Lanzarote: Zwischen tiefblauem Meer und weißen Teufeln

Die Vulkanlandschaft Lanzarotes hat feurige Mythen und Legenden inspiriert. Aber die Insel bietet auch einige der strahlendsten Farben und ruhigsten Orte der Kanaren – und jede Menge kulinarische Highlights.

Von Stephen Phelan
Veröffentlicht am 25. Okt. 2023, 18:11 MESZ
Brodelnde Lava und rauchende Krater: Der Fotograf Matthieu Paley entdeckt auf seiner Reise durch Lanzarotes die vulkanische Geschichte der Insel.

Jedes Jahr im Februar schleichen sich die Teufel nach Teguise. Ihre Ankunft wird vom Läuten kleiner Glocken begleitet. Furchterregend ziehen sie durch die Straßen der Gemeinde, versteckt hinter ziegenartige Masken mit gewundenen Hörnern und spitzen Zähnen. Ihre Körper stecken in weißen Overalls mit bunten, folkloristischen Mustern. Sie tragen Laufschuhe, um die kreischenden einheimischen Kinder durch die Straßen jagen zu können. In einer Hand prangt ein langer Holzstock mit Ziegenfelltaschen – jedes Kind, das sie erwischen, bekommt damit einen sachten Hieb auf den Kopf.

Dieses Spektakel ist der Karneval der diabletes, der „kleinen Teufel“. Seit mehr als 600 Jahren wird er in der ehemaligen Kolonialhauptstadt Lanzarotes gefeiert (mit Ausnahme einer langen Zeitspanne, in der er von der spanischen Kirche und Krone verboten wurde). Die Ursprünge des Festes liegen jedoch noch viel weiter in der Vergangenheit, „in den Landwirtschafts- und Fruchtbarkeitsriten der alten Mahos oder Lanzaroteños“, erklärt Francisco Hernandez Delgado.

Der gebürtige Teguise wuchs selbst mit dem Schrecken und der Freude an den Diabletes auf. Er hat sich seither eingehend mit diesen Bräuchen befasst, mittlerweile ist er als offizieller „Chronist“ seiner Heimatstadt tätig. Man vermutet, dass die frühen Einwohner der Insel diese unheimlichen Dämonentänze aus den Dörfern ihrer Vorfahren in Nordafrika mitgebracht haben, erklärt er. Sie haben außerdem viele Gemeinsamkeiten mit Ritualen aus den Ländern Lateinamerikas.

Als die Spanier im 15. Jahrhundert die Kanarischen Inseln vom Festland aus eroberten, brachten sie ihre eigenen franziskanischen Feste mit. „Zu Fronleichnam inszenierten sie einen Kampf zwischen Gut und Böse und banden die Tänzer von Lanzarote als Darsteller des Teufels ein“, sagt Francisco. Auf diese Weise wurde eine heidnische Tradition in ein christliches Fest integriert. Das war nur ein kleiner Teil eines umfassenderen historischen Prozesses, bei dem mehrere Kulturen auf der Insel zu einer feurigen Einheit verschmolzen.

Der Diabletes-Maskenbauer Carmelo Miguel Cejas Delgado trägt seine dämonische Kluft zur Schau – er ist ein stolzer Teilnehmer des kulturellen Festes der Teufel von Teguise, das seit mehreren hundert Jahren gefeiert wird.

Foto von Matthieu Paley

„In dem Gebiet, das durch Ureinwohner, Mauren, Normannen und Kastilier geprägt wurde, wurden solche Zusammenkünfte schließlich von der Heiligen Inquisition verboten”, sagt Francisco. Die Mythologie Lanzarotes entstand letztendlich aus diesem ganz eigenen Schmelztiegel der Kulturen. Sie ist aber auch ein Produkt der Umgebung selbst, die von Vulkanen erschaffen wurde und unter deren Oberfläche es immer noch brodelt.

