Willem Barents

Er sucht die Nordostpassage nach Indien und China. Kämpft gegen Packeis und Polarbären, trotzt Schneestürmen – und verliert seine Schiffe und sein Leben. Der Holländer ist dennoch der größte Arktisfahrer des 16. Jahrhunderts.

Von National Geographic

Willem Barents sucht die Nordostpassage nach Indien und China. Kämpft gegen Packeis und Polarbären, trotzt Schneestürmen – und verliert seine Schiffe und sein Leben. Der Holländer ist dennoch der größte Arktisfahrer des 16. Jahrhunderts.

Portugal und Spanien sind bis Mitte des 16. Jahrhunderts die großen seefahrenden Nationen. Sie haben ferne Länder entdeckt und erobert, unermessliche Reichtümer mit nach Hause gebracht. Ihre Besitzungen in Übersee sind so groß, dass sie die Waren nicht mehr allein übers Meer transportieren können. Holland ist ein Volk der Seefahrer, noch nicht der Entdecker und Eroberer. So fahren die Frachtschiffe des Nordseelands unter portugiesischer Flagge – bis Portugal sich mit Spanien vereinigen muss und Holland sich 1581 von Spanien unabhängig erklärt. 1588 wird die spanische Kriegsflotte von England und Holland besiegt. Spanien und somit auch Portugal haben ihren Status als seefahrende Großmächte verloren. Den Holländern bricht der Handel mit der Iberischen Halbinsel weg, ihre Schiffe haben Kapazitäten frei. Und ein weit gereister Landsmann – Jan Huygen van Linschoten – kehrt 1592 aus Indien zurück. Mit Karten, Seebeschreibungen und einer kühnen Vision, deren Verwirklichung er vorantreibt: die Suche nach einer Nordostpassage, auf der in Zukunft Handelsschiffe nach Indien und China fahren können – unter holländischer Flagge.

Hier kreuzen sich die Lebenswege von van Linschoten und Willem Barents. Über die Jugend von Barents ist so gut wie nichts bekannt. Vermutlich wird er um 1550 auf der friesischen Insel Terschelling geboren. Als Erwachsener erwirbt Willem Barents sich einen ausgezeichneten Ruf als Navigator und Seemann. Er ist genau der Richtige für eine Fahrt, wie sie van Linschoten vorschwebt. Dessen Vaterstadt Enkhuizen finanziert das Vorhaben – eine Investition in die zukünftige Handelsroute.

Im Juni 1594 bricht die Expedition mit drei Schiffen nach Norden auf. Barents kommandiert die „Gesandte“, die Kapitäne Nai und Tetgales befehligen die beiden anderen Schiffe. Auch van Linschoten ist mit an Bord. Sie umrunden Norwegens Nordkap und halten sich ostwärts. Im Polarmeer trennen sich die beiden Schiffe, um die Expedition auf verschiedenen Routen fortzusetzen. Barents segelt nach Nowaja Semlja – „neues Land“ heißt die riesige, lang gestreckte Insel vor der Küste des europäischen Russlands. Er segelt die Westküste bis zum nördlichsten Punkt, den er „Eiskap“ nennt. Der seinerzeit berühmte Amsterdamer Geograph Petrus Plancius hat eine Route um das Kap vorgeschlagen, um von dort in die Nordostpassage zu gelangen. Doch die Weiterfahrt ist durch Packeis blockiert. Dem Holländer bleibt nichts anderes übrig, als nach Süden umzukehren. Auf dem Rückweg kartiert Willem Barents die Buchten, die die Küste von Nowaja Semlja säumen.

Kapitän Nai segelt mittlerweile entlang der russischen Festlandküste nach Osten. Er erreicht die Insel Waigatsch – zwischen Russland und Nowaja Semlja gelegen – und gelangt durch die Jugorstraße – zwischen Waigatsch und dem Festland hindurch – in die Karasee. Dort sieht er tatsächlich offenes Meer. Er glaubt, er habe die Nordostpassage gefunden. Van Linschoten notiert begeistert: «Jetzt gibt es absolut keinen Zweifel mehr, dass die Route nach China frei und offen ist.» Die Männer sind sich des Erfolgs der Expedition sicher und kehren um. Sie treffen Willem Barents bei einer Inselgruppe westlich von Nowaja Semlja wieder, die dieser zu Ehren des holländischen Herrscherhauses „Oranje-Inseln“ nennt. Nach insgesamt drei Monaten kommen sie wieder im Heimathafen an. Die Neuigkeiten der Polarfahrer sind so viel versprechend, dass die holländische Regierung schon ein Jahr später eine zweite Expedition ausrüstet, diesmal mit sieben Schiffen. Barents ist wieder Kapitän, auch van Linschoten ist als Kapitän dabei. Sie sollen die eisfreie Seeroute nach China und in den Fernen Osten genau bestimmen. Die Reise endet mit einer großen Enttäuschung. Barents erreicht die Insel Waigatsch, wird aber bereits an der Durchfahrt zur Karasee von den Eismassen gestoppt. Es ist der 27. August, viel zu spät im Jahr, um das Nordmeer zu befahren. Sie kehren nach Holland zurück. Doch Barents gibt nicht auf.

