Durchs eisige Lappland

Kälte, Sturm, neue Freunde: mit dem Hundeschlitten in der Wildnis jenseits des Polarkreises.

Von Sylvia Tyburski
bilder von Roman Babakin
Veröffentlicht am 7. Dez. 2018, 10:33 MEZ

Cindy will los. Wie lange dauert das denn noch?, scheint ihr Blick zu fragen. Sie stemmt sich ins Geschirr, mit einem Ruck spannt sich die Ankerleine, die den Hundeschlitten sichert. Dann stimmt sie zusammen mit vielen Dutzend anderen Huskys heulend in den Chor ein, der die Stille über der verschneiten Landschaft Lapplands zerreißt. Sie wollen rennen.

Die Schlittenhunde gehören Kenth Fjellborg, 48, der mit seiner Frau Ann, drei Töchtern und rund 130 Huskys in dem nordschwedischen Dorf Poikkijärvi bei Kiruna wohnt, knapp oberhalb des nördlichen Polarkreises. Fjellborg ist Musher, ein Schlittenhundeführer, sein Betrieb ist einer der größten in der Gegend. Jedes Jahr zwischen Oktober und April ist er mit Gästen unterwegs – mal nur ein paar Stunden mit Familien, mal bei schwierigen Fahrten durchs Gebirge für künftige Musher.

Diese Woche führt er die 24 Teilnehmer der Schlittenhundetour „Fjällräven Polar“ über eine 300 Kilometer lange Route von Signaldalen in Norwegen über das Skandinavische Gebirge bis nach Väkkäräjärvi im schwedischen Teil Lapplands. Die Abenteurer kommen aus der ganzen Welt: aus Griechenland, Indien, Australien, den USA. Fjellborg und der ehemalige Soldat Johan Skullman zeigen ihnen, wie man in der Kälte überlebt. Nach der Einführung legen sie in vier Tagen 300 Kilometer zurück. Sie zelten im Schnee, haben weder Strom noch fließend Wasser oder eine Toilette. Sie teilen Schokoriegel und trockene Socken und erfahren, wie überlebenswichtig die Gemeinschaft in der Wildnis ist. Und, erzählt die 28-jährige Fernsehproduzentin Danielle Godwin aus Bristol, dass die Hunde an erster Stelle stehen.

Was ist die größte Herausforderung?

Die Kälte und die ungewohnte körperliche Arbeit. Das hier ist so ziemlich das Anstrengendste, was ich je gemacht habe. Die Tage sind so gefüllt, dass du manchmal erst abends dazu kommst, dir die Zähne zu putzen. Du musst Zelte ab- und aufbauen, Feuerholz sammeln und hacken, Schutzgruben in den Schnee graben. Bevor du selber isst, musst du das tiefgefrorene Fleisch für die Hunde mit einem Beil zerteilen und mit heißem Wasser auftauen. Wir haben Unmengen Fleisch mitgeschleppt.

Die Hunde machen ja einen Großteil der Arbeit.

Allerdings. Jeder von ihnen verbraucht zwischen 5000 und 9000 Kilokalorien am Tag. Sie sind die wahren Helden dieser Reise.

Wie lang seid ihr tagsüber unterwegs?

Bis zu acht, neun Stunden. Trotz der Anstrengung war ich lange nicht mehr so entspannt. Es dauerte nicht lang, da hatte ich vergessen, welcher Wochentag gerade ist. Außerdem ist die Energie der Hunde ansteckend. Du möchtest morgens einfach los, selbst wenn die Sonne gerade erst aufgegangen ist.

Ein Gespann zu führen ist anfangs nicht leicht. Gelenkt wird durch Gewichtsverlagerung. Wer sich zu weit in die Kurve lehnt, kippt unweigerlich um und landet im manchmal hüfthohen Pulverschnee. Ständig versuchen die Hunde, das Gespann vor ihnen zu überholen; am Anfang jeder Tour muss man permanent auf das Brett zwischen den Kufen treten, um zu bremsen. Wenn es bergauf oder durch den Tiefschnee geht, helfen die Fahrer nach und stoßen sich mit einem Bein ab. Ein Knochenjob.

Die Gruppe wird von dem Outdoorexperten Johan Skullman begleitet. Der 56-Jährige hat 30 Jahre lang bei den schwedischen Streitkräften gearbeitet. Seine Erfahrung gibt er jetzt bei Touren durch die Wildnis weiter.

Diese Fahrt geht auch über gefrorene Seen. Bist du schon mal im Eis eingebrochen?

