Spektakuläre Aufnahmen: Kaiserpinguinküken stürzen sich in die Tiefe

Erstmals gibt es exklusive Filmaufnahmen eines äußerst seltenen Phänomens in der Antarktis: Junge Kaiserpinguine stürzen sich von einer 15 Meter hohen Klippe ins Meer. Warum sie das tun und wieso es solche Bilder bald häufiger geben könnte.

Von Rene Ebersole
Veröffentlicht am 17. Apr. 2024, 09:26 MESZ
Unzählige Pinguine stehen am Rand der Klippe, einige springen hinunter.

Kaiserpinguinküken springen in der Atka-Bucht in der Antarktis von einer fünfzehn Meter hohen Klippe. Diese faszinierende Aufnahme gelang dem Fotografen Bertie Gregory mithilfe des leistungsstarken Zoomobjektivs seiner Drohne.

Foto von Bertie Gregory

Auf einer Klippe in der Antarktis, fünfzehn Meter über dem Meer, versammeln sich Hunderte nur wenige Monate alte Kaiserpinguinküken zum ersten Sprung ins eiskalte Nass. Dabei erinnern sie an eine Gruppe Teenager vor einer Mutprobe: Wer wird sich zuerst trauen?

Es ist der Hunger, der sie antreibt. Vorsichtig werfen sie einen Blick über den Klippenrand, als ob sie abschätzen, ob sie den Sprung ins Polarmeer aus so großer Höhe überleben würden.

Dann wagt der erste Vogel den Sturz in die Tiefe.

Kaiserpinguine stürzen sich ins Polarmeer
Erstmals ist es gelungen, junge Kaiserpinguine in der Antarktis beim Sturz von einer fünfzehn Meter hohen Klippe zu filmen. Gemacht wurden die unglaublichen Aufnahmen für die Tierdokumentation Die geheimnisvolle Welt der Pinguine.

Einige andere Küken recken die Hälse, um zu sehen, wie er in die Fluten fällt. Wenige Sekunden später taucht der junge Pinguin an der Wasseroberfläche auf und schwimmt weg – um sich auf die Jagd nach Fischen, Krill und Tintenfischen zu machen. Nach und nach tun es ihm seine Artgenossen gleich, purzeln die Klippe hinunter und flattern dabei mit ihren Flügeln, die nicht zum Fliegen, sondern für die Fortbewegung im Wasser gemacht sind.

Die außergewöhnlichen Bilder wurden während der Aufnahmen zu der Tierdoku-Serie Die geheimnisvolle Welt der Pinguine eingefangen, die pünktlich zum Earth Day 2025 auf National Geographic und Disney+ ausgestrahlt werden soll. Mithilfe einer Drohne wurden die Tiere im Januar 2024 am Rand des Weddellmeers in der westlichen Antarktis gefilmt. Experten zufolge ist es das erste Mal, das Kaiserpinguinküken beim Sturz von einer Klippe dieser Höhe filmisch dokumentiert wurden.

BELIEBT

    mehr anzeigen

    Weil das Meereis in der Antarktis aufgrund des Klimawandels rapide zurückgeht, brüten immer mehr Kaiserpinguine auf dem permanenten Schelfeis. Das zwingt ihre Küken dazu, aus großer Höhe ins Meer zu springen.

    Foto von Bertie Gregory

    „Ich kann gar nicht fassen, dass es gelungen ist, diese Szenen zu filmen“, sagt Michelle LaRue, Umweltbiologin an der University of Canterbury in Christchurch, Neuseeland. Sie war als Beraterin an der Filmproduktion beteiligt, die die Kaiserpinguine in der Atka-Bucht über drei Jahre begleitet hat. Den sensationellen Sturz von der Klippe hat sie jedoch verpasst.

    Eigentlich brüten Kaiserpinguine auf dem Meereis, das frei auf dem Wasser treibt und Jahr für Jahr schmilzt und sich neu formt. Seit einer Weile brüten einige Kolonien jedoch auf dem Schelfeis, das fest mit dem Land verbunden ist. Als Grund dafür vermuten Forschende, dass das Meereis aufgrund des Klimawandels inzwischen früher im Jahr zu tauen beginnt.

    Im Alter von etwa fünf Monaten werfen Kaiserpinguinküken ihre Daunen ab, bevor sie ihr Federkleid bekommen – der Beginn ihres Erwachsenenlebens, das sie teilweise im Meer verbringen.  

    Foto von Bertie Gregory

    Die International Union for Conservation of Nature (IUCN) stuft Kaiserpinguine, deren Population schätzungsweise 500.000 Vögel umfasst, auf ihrer Liste der bedrohten Arten als potenziell gefährdet ein – in erster Linie wegen des Klimawandels, der ihre eisige Heimat bedroht.

    Anfang Januar 2024, am Ende des Sommers in der Südlichen Hemisphäre und wenige Wochen bevor das Meereis verschwindet, beobachteten die Filmemacher eine Gruppe von Pinguinküken, die laut LaRue vermutlich auf dem Schelfeis geboren wurden. Sie watschelten in nördliche Richtung dem Klippenrand entgegen. Die Neugier der Filmcrew war geweckt und sie starteten eine Drohne, mit der sie die Küken aus der Luft verfolgten. Nach und nach schlossen sich der Gruppe immer mehr junge Pinguine an, bis sie schließlich zu Hunderten am Rand des Schelfeis standen.