Im Jahr 1596 startet Willem Barents als Obersteuermann zu seiner dritten Polarexpedition. Sie wird von einer Gruppe Amsterdamer Kaufleute unterstützt. Barents will sich an die nördliche Route des Geographen Plancius halten. In Forscherkreisen jener Zeit hält sich hartnäckig die Vermutung, dass es jenseits des arktischen Eisgürtels ein eisfreies Polarmeer geben könne. Anfang Mai wird die Mannschaft für die beiden Schiffe zusammengestellt, die Heuer ausgehandelt. Bei Erfolg der Reise soll es eine Sonderzahlung geben. Mit an Bord ist der junge Handelsvolontär Gerrit de Veer, der während der Reise Tagebuch schreibt.

Mitte Mai sticht Barents in See. Er segelt zu den Shetland-Inseln. Anfang Juni erreicht Willem Barents 71 Grad nördlicher Breite. «Voraus schwimmen weiße Schwäne», meldet ein Matrose, als sie auf den ersten Eisberg stoßen. Schon bald sehen sie das erste riesige Eisfeld – eine gefährlich kompakte Masse. Barents weiß, dass sie sich jederzeit schließen kann. Sie entdecken ein Eiland, das Barents Bäreninsel tauft: Die Männer erlegen dort ihren ersten Polarbären. Weiter geht es nach Nordosten, im Nebel durch immer neue Eisfelder. Die Holländer sind fast auf Höhe des 80. Breitengrads, als Land in Sicht kommt. Barents vermutet, dass es sich um Grönland handelt, es ist aber Spitzbergen. Die Holländer wundern sich, dass so hoch im Norden noch Gras wächst, und staunen, als sie heimatliche Rottgänse sehen. Jetzt wissen sie, wo diese Zugvögel brüten! Willem Barents zeichnet die geographischen Merkmale der Küste auf, nimmt Land für die holländische Krone in Besitz und segelt weiter nach Nordosten. Wegen Meinungsverschiedenheiten über die Route segelt Jan Cornelizoon Rijp, Kapitän des zweiten Schiffs, zurück nach Holland.

Am 14. Juli stößt Barents das erste Mal auf Packeis. Sie sehen Bären auf den Schollen, vermuten Land in der Nähe. Nowaja Semlja taucht am Horizont auf. Barents folgt der Küste mit östlichem Kurs. Nebel, Schnee und Eis machen das Vorankommen immer schwerer. «Es wurden Segel beigesetzt, und wir rammten die Schollen, dass es nur so krachte», so de Veer. Unter Lebensgefahr hackt die Besatzung eine Fahrrinne in die weiße Masse, dann ist es trotzdem so weit: Eis treibt auf das Schiff zu, hebt den Bug hoch – sie sitzen fest. Sie müssen auf Nowaja Semlja überwintern.

Aus Treibholz und Schiffsplanken bauen die Holländer eine Blockhütte. Immer wieder werden sie von Bären angegriffen. Die Kälte ist kaum auszuhalten, an manchen Tagen können sie wegen der Schneestürme das Holzhaus nicht verlassen. Sie werden eingeschneit, können dann drinnen kein Feuer machen und bleiben tagelang in der Koje. Sie stellen Fuchsfallen, müssen Holz heranschaffen, werden immer schwächer. Im Mai sitzt das Boot immer noch fest. Die Vorräte gehen zu Ende. Sie haben nur eine Chance: die 500 Kilometer zum Festland in den beiden Schaluppen zurückzulegen. Am 1. Juni brechen die 16 Männer auf. Am 14. Juni stirbt Willem Barents an Skorbut.

Der Rest der Mannschaft erreicht die Küste. Mit Hilfe russischer Fischer legen die Männer 2400 Kilometer nach Westen zurück, bis zur Halbinsel Kola. Dort treffen sie Kapitän Rijp auf einem Handelsschiff. Er nimmt sie mit zurück nach Holland, wo sie im November 1597 ankommen. Es werden noch fast 200 Jahre vergehen, bis Adolf Erik Nordenskjöld die Nordostpassage schafft. Dennoch geht auch Barents als einer der Großen in die Arktisforschung ein. Seit den Wikingern war niemand mehr so hoch nach Norden vorgedrungen wie er. Der Klimawandel in der Polarregion machte solche Unternehmen zu seiner Zeit noch schwieriger. Nach der kleinen Eiszeit von 1550 bis 1850 reichte das Eis viel weiter nach Süden als zuvor.

Durch Barents wurde aber auch Spitzbergen wieder entdeckt, das seit der Wikingerzeit in Vergessenheit geraten war. Es wurde später ein wichtiger Stützpunkt für Walfänger – und damit für das große Geld.

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