„Wir müssen die Infrastruktur, die wir haben, besser auslasten“

Der Mobilitätsforscher Dirk Heinrichs erklärt, wie digitale Entwicklungen und Seilbahnen helfen können, das Verkehrsproblem in Deutschland zu lösen.

Von Susan Djahangard
bilder von Colour Box
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:38 MEZ
Straßenverkehr in Berlin
Stadtverkehr an einer Straßenkreuzung in Berlin.
Foto von Colour Box

Sie erforschen die Nutzung von Seilbahnen in Städten. Fahren wir bald nicht mehr durch dunkle U-Bahntunnel, sondern gondeln bei guter Aussicht zur Arbeit?
In einigen afrikanischen und lateinamerikanischen Städten ist das seit Jahren Realität. Eine Seilbahn verbindet die bolivianische Hauptstadt La Paz mit der Nachbarstadt El Alto, auch im kolumbianischen Medellín fährt eine Seilbahn zwischen den Stadtteilen. Die Idee ist nicht, wie zur Zeit bei der Berliner Gartenschau, touristische Fahrten anzubieten, sondern den alltäglichen Verkehr zu verbessern. Seilbahnen haben den Vorteil, dass sie wenig Raum benötigen: Man braucht nur Platz für die Pfeiler und Stationen zum Ein- und Aussteigen. Für eine Seilbahn muss also kaum umgebaut werden, anders als für eine neue Straße. Mit den Seilbahnen kann man topographische Hürden wie ein Tal oder einen Fluss gut überwinden. Sie machen wenig Lärm und haben eine gute CO2-Bilanz.

Können Sie sich Seilbahnen auch in deutschen Städten vorstellen?
Wenn eine Seilbahn günstiger ist als die Alternativen, topographisch Sinn macht und gut mit dem bestehenden Angebot des öffentlichen Verkehrs verknüpft ist, auf jeden Fall. In Bonn zum Beispiel existieren Planungen für eine Seilbahn über den Rhein, statt einer weiteren großen Brücke. Auch in Konstanz gibt es solche Pläne. Allerdings: Eine Seilbahn ist keine Alternative zum bestehenden Verkehr, sondern kann ihn nur gezielt ergänzen.

Sie leiten die Forschungsabteilung für Mobilität und Urbane Entwicklung. Wie bewerten Sie gute Mobilität in einer Stadt?
Ein Verkehrssystem muss Mobilitätsbedürfnisse von Menschen  und den Transport von Gütern erfüllen.  Das ist wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung. Verkehr bringt aber immer auch negative Wirkungen mit sich: Unfälle, Lärmbelastung, Luftschadstoffe. Gute, funktionierende Mobilität ist für mich, wenn die Bedürfnisse bestmöglich erfüllt und die negativen Folgen gering gehalten werden.

Und, ist die Mobilität in den deutschen Städten gut?
Manches funktioniert gut, aber es gibt einige Probleme. Aktuell diskutieren wir viel über die Umweltwirkungen des Verkehrs, wie beispielsweise die Belastungen durch Stickoxyd und Feinstaub. Ein weiteres Problem ist auf den Straßen offensichtlich: Stau zu den Stoßzeiten. Die Menschen verbringen in Städten wie Berlin, Hamburg oder München immer mehr Zeit im Verkehr, das zeigen repräsentative Erhebungen. Das Verkehrssystem in Großstädten hat an Effizienz verloren. 

Woran liegt das?
Vor allem daran, dass immer mehr Menschen in den Städten unterwegs sind, die Infrastruktur aber nicht gewachsen ist. 

Bräuchten wir also mehr Straßen für Autos?
Nicht zwingend. Viel wichtiger ist: Wir müssen die Infrastruktur, die wir haben, besser auslasten. Dabei kann die Digitalisierung helfen. Der Verkehr kann in Zukunft effizienter gesteuert werden, zum Beispiel könnten Fahrzeuge miteinander und mit Infrastruktur wie etwa Ampeln kommunizieren – und so Staus vermeiden. Und die Kapazität der Fahrzeuge kann besser ausgeschöpft werden: In einem Auto fahren durchschnittlich nur knapp 1,5 Personen. Durch Konzepte wie Ride-Sharing, also gemeinsame Fahrten, können wir das ändern. Das sind zwei Beispiele, wie die Digitalisierung den Verkehr verbessern kann.