Sogar mehrmals, mit Ausrüstung auf dem Rücken und angeschnallten Skiern. Wir haben das beim Militär geübt. Wenn du mit mehreren unterwegs bist, kann sich einer bäuchlings aufs Eis legen und dem anderen eine Leine zuwerfen oder einen Stock hinhalten. Am besten spannen zwei eine Leine und halten die Enden fest. Dann: Runter vom Eis, und der Eingebrochene muss schnellstmöglich aus der nassen Kleidung raus. Bei minus zehn Grad oder so frieren Reißverschlüsse binnen zwei Minuten zu.

Worauf muss man achten, wenn man tagelang bei Minustemperaturen unterwegs ist?

Wichtig ist, viel zu trinken, vier, fünf Liter am Tag, besonders, wenn du aktiv bist. Lieber mal eine Schicht ablegen, damit du nicht schwitzt und deine Kleidung feucht wird. Auch über den Atem geht viel Flüssigkeit verloren. Das merkst du, wenn du die Lüftung des Zelts nicht öffnest. Dann sammelt sich über Nacht die Feuchtigkeit an den Wänden, am Schlafsack und in den Klamotten. Wenn du dehydrierst, kannst du nicht klar denken und triffst falsche Entscheidungen. Das kann lebensgefährlich sein.

Was, wenn man vor Kälte nicht schlafen kann?

Du solltest gar nicht erst mit kalten Füßen oder frierend schlafen gehen. Der Körper ist, von einem Lagerfeuer abgesehen, die einzige Heizung hier draußen, die musst du zum Laufen bringen, bevor du dich hinlegst. Es hilft, ein paar Runden ums Zelt zu joggen. Du kannst auch eine Metallflasche mit heißem Wasser zum Trinken und als Wärmflasche in den Schlafsack stecken – gut verschlossen natürlich.

Die Hunde graben sich jeden Abend Mulden in den Schnee. Sie bekommen eine leichte Decke umgeschnallt und etwas Stroh für ihr Lager. Vaggelis Vasiliadis hat ein schlechtes Gewissen, weil er im einigermaßen schützenden Zelt liegt und die Hunde draußen bleiben. Doch die Tiere leiden eher an warmen Sommertagen, sagt Kenth Fjellborg. „Minus 15 Grad mögen sie am liebsten.“ Der Hundeführer hat mit Huskys schon ganz andere Extreme erlebt. 1994 nahm Fjellborg in Alaska am Iditarod teil, dem härtesten Schlittenhunderennen der Welt. Die Strecke – 1850 Kilometer – führt von Anchorage über die Alaska-Bergkette nach Nome am Beringmeer. Dort geht es über gefährliches Meereis – uneben und im schlimmsten Fall brüchig. Fjellborg schaffte das Rennen in elf Tagen.

Wie war es, beim Iditarod mitzumachen?

Es war eine tolle Erfahrung und für mich die beste Art, die Landschaft ganz genau kennenzulernen. Aber natürlich auch furchtbar anstrengend, weil du Stürmen und eisigen Temperaturen ausgesetzt bist und vor allem sehr wenig schläfst.

Was hast du gemacht, um nicht zu erfrieren?

Das Wichtigste ist es, trocken zu bleiben, viel zu trinken und fettreich zu essen. Beispielsweise getrockneten Räucherlachs. Ich hatte mir außerdem getrocknetes Rentierfleisch von zu Hause mitgebracht, und ich habe jeden Tag heiße Elchbrühe in meine Thermosflasche gefüllt. Es ist keine gute Idee, sich unter solch extremen Bedingungen vegetarisch zu ernähren.

Die Kälte zehrt am Körper, zwischen 3500 und 6000 Kilokalorien am Tag verbraucht ein Mensch unter diesen Bedingungen. Sind die Hunde versorgt, baut die Truppe ihre Zelte auf, kocht Schnee ab, um heißes Wasser für die Trockennahrung zu haben, die so zu Porridge, Eintopf, Pasta oder Hühnchen mit Reis wird. Erstaunlich lecker, finden die meisten. Nur trödeln dürfen sie beim Essen nicht, sonst gefriert das Mahl zu Eisklumpen.

In der letzten Nacht schlafen alle wie die Huskys: unter freiem Himmel. Mit minus acht Grad ist es die wärmste Nacht in dieser Woche. In Teams graben sie halbmetertiefe Gruben, ein Wall aus Schnee und Fichtenzweige sollen vor Wind schützen. Doch ganz unerwartet ist es fast windstill. Eingepackt wie Mumien, den Parka über das Fußende des Schlafsacks gestülpt, liegen alle auf ihren Isomatten. Über ihnen leuchten die Sterne, und dann streift gegen Mitternacht das Polarlicht über den Himmel. Ein Feuerwerk der Natur, wie zum Abschied.

Dieser Artikel wurde gekürzt. Lesen Sie die ganze Geschichte in Ausgabe 4/2018 des National Geographic-Traveler. Jetzt ein Abo abschließen!

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