Gewaltige Ausbrüche in den Jahren 1720, 1736 und 1824 schufen im Westen der Insel ein riesiges Gebiet mit Lavafeldern und rauchenden Kegeln. Diese epischen Landschaften stehen heute durch den Naturpark Los Volcanes unter Schutz. Er ist Teil des Nationalparks Timanfaya. Touristenbusse, Wanderwege und Kamelpfade führen um die Ränder der mondähnlichen Krater und über die Montañas del Fuego oder Feuerberge (tatsächlich sind es keine echten Berge, sondern versteinerte Magmaströme).

Innerhalb des Los Volcanes-Naturparks befindet sich ein schattiger, von Feigenbäumen gesäumter Abgrund, der in ein tiefes, dunkles Loch führt. Einst glaubte man, es handele sich dabei um ein Tor zur Unterwelt. Sowohl der Vulkan als auch die Höhle sind nach Pedro Perico benannt – einem legendären Hirten aus der Region. Er soll hier mit einem riesigen, bösartigen und möglicherweise vom Teufel besessenen Ziegenbock gekämpft haben. Als er mit dem Tier rang, hielt sich der Held an dessen Hörnern fest, so die Legende. Gemeinsam sollen beide in den Abgrund gestürzt und nie wiedergesehen worden sein. 

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    Einer der „Feuerberge“ im Nationalpark Timanfaya. Die marsähnliche Landschaft ist geprägt von Lavafeldern, rauchenden Kratern und Gipfeln, die durch Vulkanausbrüche vor Hunderten von Jahren entstanden sind.

    Foto von Matthieu Paley

    So wird es in den mündlichen Überlieferungen der Insel erzählt. Mindestens ein Kulturanthropologe hat die Geschichte auf die Zeit um 1500 datiert. Aber Professor Domingo Concepción García glaubt, dass sie wahrscheinlich noch älter ist – älter sogar als die heutige Insellandschaft. Vermutlich geht sie auf eine andere Legende der ersten Bewohner Lanzarotes zurück. Der Professor, der sich mit der Biologie und Gastronomie der Insel befasst, vertritt die Theorie, dass die Menschen der Sahara mit ihren Ziegen in rudimentären Flößen hierher segelten, als die Ränder der großen Wüste noch deutlich grüner waren als heute.

    „Sie brachten auch Getreide und alte Sorten wie Gerste mit“, sagt er. Aus diesen Zutaten wurde das charakteristische Gofio-Mehl hergestellt, das einen wichtigen Beitrag zur Ernährung der Bevölkerung leistete. Noch heute ist es ein Grundnahrungsmittel und eine typische Zutat der kanarischen Küche. Es wird von den besten Köchen in den besten Restaurants der Insel verwendet. Der Professor stellt sein Gofio jedoch selbst aus gerösteten Körnern her und trinkt jeden Morgen zum Frühstück die Milch der Ziegen seines Bruders. Da er aus einer relativ armen Bauernfamilie stammt, erinnert er sich an die Zeit, als die Nahrungsmittelvielfalt auf der Insel ziemlich eingeschränkt war.

    „Von Montag bis Freitag gab es Suppe, samstags Fisch und sonntags Fleisch in Form von Compuesta oder Puchero [einfache rustikale Eintöpfe].“ Die wachsende Beliebtheit von Lanzarote als Reiseziel hat in den letzten 50 Jahren viel mehr Abwechslung gebracht, sagt er. Und obwohl die Topografie im Allgemeinen ungünstig für die Landwirtschaft ist – das Klima ist zu trocken und es gibt zu wenig Wasserquellen –, haben die vergangenen Eruptionen die Hänge des Timanfaya mit nährstoffreicher Asche gedüngt.

    Reisende können heute ausgezeichnete Weine aus den lokalen Weingütern probieren, deren Trauben in der vulkanischen Erde gut gedeihen. Zum Mittagessen können sie im El Diablo einkehren, wo Hühnchen, Schweinefleisch und Steak über der brodelnden Hitze aus dem Erdinneren gebraten werden. Dieses berühmte Restaurant wurde von dem verstorbenen Künstler César Manrique entworfen, der auch für die Gestaltung des beeindruckenden Besucherzentrums des Parks verantwortlich war.

