Immer am Fluss entlang im Süden Spaniens

Der Guadalquivir fließt quer durch Andalusien. Wer ihm folgt, findet einsame Landschaften und große Architektur.

Von Gero Günther
Veröffentlicht am 12. März 2018, 09:43 MEZ
Cordoba
In Cór­doba errichteten die Mauren nahe dem Guadalquivir die Mezquita, einst die Hauptmoschee der westlichen islamischen Welt. Heute beten dort Katholiken.
Foto von Colour Box

Ein paar Stufen sind es hinunter zur glucksenden Quelle. Steile Felswände ragen in den stahlblauen Himmel. Es riecht nach feuchter Erde und Kiefernnadeln, Insekten summen in der lauen Luft. Ich balanciere von Stein zu Stein und spüre das kalte Wasser zwischen meinen Zehen. Hier, im Nordosten Andalusiens, entspringt der Guadalquivir, dem ich über gut 650 Kilometer bis zu seiner Mündung folgen will.

„Moment mal“, sagt Gabriel Hernandez
 Viera, „ganz so einfach ist das mit der Quelle
 nicht.“ Der 36-jährige Biologe ist ein Guide im
 Naturpark Sierras de Cazorla, Segura y Las 
Villas. Wo genau man den Ursprung des Guadalquivir verorte, sei eine Glaubensfrage. „Für
 die Katholiken lag er lange Zeit auf ihrem Territorium hier im Kalksteingebirge, die Mauren
hielten einen Wasserlauf in der Nähe von Granada für die wahre Quelle. Die Geografen sind sich bis heute nicht einig.“ Für Flüsse gibt es keinen Vaterschaftstest.

Gewiss ist, dass der Name dieses längsten Flusses Andalusiens aus dem Arabischen stammt. Die Mauren herrschten von 714 an über fast ganz Spanien und Portugal, bis sie 1492 aus ihren letzten Bastionen in Andalusien vertrieben wurden. „Wadi al-Kabir“, den großen Fluss, nannten sie das Gewässer, das sich von den Sierras de Cazorla im Nordosten bis an den Golf von Cádiz im Südwesten quer durch die Provinz zieht.

Hernandez, ein sanfter Mann mit strubbeligen dunklen Haaren und Vollbart, zeigt mir einige der schönsten Flecken in Spaniens größtem Naturpark: uralte Ulmen, Gesteinsformationen, die wie die Schichten einer Torte übereinanderliegen, eine enge Schlucht, durch die der Fluss Borosa jadegrün rauscht. Auf Stegen, schmalen Pfaden und über Hängebrücken wandern wir durch das Gebirge. Über uns kreisen Adler und Lämmergeier.

Ich verlasse die Berge und folge dem Fluss in südwestlicher Richtung durch die Provinz Jaén. Die letzten Sonnenstrahlen tauchen ihre Hügel in ein warmes Licht. Bis zum Horizont sehe ich nur Olivenbäume, sie wachsen in schnurgeraden Reihen. Eine gigantische Monokultur. Die Ortschaften sind vollständig von den knorrigen Bäumen umgeben, 50 Millionen sollen es in der Provinz Jaén sein.

Schon in maurischen Zeiten nutzten die Menschen den Guadalquivir zur Bewässerung. Ohne den Fluss wäre die intensive Landwirtschaft im trockenen Flachland Andalusiens undenkbar gewesen. Auch die beiden Städte Úbeda und Baeza, denen ich mich jetzt nähere, verdankten ihren Reichtum dem wenige Kilometer entfernten Fluss. Er schwemmte das Schmelzwasser aus den Bergen ins Tal und bewässerte die Gärten und Viehweiden. Mit dem Wohlstand kamen die Baumeister und Künstler. Im 16. Jahrhundert überboten konkurrierende Adelsfamilien einander darin, ihre Herrschaftsansprüche in Stein meißeln zu lassen. So verhalfen sie einem neuen Baustil zum Durchbruch: Dank des Überflusses der fruchtbaren Täler entstanden in den beiden Städten die ersten prachtvollen Renaissance-Bauten Spaniens. Heute gehören Úbeda und Baeza zum Weltkulturerbe der Unesco.

Und noch andere bedeutende Städte hat der Guadalquivir hervorgebracht. 150 Kilometer flussabwärts liegt Córdoba, vor 1000 Jahren die fortschrittlichste Metropole Europas. Qurtuba, wie die Mauren ihre Stadt nannten, war mehrere Jahrhunderte lang das wissenschaftliche Zentrum des Kontinents. Juden, Christen und Muslime forschten gemeinsam an den Universitäten der Emire und Kalifen. Es gab 300 öffentliche Bäder, ehe die kastilischen Monarchen die „lasterhaften Stätten“ verboten.

Vor der Brücke Puente Romano betrachte ich die Silhouette der Stadt mit ihren weißen und sandfarbenen Häusern. Unter mir fließt gemächlich der Guadalquivir, nicht mehr kristallklar, sondern träge und schlammfarben. Schiffe fahren hier schon lange nicht mehr wie einst, als die Römer hier unterwegs waren. 
Stattdessen breitet sich vor meinen Augen eine verzweigte Auen
landschaft aus. Vögel zwitschern in den Bäumen und Oleanderbüschen, die den seichten Fluss säumen.

Kurz vor Sevilla, meinem nächsten Halt, macht der Guadalquivir einen scharfen Knick nach Süden. Auch hier ist die maurische Kultur noch präsent. Doch Sevilla, 700.000 Einwohner, kommt mir wie eine Weltstadt vor, auch wegen der vielen ausländischen Studenten, Hipstern, Kreativen.

Selbst der Fluss wirkt in Sevilla großstädtisch. Breite Wege und gepflegte Grünanlagen schmiegen sich an seine Ufer. Am Morgen jogge ich kilometerweit am Guadalquivir entlang und komme auch nach Triana, in das ehemalige Viertel der Räuber und Schmuggler. In seinen schummrigen Kneipen und Hinterhöfen soll der Flamenco entstanden sein, und bis heute findet man hier einige der wichtigsten Tanzschulen und Auftrittsorte, manche in ehemaligen Industriegebäuden. Zu den Schülern gehören immer mehr Zugereiste. Einige haben Latino-Elemente aus Lateinamerika mitgebracht und dem Tanz neue Impulse gegeben.

Ich fahre nach El Rocío, das Städtchen liegt am Rand des sumpfigen Deltas des Guadalquivir. Von dort aus geht es mit einem Ranger durch den Nationalpark Coto de Doñana. Ohne diese Begleitung darf niemand in die Kernzonen. Der Jeep rutscht über Dünen und holpert durch Kiefernwälder, dann fliegen wir über den längsten Strand Spaniens und erreichen die Flussmündung. Wie eine sandfarbene Schleppe rinnt das Wasser des Guadalquivir in den Atlantik.

Dieser Artikel wurde gekürzt und bearbeitet. Die ganze Geschichte steht in der Ausgabe 1/2018 des National Geographic Travelers. Jetzt ein Magazin-Abo abschließen!

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