Die spanische Meseta: Abenteuer im Land der Riesen

Das Land des Don Quijote erstreckt sich sowohl über die bekannten trockenen Ebenen als auch über unterschiedliche Ökosysteme, die von Bergen, Wäldern und Feuchtgebieten geprägt sind.

Von Stephen Phelan
Veröffentlicht am 17. Aug. 2022, 17:41 MESZ
Die spanische Meseta: Abenteuer im Land der Riesen
Im flachen Zentralspanien erheben sich Städte, Bauwerke und Naturformationen wie riesige Giganten – eine kulturelle Reise so abwechslungsreich wie die Landschaft der Region.

In Spaniens meseta central – der Hochebene des Landesinneren – gibt es Landstriche, wo alles, was größer ist als ein Mann zu Pferd, gigantisch über der Ebene aufzuragen scheint. Kein Wunder also, dass der fiktionale „Ritter“ Don Quijote die Windmühlen von La Mancha in seinem Wahn für Riesen hielt. Seine Fantasie wurde durch die Lektüre zu vieler Volksmärchen entfacht, die von den fantastischen Kreaturen dieser Region erzählen.

Don Quijotes Schöpfer – Miguel de Cervantes, der große Schriftsteller und Abenteurer des Goldenen Zeitalters Spaniens – beschreibt die Landschaft des Landesinneren von Spanien als staubigen, flachen und größtenteils leeren Raum, der zwischen den Großstädten und den von Strand gesäumten Küsten liegt. Ein mythischer, wenn auch etwas irreführender Eindruck. Auch heute noch können Fans des 400 Jahre alten Romans auf den Spuren des Helden wandeln, wenn sie der Ruta del Quixote folgen. Dort erwarten sie die von Cervantes beschriebenen Sehenswürdigkeiten und Kunstwerke.

Besonders eindrucksvoll sind die Windmühlen von Campo de Criptana mit ihren gigantischen hölzernen Armen. In ihren weiß gestrichenen Türmen findet man heute Museen für Bildhauerei, Poesie oder Wein vor. Die Region ist bekannt für ihre großen Weinanbaugebiete, von denen viele den Status DOP halten, der die höchste Stufe im Qualitätssystem für Wein bezeichnet.

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Es ist leicht nachzuvollziehen, warum Cervantes‘ Romanheld Don Quijote die Windmühlen von Campo de Criptana für Riesen gehalten hat: Die Rotorblätter umschlingen Juan, den Müller, der sie bedient, wie ausgestreckte Arme.

Foto von Matthieu Paley

Manchego-Safran sorgt zur Erntezeit in weiten Teilen des Gebiets für malerisch violette Blüten. Diese bringen wiederum die feuerroten Fäden hervor, die als „rotes Gold“ bekannt sind. Die Pflanze wurde hier zum ersten Mal im Mittelalter von Eroberern der Umayyaden angebaut. 

„Diese Gegend ist im Winter gelb und braun, aber im Sommer grün und blau“, erklärt Yuuria Moerano, Naturführerin im Nationalpark Tablas de Daimiel. „Es ist nicht das La Mancha, das die Leute erwarten.“ In den wärmsten Monaten ist der Nationalpark eine Art Oase, die heimische und saisonal anwesende Populationen von Wasservögeln wie Flamingos, Kraniche und Kormorane beherbergt. Schon lange vor Cervantes‘ Zeit haben Kräuterkundige Medizin aus den dort reichlich vorhandenen heimischen Pflanzen hergestellt – und wurden damit gemeinhin für Hexen gehalten. Die Isla del Pan – ein bewaldetes Eiland, das über der Flussaue zu schweben scheint – wurde nach dieser heidnischen Legende benannt. „Es ist im Grunde genommen ein Zauberwald“, sagt Moerano.

Auch andere einsame Gebiete in der Provinz sind fruchtbare Orte: In den Baumkronen des Cabañero Nationalparks tummeln sich seltene Vögel wie der Mönchsgeier und der Iberienadler. Sogar der Iberische Luchs wird manchmal zwischen den mediterranen Kiefern gesichtet. (Es gibt Bemühungen, dieses gefährdete Raubtier zu schützen).

Auch ein Besuch der Städte im Hinterland kann traumhaft sein: Cuenca wurde zum Beispiel von den Mauren als uneinnehmbare Festung an einem Kalksteinabhang hoch über einem Fluss erbaut. Seine casas colgadas – die „hängenden Häuser“ – lehnen bereits seit fast einem Jahrtausend über dem Abhang (wurden unterdessen aber immer wieder renoviert, eines der Häuser beherbergt sogar ein Museum für abstrakte Kunst).