    Auf dem mit Asche angereicherten Vulkanboden von Lanzarote gedeihen die Trauben besonders gut. Sie werden in kleinen Senken angepflanzt und durch niedrige Steinmauern vor dem Wind geschützt. Das Ergebnis: ausgezeichnete Weine, die die Besucher vor Ort genießen können.

    Foto von Matthieu Paley

    Zu Manriques zahlreichen weiteren charakteristischen Gebäuden und Landschaftsskulpturen gehören der Jardín de Cactus – der Kaktusgarten von Guatiza – und das Kulturzentrum in Jameos del Agua. Dort schallt Live-Musik durch vulkanische Kammern, in denen blinde Albinokrabben leben. Eines seiner Häuser baute Manrique in einem Palmenhain in Haría (heute ein Museum), ein anderes über Lavafeldern in Tahíche (heute Sitz der Stiftung César Manrique). Die Besucher können dort Gemälde betrachten, die er von Künstlern wie Picasso und Miró sammelte, aber auch seine eigenen Werke, die von den Konturen und Farben von Lanzarote inspiriert wurden: die staubigen Rottöne und verbrannten Schwarztöne vergangener Katastrophengebiete, die längst zu gespenstischer Schönheit transformiert wurden der azurblaue Himmel und das kobaltblaue Meer dahinter, das tiefe Grün der Olivinkristalle, die auch in Meteoriten und auf der Marsoberfläche vorkommen, und aus denen der lokale Peridot-Schmuck hergestellt wird, und das Orange-Gelb der uralten Xanthoria-Flechten, den ältesten Lebewesen der Insel.

    Dann ist da noch der strahlend weiße Anstrich der traditionellen Häuser, oft mit blauen oder grünen Holzverkleidungen. Viele von ihnen verfügen über charakteristische Innenhöfe und Dächer, die zum Auffangen des gelegentlichen Regens geneigt sind. Manrique setzte sich in den Anfangsjahren des Tourismusbooms für den Erhalt dieser Bauweisen ein. Sein leidenschaftliches Engagement für die Architektur Lanzarotes ist wahrscheinlich der wichtigste Grund dafür, dass selbst die belebtesten Küstenorte – Puerto del Carmen, Playa Blanca, Costa Teguise – nicht von generischen Hochhaus-Ferienwohnungen dominiert werden und ihren ursprünglichen dörflichen Charakter bewahrt haben.

    Ein gewisses Gleichgewicht herrscht auch in ruhigeren Strandgemeinden wie La Santa. Das Örtchen nennt noch immer eine kleine Fischerflotte sein eigen, lockt aber auch Besucher aus der ganzen Welt zum Wassersport. Die ablandigen Winde und Wellen sind besonders einladend für Surfer, die den ganzen Tag auf den begehrten Lefthanders (linksbrechenden Wellen) reiten – und abends die ebenso berühmten roten Garnelen verspeisen.

    Solche Enklaven sind überall auf der Insel zu finden. Im Westen fällt das Land von Pedro Perico zu versteckten Buchten hin ab. Hier schweben Sturmtaucher und Wanderfalken über geschützten Stränden. Im Norden sind der heiße, feine Sand und die Chiringuito-Bars des Strandes La Garita zu finden, aber auch die Ruhe des weißen Strandes Caletón Blanco mit seiner aquamarinblauen Bucht zwischen Lavafelsen.

    Die Bucht ist ein symbolischer Mikrokosmos von Lanzarote. Hier treffen magmageformte Mondlandschaften auf das Meer. Die Szenerien der Insel erwecken den Anschein eines natürlichen Gleichgewichts, das wir Menschen nur bestaunen können. César Manrique hat es einst so formuliert: „Alles ist bereits vom Universum entdeckt. Jetzt müssen wir nur noch bescheidener sein… und mit allen Mitteln versuchen, Lehren aus der Erfahrung von Millionen von Jahrhunderten dieses großartigen Gleichgewichts natürlicher Perfektion zu ziehen.“

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