Alleskönner: So vielfältig sind Ameisen

Superschnell, bunt, haarig: Der Fotograf Eduard Florin Niga hat Portraits von Ameisen gemacht, die zeigen, wie schön und vielseitig diese kleinen Insekten sein können.

Von Douglas Main
bilder von Eduard Florin Niga
Veröffentlicht am 21. Mai 2021, 15:16 MESZ
Gigantiops-destructor

Die Ameise Gigantis destructor lebt in Südamerika und hat, im Vergleich zu ihrem Körper, die größten Augen aller weltweit bekannten Ameisenarten.

Foto von Eduard Florin Niga

Wenn die Silberameise über den heißen Sahara-Sand Nordafrikas saust, bricht sie alle Rekorde der Insektenwelt: Knapp einen Meter legt sie pro Sekunde zurück. Für einen Menschen würde das bedeuten, eine Distanz von über zweieinhalb Fußballfeldern in einer Sekunde zu laufen.

Auch die Schildkrötenameisenart Cephalotes atratus hat einiges zu bieten. Sie lebt in den Baumkronen des südamerikanischen Regenwaldes und wird wegen ihres Panzers als der „Darth Vader der Tierwelt“ bezeichnet. Ihre flachgedrückte Körperform erlaubt der Ameise von Wipfel zu Wipfel zu gleiten. Und dann sind da die Blattschneiderameisen: Einige Unterarten besitzen einen natürlichen Panzer, der aus Steinchen, Myzelien aus eigener Pilzzucht und Stückchen wiedergekäuter Pflanzen gebildet wird – Landwirtschaft am eigenen Leib quasi.

All diese kleinen Tiere hat Fotograf Eduard Florin Niga für sein neues Buch „Ants“, das am 18. Mai 2021 erschienen ist, portraitiert. Seine Arbeit solle die Welt um uns herum sichtbar machen wie unter einem Mikroskop, sagt er. Ein Mikrokosmos, der mit bloßem Auge unmöglich zu erkennen sei.

Die in Borneo ansässige Diacamma rugosum ist die einzige Ameisenart, die keine Königinnen hat. Stattdessen treten Arbeiterameisen in einen Wettkampf miteinander: Wer gewinnt, darf am Ende Eier legen.

Foto von Eduard Florin Niga

Die Silberameise ist eine der schnellsten Ameisen der Welt. In einer Sekunde bewegt sie ihren kleinen Körper fast einen Meter über die Wüste der Sahara.

Foto von Eduard Florin Niga

„Was mich direkt angesprochen hat, war zu sehen, wie vor meinen Augen ein Mikrokosmos zum Leben erweckt wurde“, berichtet der Fotograf. Und nachdem er den Ameisen eine Weile zugeschaut hatte, stellte er fest „wie phänomenal ihre Kolonien sind – so viel raffinierter und interessanter als unsere Gesellschaft“.

Seine „Passbilder“ von Ameisen, die immer nur den Kopf der Tiere zeigen, gewährten selbst erfahrenen Entomologen nähere Einsicht in das Leben ihrer Studienobjekte, die sie jetzt in noch nie dagewesener Genauigkeit sehen können.

„Es war als hätten Eduards Fotos für mich eine Tür zu einer komplett neuen Welt geöffnet“, sagt Roger Strotmann, ein unabhängiger Ameisenforscher aus Deutschland und Mitarbeiter Nigas. „Es gibt so viele morphologische Details, die ich ohne seine Arbeit nie entdeckt hätte“.

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    Forscher wissen wenig über die Spezies Polyrhachis medusa aus Tansania.

    Foto von Eduard Florin Niga

    Eine golden glänzende Honigameise aus Mexiko.

    Foto von Eduard Florin Niga

    Die Gnamptogenys bicolor lebt in China und angrenzenden Gebieten und hat bunt schillernde Pockennarben auf ihrem Kopf, die ihr als Tarnung dienen.

    Foto von Eduard Florin Niga

    Die Blattschneiderameise Atta cephalotes züchtet auf ihrem Körper Pilze.

    Foto von Eduard Florin Niga

    Über die Tochter zum Fotoband

    Schon während seiner Kindheit im ländlichen Rumänien war Niga an Ameisen interessiert. Wirklich Feuer fing er aber erst vor ein paar Jahren. Auslöser war seine Tochter, die eine Ameise in einem Park in London sah und fragte: „Aber wo sind ihre Augen?“

    Niga wusste keine Antwort und beschloss, seine Fotografenkenntnisse zu nutzen, die er während seiner Zeit in der rumänischen Polizei erlernt hatte, um Tatorte zu dokumentieren (heute lebt er in London, wo er Englisch und Mathematik unterrichtet).

