Ein Roadtrip durch Südafrika – und in die Freiheit

Zehn Jahre lang lebte unser Autor mit seiner Familie in Südafrika. Nun kehrt er mit seinem Sohn zurück und stellt fest, dass sich Land und Kind verändert haben.

Von Sven Lager
bilder von Sven Lager
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:41 MEZ
Sven Lager, 52, Buchautor, und sein Sohn Anton, 22, fahren auf Motorrädern durch Südafrika. Bis 2014 haben sie hier gelebt – zehn Jahre lang.
Foto von Sven Lager

Am Ende unserer Reise sitzen Anton und ich bei Freunden auf der Veranda und trinken einen erdigen Shiraz von der Farm nebenan. Wir schauen auf unsere alte Heimat, den Eichenwald am Fluss, die gemähten Kornfelder, die fruchtig grüne Ebene mit ihrer reichen Vegetation aus Fynbos-Büschen und anderen Pflanzen, die weiche Silhouette der Berge. Der Sommer neigt sich dem Ende zu, und wir blicken auf ein Abenteuer zurück, das uns einander wieder nähergebracht hat, den Vater und seinen Sohn.

Anton ist in Südafrika aufgewachsen, wo wir bis vor einigen Jahren lebten. Ich tat mich oft schwer mit ihm, weil ich selbst ohne Vater groß geworden bin. Zurück in Deutschland verband uns die Sehnsucht nach der Freiheit, die die Weite Südafrikas noch immer in uns weckt. Eines Tages, so hofften wir, würden wir zurückkommen für ein Abenteuer. Jetzt stehen unsere beiden schlammbespritzten Geländemotorräder in der Einfahrt.

Als wir vor einer Woche ankamen, stiegen wir dick angezogen zum Schutz vor Stürzen auf unsere Maschinen, beide ziemlich unerfahren, ich noch nervöser als mein Sohn. Anton ist inzwischen 22 Jahre alt und ein selbstbewusster Mann mit Bart und langen Haaren. Und auch Südafrika scheint mir erwachsener geworden. Es könnte endlich nach allem, was es durchgemacht hat, von der Kolonialherrschaft der Europäer bis zu den enttäuschten Hoffnungen nach dem Ende der Apartheid, ein Beispiel dafür werden, wie Menschen unterschiedlichster Herkunft in Frieden miteinander leben.

Unser Abenteuer beginnt in Kapstadt. An einem klaren Morgen brechen wir auf, und keine 15 Minuten vom Hotel entfernt sind wir bereits auf einer einsamen Landstraße Richtung Namibia. So modern Südafrika sein kann – die Wildnis ist nie weit. Ein starker Wind vom Atlantik zerrt an uns, gleichzeitig irrt die Hitze über dem Asphalt. Anton zieht an mir vorbei und gibt Gas. Von Anfang an ist er der bessere Fahrer.

In Paternoster, einem kleinen Ort rund 150 Kilometer nördlich von Kapstadt, machen wir erschöpft halt. Wir fühlen uns wie frühe Siedler, die nach einer langen Etappe von ihren Pferden stiegen. Paternoster – Vaterunser – diesen Namen gaben wahrscheinlich die portugiesischen Seefahrer dem Ort, nachdem sie hier sicher das Land erreicht hatten. Weiß verputzte Häuser erstrecken sich entlang einer weiten Bucht, davor liegen kleine blau-rote Fischerboote am Strand. Schlaksige Fischer in zerrissenen T-Shirts bieten uns Langusten an.

“Für meinen Vater zu hart.”

Sohn Anton zu anderen Motorradfahrern vor der Großen Karoo-Halbwüste

Zwei Tage später. Schroffer Fels zieht sich zu beiden Seiten, als wir den ersten Bergpass hinauffahren. Es sind die Ausläufer der Zederberge, die zum Teil als Naturreservat unter Schutz stehen. Die Zedern sind Feuern und dem Möbelbau der Siedler zum Opfer gefallen; kein Baum wächst hier mehr. Heute wird in der Gegend die Rooibospflanze angebaut, aus der der Rotbuschtee gewonnen wird. Der Fels schimmert ockerfarben und kupfergrün, dottergelb und violett, während sich die Straße in die Höhe windet. Eine Freude für einen Maler, der die Nuancen sieht. Es ist, als würden Sandstein, Granit und Kalk von innen glühen und wie ein Lagerfeuer changieren.

Am Nachmittag zeigt sich vor uns die Große Karoo-Halbwüste, eine karge, trockene Hochebene, gut 100 Kilometer breit und 750 Kilometer lang. Von Staub überzogene Motorradfahrer kommen uns entgegen, sie sehen aus wie Krieger in David Lynchs Science-Fiction-Film „Der Wüstenplanet“. Uns wird klar: Allein kommt hier keiner durch, nur als Gruppe schafft man es, der Wüste zu trotzen. Schiefer und Vulkangestein können einem jederzeit die Reifen aufschlitzen. Für Anton zu schwer, denke ich. „Für meinen Vater zu hart“, sagt mein Sohn und lacht. Wir sind wir uns einig: Lass uns die Einöde auf den einfacheren Teer- und Schotterstraßen umrunden.

Die Karoo hat sich mit heißer Luft aufgeladen, wir geraten in die ersten Herbstgewitter. Der Asphalt duftet warm, die ersten Regentropfen treffen uns auf dem Weg zur Kleinstadt Sutherland. Rundum schweben taubengraue Gewitterwolken am sonnigen Himmel, Blitze schießen in den lehmigen Wüstenboden, Regenvorhänge ziehen behäbig vorbei.

Gerade noch waren wir in Matjiesfontein, einem kolonialen Nest mit viktorianischer Architektur, jetzt fahren wir 100 Kilometer durchs Nordkap, ohne ein einziges Haus zu sehen. Ich sende Stoßgebete, dass uns kein Blitz trifft. Doch nichts passiert, und zuverlässig nach all der Einsamkeit taucht endlich Sutherland vor uns auf. Eine Kirche in der Mitte, um sie herum Häuser mit kapholländischen Giebeln. Es gibt Wasser für uns und Benzin für die Maschinen, getankt von einem lässigen Buschmann, schlaksig, Hose und Hemd längst ausgeblichen. Ich bin sicher, dass er problemlos durch die Karoo-Wüste laufen könnte, durch die wir uns nicht mal mit unseren Motorrädern getraut haben.

Etwas weiter übernachten wir bei einer Schafzüchterfamilie, die schöne, einfache Hütten vermietet. Neben Motorradfahrern haben bei ihnen gerettete Erdmännchen, Schildkröten und Äffchen Schutz gefunden. Alpakas mit Puschelhaaren kommen an unserem Fenster vorbei.

Der Familienvater erzählt von der anhaltenden Dürre, seine Frau füttert ihre Tiere. Beide sehen glücklich aus, ihre Augen leuchten. Die Einsamkeit und Weite scheinen ihnen gutzutun, und auch Anton und ich kommen zur Ruhe. Schweigend wandern wir über die harte gelbe Erde in die Weite und lauschen der Stille. Wir haben noch nicht viel geredet auf der Reise. Zu erschöpft und zu überwältigt sind wir jeden Tag. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass wir uns nähergekommen sind. 

Dieser Artikel wurde gekürzt und bearbeitet. Die ganze Reportage steht in der Ausgabe 3/2017 des National Geographic Travelers. Jetzt ein Magazin-Abo abschließen!

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