Wellen von Nazaré: Der Mount Everest für Surfer

Vor der portugiesischen Stadt Nazaré brechen sich im Winter die größten Wellen der Welt – lange galten sie für Surfer als unbezwingbar. 2020 stellte der Deutsche Sebastian Steudtner einen Weltrekord auf.

Von Eve Conant
Veröffentlicht am 18. Aug. 2022, 10:51 MESZ
Vor der portugiesischen Stadt Nazaré brechen sich im Winter die größten Wellen der Welt – lange ...

Vor der portugiesischen Stadt Nazaré brechen sich im Winter die größten Wellen der Welt – lange galten sie für Surfer als unbezwingbar. 2020 stellte der Deutsche Sebastian Steudtner einen Weltrekord auf.

 

Foto von Aleksey Snezhinskij

Mystisch. Unbändig. Der Eindruck von endlosem Wasser. Nie weiß man, wo die nächste Welle brechen wird. „Sie kommen von überall her auf einen zu“, sagt die Brasilianerin Maya Gabeira über die Monsterwellen vor Nazaré in Portugal. Eine hätte sie fast umgebracht. Eine andere bescherte ihr den Weltrekord für die größte Welle, die jemals von einer Frau gesurft wurde. „Da war einfach so viel Wasser“, erinnert sie sich. „Die Welle bewegte sich unter meinem Board, und es fühlte sich so an, als ob ich von ihr ewig hinunterreiten könnte, wie von einem riesigen Berg.“ Die Wellen, die sich über Europas größtem Unterwasser-Canyon auftürmen – etwa fünf Kilometer in der Tiefe und fast 200 Kilometer in der Länge – haben die kleine Küstengemeinde Nazaré jahrhundertelang in den Bann gezogen, aber auch in Angst und Schrecken versetzt. Niemand konnte die im Winter gigantischen Wellen erfolgreich surfen – zumindest nicht, bis der Amerikaner Garrett McNamara es auf Drängen Einheimischer 2010 versuchte. „Als ich zum Leuchtturm kam, erblickte ich die größten Wellen, die ich je gesehen hatte“, sagt er. Aber das Wetter war schrecklich. „Ich dachte mir: Das wird fantastisch, sobald wir den richtigen Wind haben.“ McNamara studierte das Meer ganz genau, und dann, 2011, ritt er die rekordverdächtige fast 24 Meter hohe Monsterwelle. Von da an galt das einst ruhige Fischerdorf als Mount Everest für Surfer oder auch Heiliger Gral der Riesenwellen. Den derzeitigen Weltrekord hält der Deutsche Sebastian Steudtner. Er bezwang 2020 in Nazaré eine 26 Meter hohe Monsterwelle.

Die Wellen von Nazaré: Gefährlicher Ritt für Surfer

Hier zu surfen bedeutet, sich den Naturgewalten auszusetzen und sie als unverhandelbar zu respektieren. Die besonderen Unterwasserstrukturen erhöhen Volumen, Tempo und Unberechenbarkeit der Wellen. Außerdem gibt es einen sogenannten beach break – die Wellen schlagen auf Sand, nicht auf Fels oder Korallen. „Wegen der Stürme, der Winde und der großen Wellen ist der Sand immer in Bewegung“, sagt der portugiesische Surfer António Laureano, mit 19 Jahren einer der jüngsten Big-Wave-Surfer hier. Die Wellen sind oft sehr unruhig, was die Herausforderung noch größer macht. Feste Regeln gibt es nicht – außer, dass man die Riesenwellen nicht alleine bezwingen kann. Jetski-Fahrer ziehen die Surfer auf die Wasserberge. Oft gibt es noch einen zweiten Fahrer, falls etwas wirklich schiefgeht. Oben, am nahe gelegenen Leuchtturm, halten Spotter mit Walkie-Talkies Ausschau nach den besten Wellen. Auf der Klippe und am Strand darunter tummeln sich Einwohner, Beamte der Schifffahrtsbehörde, Rettungsteams und Angehörige.

Die Surfer auf den Riesenwellen von Nazaré ziehen zahlreiche Schaulustige an.

Die Surfer auf den Riesenwellen von Nazaré ziehen zahlreiche Schaulustige an.

Foto von Gil Ribeiro / Unsplash.com

Die Suche nach der 30-Meter-Welle

Sie alle haben ein wachsames Auge auf die Surfer und begleiten die Höllenritte mit einer Mischung aus Hoffnung und Furcht. „Hier kann man den Surfern etwas zurufen, und die können es hören“, sagt McNamara. „Man fühlt die Erschütterung im Boden und wird von der Gischt eingenebelt.“ Beim Surfen gibt es keine mit Kreide gezogene Ziellinie. „Alles ist dynamisch, das Wasser ist ständig in Bewegung“, sagt Miguel Moreira, Professor am Institut für Menschliche Kinetik der Universität Lissabon. Er ist einer der wenigen Experten, die sich darum bemühen, Surfrekorde besser messbar zu machen. Selbst Surfern fällt es schwer, die genaue Größe einer Welle zu schätzen. „Man weiß, wenn sie groß ist, aber man weiß nicht, wie groß“, sagt António Laureano. Maya Gabeira wusste zumindest, dass ihre Rekordwelle „die extremste“ war, die sie selbst je gesurft hatte – hinter sich hörte sie das tosende Wasser, dröhnend wie eine Explosion.

Surfer sind seit jeher auf der Jagd nach solchen Riesenwellen. „Das war schon immer das wichtigste Gesprächsthema: Wo ist die 30-Meter-Welle?“, sagt der britische Surfer Andrew Cotton. „Wie konnte sich die größte Welle der Welt die ganze Zeit vor aller Augen verstecken?“ Er kann es immer noch nicht fassen. „Nazaré ist schließlich ein richtiges kleines Städtchen, und die Riesenwellen brechen direkt vor dem Leuchtturm.“ Eine Sache ist sicher. Die Wellen haben die Stadt verändert – und diejenigen, die auf ihnen surfen. Maya Gabeira, die 2013 bewusstlos aus dem Wasser gezogen wurde, hat die Begegnung mit dem Tod demütiger gemacht, menschlicher. Laureano kann sich nicht erklären, wie er oder andere Surfer überhaupt überleben: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich Superkräfte besitze. Die Energie und die Kraft, die die Wellen haben, scheinen aus einer anderen Welt zu stammen“, sagt er. „Es ist magisch.“ Und mystisch. Und unbändig.

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    Foto von National Geographic

    Dieser Artikel erschien in voller Länge mit umfangreichen Grafiken zu den Meeresströmungen vor Nazaré im National Geographic Magazin 8/22. Verpassen Sie keine Ausgabe mehr: Sichern Sie sich die nächsten 2 Ausgaben zum Sonderpreis!

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