Die Hauptstadt der Provinz – Toledo – erhebt sich wie ein Schichtkuchen aus verschiedenen architektonischen Stilen und Epochen aus dem Ackerland. Römische Fundamente tragen westgotische Kirchen, islamische Minarette und die Judäo-Mudéjar-Architektur des jüdischen Viertels – dominiert wird die Stadt vom hohen Glockenturm der Kathedrale von Toledo.

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    Der Glockenturm der Kathedrale von Toledo ragt in den Himmel – ein Koloss im städtischen Mix der architektonischen Stile.

    Foto von Matthieu Paley

    Auf der anderen Seite der Meseta, im ehemaligen Königreich Aragonien, spiegelt sich die Skyline von Saragossa im Fluss Ebro – ein weiterer wichtiger Ort der spanischen Geschichte. Römer, Muslime, Juden und Christen haben hier lange Zeit abwechselnd in Konflikten und Koexistenz miteinander gelebt. Die Basilica de Nuestra Señora mit ihrer beeindruckenden Kachel- und Kuppelkonstruktion gilt als Ort, an dem die Jungfrau Maria dem Apostel Jakobus 40 n. Chr. auf einer Holzsäule erschienen sein soll. Und der Aljaferia-Palast steht als mittelalterliches islamisches Wunderwerk, erbaut für die Hudid-Dynastie der Stadt. In den Straßen und auf den Plätzen dazwischen gibt es während der Herbstfeierlichkeiten von Pilar Aufführungen der jota zu sehen – ein Fruchtbarkeitstanz, der vom exilierten maurischen Dichter Aben Jot eingeführt wurde.

    Außerhalb der Stadtgrenzen fegt ein trockener Wind, der sogenannte cierzo, über die Ebenen. Sie sehen aus wie die Kulissen für ein Gemälde von Francisco de Goya – einem in der Region geborenen Künstler, dessen Werke auf Volkstraditionen und Aberglaube beruhen. Die alten Heiden in den aragonesischen Pyrenäen sahen in den hohen Gipfeln Ungeheuer, die Omes Hail genannt wurden, und hörten deren Stimmen als Hagelstürme in den Tälern.

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    In Ciudad Encantada, einer geologischen Stätte, die durch die Erosion mit Wind und Wasser in der Nähe der Stadt Cuenca entstanden ist, reihen sich riesige Felsformationen aneinander, die wie geduckte, muskulöse Körper von Riesen aussehen.

    Foto von Matthieu Paley

    Der schiere Reichtum an Mythen führte auf der anderen Seite der Hochebene in Extremadura dazu, dass es in den Bergdörfern von Las Hurdes ebenso viele imaginäre Wesen wie lebende Menschen gibt. Neben dem haarigen Riesen Pelujancanu nehmen auch der Ziegenbock Machu Lanú und der Regenbringer Entihnaol an der jährlichen Parade des Karnevals von Hurdano teil. Die Fabelwesen huldigen den landwirtschaftlichen Zyklen, die die Zutaten vieler Rezepte der ansässigen Küche liefern und dieser Region ihren gastronomischen Ruf einbrachten. 

    „Es ist eine bescheidene, existenzsichernde Küche“, sagt der Koch Francisco Refolio aus Cáceres, der eklektischen und archaischen Stadt, die manchmal als „Speisekammer Spaniens“ bezeichnet wird. Gleichzeitig inspirierten aber wohl auch einige komplexe Brühen und Eintöpfe die französische Haute Cuisine, so Refolio. Eine volkstümliche Fabel erzählt von einem napoleonischen General, der ein Rezeptbuch aus einem Kloster des Ortes stahl – und damit den Lauf der gastronomischen Geschichte veränderte. Einige ausgewählte Lebensmittel werden laut Refolio nach DOP-Standards und „althergebrachten Methoden“ in der gesamten Extremadura hergestellt: Kirschen aus dem Jerte-Tal, cremige Käsesorten aus Casar de Cáceres und Acehúche, Zicklein aus Cáceres selbst und der weltberühmte iberische Schinken aus dem „einzigartigen Ökosystem“ des nahe gelegenen Waldes dehesa, dessen Eicheln den Geschmack des Schinkens ausmachen.

    „Seine sensorischen Eigenschaften in Bezug auf Aussehen, Geruch und Geschmack sind beachtlich“, sagt Refolio. Heutzutage kann das grasbewachsene, hügelige Gebiet des schwarzen Iberischen Schweins sogar auf Gastro-Touren zu Pferd erkundet werden. Dabei werden auch Höfe angesteuert, die den jamón produzieren. Dort kann man dann essen wie einst ein hungriger Don Quijote.

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