Schlaflos in Madrid: die besten Ausgeh-Tipps
Filmabende im Retrokino, Cocktails in urigen Bars, Feiern auf den Straßen und Plätzen. Wir stellen die besten Locations vor.
Die Puerta del Sol ist der belebteste Platz in der spanischen Hauptstadt. An den Wochenenden sind hier bis spät in die Nacht noch Feiernde unterwegs.
„Muchas gracias!“, ruft die Sängerin. „Wir machen jetzt eine Pause, in 15 Minuten sind wir wieder da!“ Es folgt ein enttäuschtes Seufzen aus dem Publikum, das schon den ganzen Abend zu ihrem jazzigen Discosound tanzt. Scherzend hält sie sich einen Arm wie ein Schutzschild vors Gesicht und geht zur Bar, wo schon ein frisch gezapftes Bier auf sie wartet. Kellner mit Fliegen servieren den herausgeputzten Gästen Desserts, und überall wird geplaudert. Wer noch auf der Tanzfläche ist, wippt ungeduldig mit den Füßen zur Musik der Playlist, die die Pause füllt. Es ist ein Uhr nachts, und obwohl die meisten Leute hier am nächsten Morgen zur Arbeit müssen, wird es immer voller.
„Du solltest mal samstags kommen“, lacht Kellner Constantino, als er mich für einen Drink zu einem Tisch auf der Dachterrasse führt. „Dann ist die Bar kaum wiederzuerkennen.“ Gruppen und Paare haben es sich draußen auf Sofas bequem gemacht, unterhalten sich und stoßen an. Eine leichte Brise verweht Haare und plustert Röcke auf. Im Hintergrund ist der Madrider Königspalast zu sehen. Er überragt die Dächer der Stadt und leuchtet wie eine riesige weiße Hochzeitstorte. In der Ginkgo Sky Bar herrscht heute Abend eine zivilisierte, entspannte Atmosphäre. Schenkt man Constantino Glauben, dann brennt hier am Wochenende die Luft.
Vor dem Feiern geht es in den frühen Abendstunden oft erst mal in eine der typischen Gaststätten in den engen Gassen des Zentrums von Madrid, hier in der Calle de Barcelona.
Nachts ist Madrid in Bestform
Dass man in Spanien gern bis spät (oder früh) ausgeht, ist kein Geheimnis, aber Madrid lebt für die Nacht. Wenn die Sonne untergeht, erwacht das Leben in den Straßen und auf den Terrassen. Die Temperaturen fallen, die Stimmung steigt. Erst nachts kann die Hauptstadt ganz sie selbst sein. Manchmal bekommt man den Eindruck, als sei der helllichte Tag hier ein notwendiges Übel, denn eigentlich warten alle auf die Abenddämmerung. „Es gibt immer einen Ort, wo du hingehen kannst, egal um welche Zeit“, erklärt Luis de Paz. Der gebürtige Madrilene leitet das Touristikunternehmen Bespoke Travel Spain, das für seine Kunden individuelle Reiserouten durch Spanien zusammenstellt.
„Du könntest problemlos von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens unterwegs sein und dich nicht langweilen.“ Wir laufen durch das Kneipenviertel Malasaña, dessen Bars vor Gästen überquellen. An Tischen im Freien sitzt man bei einem Glas Rioja zusammen, vor einem anderen Lokal stecken sich Studenten riesige Pizzastücke in den Mund. Ein älteres Ehepaar auf dem Nachhauseweg geht an uns vorbei und unterhält sich über das Theaterstück, das es eben gesehen hat. „Was ich besonders an Madrid liebe, sind die Menschen“, sagt Luis. „Sie sind so offen. Egal wo du herkommst, ob aus einer anderen Region Spaniens oder dem Ausland, du bist immer willkommen. Das ist nicht in jeder Stadt so.“
Chueca ist ein beliebtes Ausgeh-Viertel in Madrid. Während des Pride-Festivals drängen sich die Besucher dicht an dicht in den Straßen.
Szenetreff Kino
Wäre Europa eine Party, dann wäre Madrid der poltrige Gast, der vier Stunden zu spät mit einem Sixpack Bier und einer Boombox zur Tür hereinplatzt. Er würde nicht von der Tanzfläche zu kriegen sein, sich mit allen Gästen unterhalten und schmollen, wenn die Feier vorbei ist. In anderen Städten bedarf es bestimmter Verhaltensnormen, Regeln und einer sorgfältigen Planung, um das Beste aus der Nacht zu holen. Madrid ist das alles egal. Die Stadt ist relaxt, ziemlich anspruchslos und eigentlich nur darauf aus, Spaß zu haben. Und so soll es auch allen gehen, die in ihr unterwegs sind. Am Ende des Tages, wenn die letzten Sonnenstrahlen sich ihren Weg durch die Bögen der Puerta de Alcalá bahnen, beginnt die Metamorphose von der hoch intellektuellen Kulturhauptstadt zur Partymeile schlechthin.