Gibt es weitere?
Auch der öffentliche Nahverkehr kann optimiert werden. Bisher ist er in Gebieten mit geringer Nachfrage, etwa am Stadtrand, oft ineffizient: Relativ große Fahrzeuge fahren Haltestellen ab, ohne dass dort jemand wartet. Man könnte flexiblere Angebote schaffen, wie ein Ruftaxi, aber mit neuen technologischen Möglichkeiten: Fahrer, Leitstelle und Nutzer kommunizieren in Echtzeit. Das könnte vor allem dort helfen, wo die Angebote heute schlecht ausgelastet sind. Der Verkehr würde effizienter und kostengünstiger. Denkt man einen Schritt weiter, könnten die Fahrzeuge auch automatisiert fahren. 

Was würde das bringen?
Auch das würde Kosten sparen, weil keine Fahrer bezahlt werden müssen. Selbstfahrende Autos dagegen würden den städtischen Verkehr übrigens sehr wahrscheinlich nicht verbessern, weil weiterhin viele Autos nur wenige Personen befördern. Erste Forschungsergebnisse zeigen sogar, dass das automatisierte Fahren das Auto attraktiver machen könnte, weil die Zeit im Fahrzeug anders genutzt werden kann und die Parkplatzsuche entfällt. Das könnte zu einer Zunahme der  Pkw-Nutzung führen. Um die Probleme, die ich vorhin angesprochen habe, zu beheben, sollten wir mit technischen Neuerungen vor allem den öffentlichen Nahverkehr stärken. Und auch mehr zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren.

Dirk Heinrichs leitet die Forschungsabteilung Mobilität und Urbane Entwicklung am Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und arbeitet als Professor für Stadtentwicklung und Mobilität an der TU Berlin.

Wie bringt man Menschen dazu, mehr zu radeln?
Ein Beispiel, aus dem wir viel lernen können, ist Kopenhagen. Es ist wirklich beeindruckend, wie viel Fahrrad dort gefahren wird. Die Strategie der Stadt zur Förderung der Fahrradnutzung hat vier Säulen: Erstens wurden die Wege so ausgebaut, dass es schneller ist, mit dem Rad unterwegs zu sein, als mit anderen Verkehrsmitteln. Es gibt Radschnellwege, grüne Wellen für Radfahrer und neu gebaute Abkürzungen. Zweitens wird viel Wert auf Sicherheit gelegt: Die Fahrradwege sind baulich abgesetzt, Ampelkreuzungen für Radfahrer extra sicher, sie stehen vor den Autos und können früher losfahren. Drittens wurde der Komfort für Fahrradfahrer erhöht: gut befahrbarer Asphalt statt Kopfsteinpflaster. Im Winter werden erst die Radwege vom Schnee geräumt, dann die Straßen. Es gibt viele Fahrrad-Parkplätze. Und Arbeitgeber, die auf Radfahrer ausgerichtet sind, haben zum Beispiel Duschen in ihre Büroräume integriert. Viertens ist es auch eine Frage guter Kommunikation: Man hat in Kopenhagen das Image des Radfahrens gestärkt als Ausdruck eines gesunden Lebensstils. 

Was ist davon in Deutschland angekommen?
Manches gibt es hier schon, fahrradfreundliche Ampelkreuzungen zum Beispiel. Einen umfassenden Ansatz wie in Kopenhagen hat aber kaum eine deutsche Stadt. Ein positives Beispiel ist Münster. Sehr viele fahren dort Fahrrad, viel wurde in den Ausbau der Infrastruktur investiert. In Berlin und anderen Großstädten wird aktuell viel diskutiert, wie man die Nutzung des Fahrrads stärken kann.

Was wäre dort sinnvoll?
Wir bräuchten mehr und besser ausgebaute Radwege, die sich durch die ganze Stadt ziehen und die man befahren kann, ohne oft anhalten zu müssen. Und wir brauchen Lösungen, wie Radfahren sicherer werden kann. Auch dafür müssten viele Wege ausgebaut werden. Es ist aber auch eine Frage der Information: Die verschiedenen Verkehrsteilnehmer müssen lernen, besser aufeinander zu achten.  

Ein Artikel über zukunftsweisende Mobilitäskonzepte ist in der Ausgabe 8/2017 von National Geographic erschienen. Jetzt ein Magazin-Abo abschließen!

 

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