    Springen oder Verhungern

    Der wissenschaftliche Physiologe Gerald Kooyman, emeritierter Professor am Forschungszentrum Scripps Institution of Oceanography in Kalifornien, hat mehr als fünf Jahrzehnte damit verbracht, die Kaiserpinguine der Antarktis zu erforschen. Selbst er hat in all der Zeit nur ein einziges Mal beobachten können, wie Pinguinküken sich aus großer Höhe ins Meer stürzten – und das ist über dreißig Jahre her.

    „Schneeverwehungen hatten eine sanft abfallende Rampe vom Meereis auf einen auf Grund gelaufenen Eisberg gebildet, über die eine Schar Küken auf den Berg marschierte“, beschreibt er die Beobachtung in seinem Buch Journeys with Emperors, das im November 2023 erschienen ist. „Sie wurden von einer 20 Meter hohen Klippe aufgehalten, die sich über einem Meer befand, das manchmal offenes Wasser und manchmal mit Eisschollen gefüllt war.“ Innerhalb von wenigen Tagen versammelten sich damals fast 2.000 Küken an der Stelle.

    „Schließlich begannen sie, sich vom Klippenrand zu stürzen“, schreibt Kooyman. „Sie sprangen nicht, sie machten einfach einen Schritt nach vorn, purzelten hinunter und machten dabei teilweise bis zu zwei Überschläge, bevor sie mit einem lauten Platschen ins Wasser fielen.“

    Die meisten Jungvögel, die bei ihrem Sturz ins eisige Wasser gefilmt wurden, überlebten ihn. Das Küken auf der linken Seite dieses Bildes fiel in eine Felsspalte, konnte aber mithilfe seines Schnabels herausklettern und den anderen ins Meer folgen.

    Foto von Bertie Gregory

    Forschende, die die Pinguine mittels Satellitenüberwachung verfolgen, bezeichnen das Phänomen als äußerst selten. Der britische Antarktisforscher Peter Fretwell untersucht seit mehreren Jahren Satellitenbilder der Kaiserpinguinkolonie in der Atka-Bucht und hat dabei gelegentliche Bewegungen nach Norden in Richtung der Klippe feststellen können. Seine Theorie: Die Küken könnten im Januar ein oder zwei erwachsenen Tieren gefolgt sein, die sich verlaufen haben.  

    Wenn sie vom Meereis, auf dem die Kaiserpinguinküken normalerweise aufwachsen, ins Wasser stürzen, fallen die Jungvögel nur wenige Meter tief. Die Küken in den Filmaufnahmen befanden sich in einer kniffligen Situation – und waren extrem hungrig. Ihre Eltern hatten sich bereits ohne sie zur Jagd aufgemacht und ihrem Nachwuchs damit signalisiert, dass es Zeit war, für sich selbst zu sorgen. Die jungen Pinguine mussten jedoch noch etwas warten, bis sie ihre Daunen verloren und ihnen ihr erwachsenes, wasserdichtes Federkleid gewachsen war.

    „Wenn sie dann an der Klippe ankommen, wissen sie ‚Okay, das ist der Ozean, da muss ich jetzt irgendwie rein‘“, erklärt LaRue. „‚Sieht gefährlich aus, aber es muss wohl sein.‘“

    Anpassungsfähige Vögel

    Dass der Sturz von der Klippe in direktem Zusammenhang mit dem Klimawandel und der wärmer werdenden Antarktis steht, ist Forschenden zufolge unwahrscheinlich. Laut Fretwell könnte der Rückgang des Meereises auf dem Kontinent jedoch mehr Kaiserpinguine dazu zwingen, auf dem Schelfeis zu brüten. Dadurch könnte der wagemutige Fall in die Tiefe in Zukunft häufiger zu beobachten sein.

    Der rapide Rückgang des Meereises in der Antarktis birgt düstere Zukunftsaussichten für die Kaiserpinguine. „Wir schätzen, dass zum Ende des Jahrhunderts die gesamte Population verloren sein wird“, sagt Fretwell. „Es ist erschütternd, sich vorzustellen, dass die gesamte Spezies ausgelöscht werden könnte, wenn der Klimawandel in der Form voranschreitet, wie er es heute tut.“

    LaRue hingegen hat noch Hoffnung. Sie glaubt, dass sich die Kaiserpinguine an die neuen Umstände anpassen könnten und betrachtet den jetzt im Video festgehaltenen Sturz der Küken als Beweis für die Zähigkeit der Art.

    „Sie ist unglaublich widerstandsfähig“, sagt sie. „Diese Spezies existiert seit Millionen von Jahren. Sie hat viele Umweltveränderungen überstanden. Die Frage ist nur, wie schnell sie sich an den Wandel, der sich gerade vollzieht, anpassen kann.“

     

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie
    • Video

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved