Auswilderung deutscher Haie: So sollen die Bestände gerettet werden

Weltweit sind zahlreiche Haiarten vom Aussterben bedroht. Sie spielen jedoch eine zentrale Rolle für den Erhalt der Ökosysteme im Meer und müssen geschützt werden - auch in Deutschland.

Von Sarah Langer
Veröffentlicht am 7. Juli 2023, 12:06 MESZ
Auswilderung von Haien

Auch in der Nordsee gibt es Haie. Sie sind jedoch für den Menschen vollkommen ungefährlich. 

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Immer noch sehen die Menschen in Haien grausame Killer. Filme wie „Der weiße Hai“ aus dem Jahr 1975, aber auch neue Produktionen und Berichterstattungen über Haiangriffe prägen bis heute ein schlechtes Image. Wissenschaftler*innen, Forscher*innen und Aktivist*innen lehnen diese Ansicht jedoch grundlegend ab und setzen sich für eine Veränderung und den Schutz der Haie ein. Seit dem Jahr 2009 wird am 14. Juli offiziell der Tag zum Schutz der Haie begangen. Denn weltweit sind zahlreiche Haiarten vom Aussterben bedroht. Die Auswilderung gilt unter Wissenschaftler*innen, wie auch der deutschen Meeresforscherin Dr. Bernadette Pogoda und dem kanadischen Biologen Dr. Manuel Dureuil, als vielversprechender Ansatz zum Schutz der Tiere. 

Aussterben der Haie: Ein menschengemachtes Problem

Haie und Roche sind eine der am stärksten gefährdeten Wirbeltiergruppen. Es gibt circa 550 Arten von Haien und über 650 Arten von Rochen. Sie sind nah verwandt und werden daher ökologisch oft zusammengefasst. 37 Prozent dieser Arten stehen derzeit als gefährdet oder stark gefährdet auf der roten Liste des IUCN (Weltnaturschutzorganisation), wie beispielsweise der  Sandtigerhai oder Dornhai. Einige Arten seien vermutlich schon ausgestorben, erklärt Dr. Pogoda. Als Leiterin der Arbeitsgruppe Meeresnaturschutz & Ökologische Renaturierung am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung Bremerhaven, forscht sie an marinen Schlüsselarten zur Entwicklung von Meeresnaturschutzmaßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Naturschutz und ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der UN-Dekade für Ökosystemwiederherstellung.

Je nach Vorkommen und Lebensweise sind einige Arten gefährdeter als andere, darunter stark befischte oder langsam wachsende Arten der Tiefsee, sowie Großhaie. Laut Dr. Pogoda ist der Grund für das Aussterben der Mensch: „Durch extreme Überfischung für Fleisch und Flossen – Hai- und Rochenflossen gelten vielerorts als Delikatesse -, als ungewollter Beifang, oder durch Umweltverschmutzung und Zerstörung des Lebensraums werden die Tiere ausgerottet.“ Überfischung mache dabei circa 96 Prozent des Problems aus. Seit den 1950er Jahren werden die Tiere wegen ihrer Flossen in erheblichem Ausmaß befischt.

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    Haie und Rochen gehören beide zu den Knorpelfischen und existieren schon seit circa 400 Millionen Jahren

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    „Der Effekt im Nahrungsnetz wird oft erst einige Ebenen tiefer sichtbar."

    Viele Arten stehen als Topräuber an der Spitze der Nahrungsnetze und regulieren diese. „Haie und Rochen sind häufig Generalisten und nicht auf einen Beuteorganismus spezialisiert. Dadurch haben sie ein sehr breites Beutespektrum. Das funktionierende Nahrungsnetz hat eine zentrale Ökosystemfunktion, ebenso wie eine hohe Biodiversität, also eine Artenvielfalt“, erklärt Dr. Pogoda. Haie und Rochen regulierten die Bestände anderer Tierarten und sorgten dafür, dass diese nicht zu hoch werden. Das fördere die Artenvielfalt, da viele verschiedene Organismen koexistieren können. Zudem könnten sie innerhalb einer Art die genetische Vielfalt erhöhen, indem sie schwache und kranke Tiere als Beute nehmen und somit die Evolution in eine gesunde Richtung getrieben wird: insgesamt ein Gewinn für die Biodiversität.

    Auch auf den Lebensraum Meer nehmen gewisse Haiarten Einfluss: Beispielsweise schützt der Tigerhai die Seegraswiesen vor Überweidung. Seine Jagd auf Dugongs oder Meeresschildkröten reguliert das Verhalten dieser Seegraswiesenweidetiere: Anstatt an einem Ort zu bleiben und die ganze Wiese abzuweiden, müssen sie sich bewegen, grasen gleichmäßig und die Seegraswiese kann sich erholen. 

    Diese Wiesen sind nicht nur für Meeresbewohner von Bedeutung, sondern spielen auch eine große Rolle in der Klimakrise, da sie viel CO2 binden. Ähnlich betroffen sind Korallen und Austernriffe. „Der Effekt im Nahrungsnetz wird oft erst einige Ebenen tiefer sichtbar. Wenn wichtige Räuber fehlen, kann beispielsweise eine Überpopulation an Schnecken entstehen. Sie weiden die für  Korallen lebenswichtigen Algen ab und schaden dem Riff dadurch“, skizziert Dr. Pogoda den Zusammenhang. „Wir können auf keinen Mitspieler verzichten, um unsere zerstörten oder geschwächten Ökosysteme zu retten. Die Rolle der Haie und Rochen ist dabei nicht zu unterschätzen.“

    Haie sind Topräuber und halten so das Ökosystem unter Wasser im Gleichgewicht.

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    Die Idee der Auswilderung: So sollen die deutschen Bestände gerettet werden

    Haie und Rochen verfügen über eine sehr langsame Biologie, sie werden im Durchschnitt erst nach zehn oder zwanzig Jahren geschlechtsreif. Außerdem verfügen sie über eine sehr lange Tragzeit (zwischen sechs und 36 Monate) und bekommen wenig Nachwuchs. Das bedeutet: Wo Haibestände zerstört wurden, dauert die natürliche Erholung zu lange oder kann nicht gewährleistet werden. „An solchen Orten kann eine Bestandsstärkung oder Wiederansiedlung helfen. Die International Union for Conservation of Nature (IUCN) hat klare Richtlinien herausgegeben, unter denen diese Einführungen stattfinden müssen“, so Dr. Dureuil. Der Assistenzprofessor an der Dalhousie-Universität in Kanada mit dem Schwerpunkt Biologie und Schutz von Haien und Rochen ist Mitbegründer und Präsident der gemeinnützigen Organisation Shark and Ray Conservation Centre (SHARCC) und Mitglied der Hai-Expertengruppe der Weltnaturschutzunion (IUCN). Als eine der wichtigsten Voraussetzungen sieht er, dass die Stressoren für die Tiere minimiert werden. Konkret bedeute das, dass Fischereibeschränkungen in solchen Gebieten notwendig seien. 

    Im März 2023 wurden solche Beschränkungen für die deutschen Meeresschutzgebiete Borkum Riff und Sylter Außenriff von der gemeinsamen Fischerpolitik der EU (GFP) umgesetzt. Dort darf nicht mehr mit bodenberührenden Fangnetzen gearbeitet werden. „Entsprechend können nun sinnvolle Bestandsstärkungsmaßnahmen ausgearbeitet werden. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) plant bereits eine entsprechende Machbarkeitsstudie“, freut sich Dr. Pogoda. „Dabei ist es wichtig den potenziellen Erfolg einer Bestandsstärkung oder Wiederansiedlung zu berücksichtigen. Interessante Kandidaten wären beispielsweise Nagelrochen und Großer Glattrochen.“ Denn auch in den deutschen Meeresgebieten sind eine Reihe von Hai- und Rochenarten heimisch - manche Arten im Bestand sind gefährdet oder bereits verschwunden: „Wir hatten in der Nordsee riesige Rochenbestände. Historische Daten belegen eine Handfischerei im Watt, und bei Niedrigwasser wurden mitunter tausende von Tieren gefangen“, so Dr. Dureuil. „Diese enorme Biomasse unterstreicht die ökologische Funktion dieser Tiergruppe und lässt erahnen, was wir für das System verloren haben! In der jetzt laufenden UN Dekade für Ökosystemwiederherstellung stehen die Zeichen gut, den Pfad der Zerstörung umzukehren“, ergänzt Dr. Pogoda.

    In Zusammenarbeit mit europäischen Zoos, unter anderem dem Zoo Bremerhaven, werden Dr. Pogoda und ihr Team zunächst Konzepte zur Rochenwiederansiedlung erarbeiten, unter anderem durch das Aussetzen von Eiern in geeigneten Gebieten. „Man geht davon aus, dass viele Rochen eine gewisse Standorttreue zeigen oder zur Eiablage auch an den Ort ihrer Geburt zurückkehren. Dafür eignen sich Austernriffe, die derzeit im Rahmen von Naturschutzmaßnahmen wiederhergestellt werden. Sie wären für die natürliche Fortpflanzung von erheblichem Vorteil.“ Der Schutz und die Bestandsstärkung bedrohter Haiarten seien der nächste wichtige Schritt.

    Die meisten Haie werden nur einen Meter groß.

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    Menschen und ihr falscher Blick auf Haie 


    Die meisten Haie der circa 550 Haiarten weltweit werden nicht größer als einen Meter und sind für den Menschen ungefährlich. Pro Jahr gibt es nicht mal zehn tödliche Unfälle mit Haien, dagegen tötet der Mensch jährlich circa 100 Millionen Haie. „Wir Menschen müssen dringend unseren Betrachtungswinkel verändern. Eine Reduzierung der Fischerei und der Erhalt der Arten ist die eine Sache - aber auch unser Besitzanspruch gegenüber der Natur muss überdacht werden. Wir Menschen sind ein Teil der Natur und nicht ihr Besitzer. Unsere Ökosysteme brauchen für eine langfristiges Funktionieren eine dynamische und umfassende Wildnis, egal ob im Meer oder an Land. Zu dieser Wildnis gehören eben auch die großen Räuber, um Nahrungsnetze regulieren zu können, von denen wir Menschen auch abhängig sind.“ Dieses Anspruchsdenken ziehe sich, laut Dr. Pogoda, wie ein roter Faden durch unsere Gesellschaft: „Nicht die Natur muss sich uns anpassen, sondern wir müssen uns der Natur anpassen.“

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