    Danach konnte er die Frage seiner Tochter beantworten: „Sieh, hier sind die Augen. Und da. Und da.“ Denn eine Ameise ist nicht wie die andere: Einige Ameisen wie die Wanderameise sind so gut wie blind und nutzen Gerüche und ihren Tastsinn, um sich fortzubewegen. Andere wiederum wie die Gigatiops destructor haben riesige Augen, die fast den gesamten Kopf bedecken. Vermutlich, um ihnen beim Aufspüren von Nektar und kleinen Gliederfüßlern zu helfen, während sie auf der Nahrungssuche durch den Amazonas-Regenwald springen. Die Silberameise hingegen hat gleich drei Augen in der Mitte ihrer Stirn, mit denen sie Licht erkennen kann.

    Die in Lateinamerika beheimatete 24-Stunden-Ameise (Paraponera clavata) hat einen der schmerzhaftesten Stiche aller Insekten. 

    Foto von Eduard Florin Niga

    Ein weiteres Mitglied der Camponotus genus-Familie, eine besonders große und komplexe Ameisenart, die weltweit verbreitet ist und 1000 Unterarten zählt.

    Foto von Eduard Florin Niga

    Das Gift der Pogonomyrmex macricopa, einer Ameise die in Arizona und angrenzenden US-Bundesstaaten weit verbreitet ist. Das Gift dieser Gattung ist stärker als das von Honigbienen und kann starke Schmerzen verursachen.

    Foto von Eduard Florin Niga

    Eine Arbeiterameise der Gattung Polyrhachis beccarii. Sie lebt in Südostasien, ihr Körper ist bedeckt mit goldenen Härchen.

    Foto von Eduard Florin Niga

    Wie portraitiert man eine Ameise

    Um diese extremen Nahaufnahmen zu schießen, baute sich Niga in seinem Haus in London eine Ausrüstung, mit der die einzelnen Bereiche des Ameisenkopfs machen konnte. Um das komplette Bild eines Ameisenkopfs einfangen zu können, musste der Fotograf teilweise mehr als 1.000 einzelne Fotos machen und diese bis zu 20-fach vergrößern. Seine Modelle waren beim Shooting in der Regel tot. Manche rehydrierte Niga vor der Fotosession, damit sie wieder fast so aussahen wie zu Lebzeiten. Die verschiedenen Exemplare bekam er von Dutzenden Mitarbeitern aus aller Welt – in der Regel mit der Post.

    Nachdem alle Fotos geschossen waren, fügte sie Niga mit Hilfe einer Bildbearbeitungssoftware zusammen, mit einem, wie er sagt, oft verblüffenden Ergebnis. So dachte er zunächst, dass die Polyrhachis-Ameise eine eher unscheinbare Ameisenart sei, bis die hochaufgelösten Bilder zeigten, dass ihr ganzer Körper mit golden glänzenden Härchen bedeckt ist.

    Eleanor Spicer Rice, eine unabhängige Ameisenforscherin, die auch die Texte für Nigas Buch geschrieben hat, war eigenen Angaben zufolge überrascht als sie entdeckte, dass viele Ameisen schillernde Farben und metallisch glänzende Exoskelette haben. Wissenschaftler glauben, dass die Farben dazu dienen, die Ameisen wie taubedeckte Zweige aussehen zu lassen – was sie vor ihren natürlichen Feinden schützt.

    Der flache Kopf dieser Schildkrötenameisenart ermöglicht ihr, von Wipfel zu Wipfel des südamerikanischen Regenwalds zu gleiten.

    Foto von Eduard Florin Niga

    Spicer Rice sagt, dass ihre langehegte Liebe zu Ameisen durch die Arbeit an Nigas Buch wieder aufgelebt wurde: „Es gibt so viele verschiedene Arten … und sie sind so außergewöhnlich und schön. Und sie leben überall um uns herum“.

    Man muss auch nicht weit gehen, um sie zu bewundern, sagt Spicer Rice, die in Raleigh im US-Bundesstaat North Carolina lebt. Weltweit gibt es mindestens 15.000 verschiedene Ameisenarten, und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass einige dieser coolen Spezies im eigenen Hinterhof oder unter dem Gehweg leben.

    Ameisenkiefer schnappt in unter einer Millisekunde zu

    An der gesamten Ostküste der USA beispielsweise lebt eine Ameisenspezies, die als „Sklavenhalter“ bezeichnet wird, da sie die Ameisenpuppen anderer Arten stehlen und sie aufziehen als seien es ihre eigenen. Auf diese energieschonende Art und Weise beschaffen sie sich zusätzliche Arbeitskräfte für ihren eigenen Staat. Und dann gibt es noch die Ameisen in den Gehwegen. Sie leben weltweit unter dem Asphalt der Städte, wo sie sich im Frühling spektakuläre Gefechte liefern.

    „Wenn Menschen an Ameisen denken, dann meistens nur an die Arten, die ihnen lästig sind“, sagt Spicer Rice. „Aber es gibt so viele verschiedene Arten auf der Welt und sie leisten alle wahrlich Unglaubliches.“

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