Eier am Bein: Brutpflege in der Jurazeit belegt

Die Fossilien einer chinesischen Ruderwanze aus der Jurazeit sind der älteste Beleg für Brutpflege bei Insekten. Sie zeigen ein einzigartiges Verhalten, das in dieser Form noch bei keinem weiteren Insekt festgestellt werden konnte.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 12. Aug. 2022, 11:50 MESZ
Illustration der Urzeit-Ruderwanze K. popovi am Boden eines Gewässers.

Die Urzeit-Ruderwanze K. popovi hatte ein für dieses Insekt einzigartiges Brutverhalten: An ihrem linken Bein trugen die Tiere ihre Eier in traubenartiger Formation mit sich. 

Foto von Nanjing Institute of Geology and Palaeontology, Chinese Academy of Sciences

Einige Familien der Vögel sind regelrechte Fürsorge-Profis, was ihren Nachwuchs angeht: Pinguine bilden zum Beispiel eine Art Kindergartengruppe mit ihren Jungtieren, damit sich ein Großteil der erwachsenen Tiere auf die Futtersuche begeben kann, ihr Nachwuchs aber gleichzeitig geschützt und versorgt ist. Dieses Verhalten nennt man Brutpflege. Manche Tiere betreiben diese allerdings kaum oder gar nicht – so zum Beispiel Amphibien, Reptilien und auch die meisten Insekten. 

Dass dies aber einmal anders gewesen sein muss, zeigt die neue Entdeckung eines chinesischen Forschungsteams unter der Leitung von Diying Huang vom Nanjing Institute of Geology and Palaeontology der Chinese Academy of Sciences (NIGPAS). In ihrer Studie, die in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B erschien, berichten sie von ihrem einzigartigen Fossilfund: Bei der ausgestorbenen Ruderwanzenart Karataviella popovi konnten die Forschenden die frühesten Anzeichen von Brutpflege bei Insekten überhaupt feststellen – mit einem bislang einmalig beobachteten Verhalten. 

Einzigartige Brutpflege bei K. popovi

Die Brutpflege entwickelte sich über Jahrmillionen parallel innerhalb mehrerer Spezies. Diese bei fossilen Organismen nachzuweisen, gestaltet sich allerdings schwierig, da die Zeitspanne der Brut- und Aufzuchtphasen oft sehr kurz ausfällt. Bei der einst im Wasser anzutreffenden Ruderwanze K. popovi konnten die Forschenden aus China jedoch bei 30 weiblichen Individuen solche Brutpflegeaktivitäten feststellen.

Insekten wie aus einer anderen Welt
Eine Fangschrecke schlägt blitzschnell aus dem Hinterhalt zu – das Opfer hat keine Chance.

Für ihre Studie untersuchten sie 157 Fossilien aus der Haiffangou-Formation nahe Daohugou im Nordosten von China. Diese Felsformation ist reich an Fossilien – neben Insekten wie der untersuchten Ruderwanze finden sich dort auch Dinosaurier- und Urzeit-Säugetierfossilien. Die 30 identifizierten Weibchen von K. popovi trugen laut den Forschenden eine Ansammlung von Eiern an ihrem linken mittleren Bein, angeordnet wie Trauben. Ein Sensationsfund, denn die Fossilien werden auf 163,5 Millionen Jahre datiert, stammen also aus der mittleren Jurazeit – und sind damit der älteste Beweis für Brutpflege bei Insekten und auch der einzige dieser Art, der jemals bei dieser Klasse nachgewiesen werden konnte. 

Befestigung am linken Bein

Die winzigen Eier, die lediglich zwischen 1,14 und 1,20 Millimetern messen, sind in eng gepackten Reihen angeordnet. Jedes von ihnen ist mithilfe eines kleinen Stiels an einem Teil des mittleren Beins der linken Seite verankert, dem sogenannten Mesotibia. Sechs bis sieben Eier sind es pro Reihe, die jeweils wiederum übereinander gestaffelt werden. Für K. popovi, die nur circa 12 Millimeter lang waren, stellten die Eier ein großes Gewicht dar. 

Die Forschenden vermuten, dass die Weibchen einen haftenden Schleim als Sekret produzierten, mithilfe dessen sie die Eier mit bestimmten Körperbewegungen an ihrem linken Bein befestigten. „Das unbelegte rechte Mesotibia könnte dazu genutzt worden sein, um die Balance während des Schwimmens und der Nahrungsaufnahme zu halten”, heißt es in der Studie.  

BELIEBT

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    Darstellung der Eier von K. popovi, die sie am Mesotibia des linken Beins mit sich trugen. 

    Foto von Nanjing Institute of Geology and Palaeontology, Chinese Academy of Sciences

    Warum Urzeit-Insekten Brutpflege betrieben

    Dieses Verhalten der Brutpflege ist bislang einzigartig und konnte bei keiner anderen Art der Insekten nachgewiesen werden. Auch heute leben Ruderwanzen noch in diversen Frischwasser-Ökosystemen auf der ganzen Welt. Ihre Eier legen die Weibchen jedoch an verschiedenen Orten unter Wasser ab und kleben sie dort fest, zum Beispiel an Steinen oder Wasserpflanzen. Warum also war es bei den Urzeit-Ruderwanzen nötig, die Eier mit sich herumzutragen? 

    Die Urzeit-Ruderwanzen hatten ihren Lebensraum wahrscheinlich in stehenden Gewässern. Da die Eier ausreichend Sauerstoff benötigen und deshalb belüftet werden müssen, vermuten Diying Huang und sein Team, dass durch das Herumtragen der Eier die maximale Bewegung und Belüftung dieser garantiert werden konnte. Des Weiteren dienen Brutpflegestrategien zum Schutz vor Fressfeinden. „Aufgrund des potenziell hohen Prädationsrisikos durch die zahlreichen Salamander im Daohugou-Ökosystem und des saisonalen Nahrungsangebots könnte K. popovi einem starken ökologischen Druck ausgesetzt gewesen sein”, erklärt Huang. Dieser Druck könnte zur beobachteten Brutpflegestrategie geführt haben, um das Überleben der Nachkommen zu sichern. 

    Ihr sensationeller Fund trägt zum Verständnis der Evolution dieser Insektenart und ihrer Brutpflege bei. So lässt sich möglicherweise auch eines Tages bestimmen, wann sich die Strategien der Tiere verändert haben – und warum Insekten heute größtenteils keine Brutpflege mehr betreiben.

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