern geworden: Sie ritten, um die Ausdehnung weißer Siedlungen aufzuhalten, um dem Abschlachten der Bisons Einhalt zu gebieten – und um die amerikanische Armee herauszufordern. Dann, am 28. September 1874, wurde die größte noch verbliebene Gruppe von Kriegern der Comanchen samt ihren Familien an einem Ort namens Palo Duro Canyon gefangen genommen.

Der Untergang der Comanchen

Angeführt wurde die Aktion von der 4. Kavallerie unter Colonel Ranald Slidell Mackenzie. Nachdem seine Männer die Comanche überrumpelt und aus ihrem Lager getrieben hatten, steckten sie alle Tipis in Brand und fingen die mehr als tausend zurückgelassenen Pferde ein. Mitsamt dieser reichen Beute führte Mackenzie seine Truppen schließlich zurück ins Feldlager. Dort gab er am folgendem Morgen den Befehl, sämtliche Pferde zu erschießen.

„Die Infanterie fing die wild gewordenen Pferde mit dem Lasso ein und führte sie zu den Erschießungskommandos", heißt es in S. C. Gwynnes Buch über die Comanchen Empire of the Summer Moon. „Das Ergebnis war ein gewaltiger Berg von toten Pferden" – 1048, wie die Akten vermerken. Die Tiere verwesten an Ort und Stelle und ihre Knochen bleichten jahrelang in der Sonne – eine schreckliche Mahnung an den Untergang des einstmals so mächtigen Reitervolks der Comanchen. Sie waren nach ihrer Niederlage in Palo Duro Canyon vernichtend geschlagen und ergaben sich kurz darauf endgültig.

Fast anderthalb Jahrhunderte später sitzt der Historiker Towana Spivey, ein Mann vom Stamm der Chickasaw und Experte für die Geschichte der Comanchen, im Vorgarten seines Hauses in Duncan, Oklahoma, und erzählt mir, was sich damals ereignet hat.

Mit dem Abschlachten der Pferde, sagt er, „war das Rückgrat des Widerstands" gebrochen. Die Tiere hatten den Comanchen als wichtiges Fortbewegungsmittel gedient, als Grundlage für ihr Nomadenleben, als Nahrung und als wichtigste Waffe ihrer Kriegsführung. „Für den Stamm war das ein verheerender Schlag", so Spivey. Und es kam noch schlimmer.

Denn, so erzählt der Historiker, nach dieser ersten Tötungsaktion trieb die Armee bis Juni 1875 weitere 6.000 bis 7.000 Pferde der Comanchen zusammen. Die Tiere wurden an einen Ort namens Mackenzie Hill gebracht, um sie dort zu erschießen. Als das zu anstrengend und wegen der verbrauchten Munition zu teuer wurde, begann die Armee, die Comanche­Pferde an weiße Bieter zu versteigern. Nachdem danach immer noch weitere Tiere übrig blieben, nahm man das Erschießen wieder auf.

Die beiden Massaker von 1874 und 1875 brachen den Widerstand der Comanchen. Sie bedeuteten aber nicht das Ende für die Geschichte der Pferde bei den amerikanischen Ureinwohnern – die hatte gerade erst begonnen.

Völker der Pferde

Denn zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits im ganzen Land herumgesprochen, wie nützlich Pferde sein konnten. Mit ihnen waren die Menschen auf der Bisonjagd erfolgreicher als je zuvor, sie konnten ihren Aktionsradius erweitern und vernichtende Überfälle auf andere Stämme unternehmen. Pferde befreiten Frauen von beschwerlichen Pflichten wie dem Schleppen ihrer Habe von einem Lager zum nächsten. Indigene Stämme, die zu Pferd jagten, hatten bessere Karten als solche, die Landwirtschaft betrieben. Deshalb wollten plötzlich alle Stämme Pferde haben: Vom Süden bis zum Norden, von den Jumano über die Apache bis zu den Cheyenne – sie alle waren von nun an beritten.

Und die neuen Tiere wurden schon bald überall so geschätzt, dass sie nach und nach eine abstraktere kulturelle Rolle ausfüllten: als Statussymbol. War ein Mann klug und ehrgeizig, dann konnte er sich mehrere Pferde leisten und diese dann verkaufen, tauschen oder verschenken. An der Anzahl seiner Pferde konnte man also den Reichtum eines Mannes ablesen.

Handel und Vermächtnis

Mit dieser ersten großen Neuerung war noch eine andere gekommen: Schusswaffen. Die Ureinwohner konnten jetzt bei weißen Händlern im Tausch gegen Bisonfelle oder Pferde auch Gewehre und Revolver erwerben.

Das waren Veränderungen von großer Tragweite, die ruhmreiche Höhepunkte und unrühmliche Nebenwirkungen mit sich brachten, darunter die Überjagung des Bisons – und das sogar noch vor der Ankunft kommerzieller Jäger. Die Reitkunst führte auch zu einer brutaleren Kriegsführung zwischen den Stämmen, zum Widerstand gegen weiße Siedler und die Armee, später dann zu traurigen Ereignissen wie am Palo Duro Canyon. Doch diese negativen Aspekte der Pferderevolution sind Geschichte.

Heute sind Pferde nach wie vor von größter Bedeutung für viele amerikanische Ureinwohner. Sie gelten noch immer als Besitz, auf den die Menschen besonders stolz sind. Und sie stehen für die uralten Traditionen und Werte ihrer Stämme: für glanzvolle Auftritte, für Tapferkeit und für ein Wissen, das seit Jahrhunderten an die nächste Generation weitergegeben wird – auch und gerade heute noch.

(NG, Heft 6 / 2014, Seite(n) 108 bis 131)

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