„Wir wollten einen Ort schaffen, an dem die Leute vor dem Ausgehen ein Bier trinken und sich unterhalten können“, erklärt Sara Morillo. Sie zeigt mir die Sala Equis, ein Kino am Rande des Stadtteils La Latina. Es war das letzte Erwachsenenkino Madrids, als es 2015 seine Türen schloss. Sara hat ihm neues Leben als Filmsaal mit Retroschick eingehaucht. „Als wir öffneten, wurden wir der Gentrifizierung bezichtigt. Mir ging es aber nur darum, die Vergangenheit neu zu erfinden.“ Eingeweihte kommen schon früh am Abend, genehmigen sich ein Bier und lassen sich die Tacos von der Bar schmecken, während auf der Leinwand ein Stummfilm läuft. Das Kino ist ein trendiger Treffpunkt mit rankendem Efeu und einer blutroten Beleuchtung. An den unverputzten Wänden hängen Lichtkästen und sexy VintagePoster. „Die Einheimischen kommen gern zu uns“, meint Sara erleichtert. „Und für ein paar Euro kann man sich einen Film ansehen. Nicht schlecht, oder?“ Sara hat es eilig. Sie muss noch ein paar Erledigungen machen. Wie gesagt: Der Tag kann in dieser Stadt manchmal lästig werden.
Schokolade für müde Partygänger
In der Nacht lassen sich viele einfach von einer Location zur nächsten treiben. In Madrid ist das Was – sich unterhalten, tanzen, trinken – nämlich viel wichtiger als das Wo, Wann oder Warum. Definitiv zu den Wos gehört allerdings der Stadtteil Chueca, denn hier schlägt das Herz des Madrider Nachtlebens. Das traditionelle Viertel der LGBT-Szene zieht inzwischen eine bunte Menschenmischung an: Clubber, Barhopper, Familien, Junggesellinnen- und Junggesellenabschiede, Dragqueens, Hundeausführer, sich verstohlen küssende junge Pärchen und verwirrte Touristen. Auf der anderen Seite der geschäftigen Gran Vía, im Viertel Las Letras, gibt es eine Bar, die das ganze eklektische Temperament Madrids verkörpert. „Wir sind eine taberna inusual“, erzählt mir Diego Cabrera, Inhaber des Viva Madrid, „eine ungewöhnliche Kneipe. Wir machen gerne unser eigenes Ding.“ Diego, mit seinem grau melierten Bart und starken argentinischen Akzent, schenkt mir eine media combinación ein, einen süßen, rauchigen Drink aus Wermut und Bitterlikören. Sie gehört zu den Klassikern auf einer Cocktailkarte, die man in konventionellen spanischen Tavernen – wo typischerweise Bier und Wein serviert werden – vergebens sucht.
Die Chocolatería San Ginés versorgt hungrige Partygänger auch noch spät in der Nacht mit Leckereien.
Egal welchen Sünden man sich des Nachts hingibt: Alle Wege führen irgendwann unweigerlich zur Chocolatería San Ginés an der geschäftigen Puerta del Sol. Schon seit 1894 sorgt das Café zu jeder Tages- und vor allem Nachtzeit für das leibliche Wohl der Müden und Hungrigen. An den grün-weißen Wänden hängen Fotos berühmter Gäste, und auf der Bar stehen, aufgereiht wie Soldaten, unzählige Kaffeetassen. Bald werden sie mit geschmolzener Schokolade gefüllt und zusammen mit einer Portion Churros an die Partygänger verteilt. „Hombre, wir sehen hier alle möglichen Leute“, erzählt mir eine der Kellnerinnen, „Touristen am Tag und madrileños in der Nacht. Wer noch nicht nach Hause gehen möchte, kommt zu uns und isst Churros.“ Fast wie aufs Stichwort eilt sie zur Tür und begrüßt eine Bekannte, der Tränen übers Gesicht rollen. Nach vielen Küssen und Umarmungen wird die Freundin an einen Tisch gesetzt und bekommt einen Berg Churros und eine Tasse Schokolade serviert. Und schon ist ihre Welt wieder ein bisschen mehr in Ordnung.
Diese Ausgabe des NATIONAL GEOGRAPHIC Travelers erschien am 17.12.2021 im Handel.
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