Wie eine Firma mit Rhabarber Leder gerbt

So geht nachhaltige Lederproduktion: Statt auf Chromsalze setzt ein Unternehmen aus Sachsen-Anhalt auf den Extrakt der Rhabarberwurzel.

Von Ines Bellinger
Veröffentlicht am 27. Juli 2018, 06:00 MESZ
Rhabarber
Der Rhabarber wird bei Rhubarb Technology komplett verarbeitet: Aus den Wurzeln wird Gerbsaft für die Lederproduktion gewonnen, aus Stängeln und Blättern Wirkstoffe für eine Naturkosmetiklinie.
Foto von Deepmello

Das Produkt, das Anne-Christin Bansleben herstellt, kleidet sie jeden Tag: Die schwarz-weißen Schuhe, der elegant geknotete Gürtel an ihrer dreiviertellangen Marlene-Hose, die Handtasche, alles besteht aus Leder, das auf schonende und einzigartige Weise gegerbt wird – mit dem Extrakt aus getrockneter Rhabarberwurzel. Aus ihrer Tasche holt die 39-Jährige ein Glasröhrchen mit einem rotbraunen Granulat. Es riecht erdig und ein bisschen fruchtig. „Mit unserer Geschäftsidee sind wir zurückgekehrt zu den Wurzeln – im doppelten Wortsinn“, sagt sie.

Schon in der Antike wurden Tierhäute mit Pflanzensäften behandelt,
 um sie haltbar zu machen. Später ermöglichten chemische Zusatzstoffe
eine effizientere Produktion. Heute
bestehen etwa 90 Prozent unserer
 Taschen und Schuhe aus Leder, das
mit Chromsalzen gegerbt wurde,
zumeist in Asien. Das Problem: Der 
Gerbstoff Chrom-III oxidiert leicht zu Chrom-VI, das stark krebserregend ist. Eine Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation in einem Gerbereizentrum in Bangladesch ergab, dass 90 Prozent der dort Beschäftigten sterben, bevor sie 50 Jahre alt werden. Ein Viertel der Arbeiter in den Gerbereien sind Kinder unter elf Jahren.

Pro Jahr stellt das Unternehmen mehrere Tausend Quadratmeter Rhabarberleder her – in 20 Farbtönen.
Foto von Deepmello

Die verborgene Kraft des Rhabarbers entdeckte Bansleben, eine promovierte Ernährungswissenschaftlerin, an der Hochschule Anhalt in Bernburg. Ihr Professor, Ingo Schellenberg, hatte vor 20 Jahren festgestellt, dass sich mit Rhabarberwurzeln Leder gerben lässt. Bansleben, ihr Mann und der Professor erforschten, welchen Sortenmix sie brauchten, um einen besonders wirksamen Gerbstoff zu produzieren und das Extraktionsverfahren wirtschaftlich zu machen. Als es glückte, starteten sie im Jahr 2010 Rhubarb Technology. Die Versuchsfelder der Hochschule nutzt die kleine Firma noch immer, alles in allem 15 bis 30 Hektar. Rhabarber ist anspruchslos und leicht zu vermehren. Nach drei bis vier Jahren können die Wurzeln geerntet werden. Sie werden getrocknet und zerkleinert, dann wird daraus der Extrakt zum Gerben gewonnen. „Wir arbeiten naturbelassen“, sagt Bansleben.

Ihre Gerber in Süddeutschland verwenden nur Häute von heimischen, artgerecht gehaltenen Rindern. Und das Produkt wird nach der Gerbung nicht überlackt wie viele herkömmliche Leder. Es behält seine natürliche Maserung. Im Vergleich zu Verfahren mit Chromsalzen dauert die Rhabarbergerbung etwas länger – fünf statt vier Tage.

Firmengründerin Anne-Christin Bansleben.
Foto von Andreas Troitsch

Die Lederbranche ist konservativ, den Gründern schlug zunächst jede Menge Skepsis entgegen. Selbst als potenzielle Kunden Proben des extrem weichen Leders in der Hand hielten, waren die Zweifel nicht ausgeräumt: „Manche beharrten: ,Niemals kann das pflanzlich gegerbtes Leder sein‘“, erzählt Bansleben. Bei der Akquise hat sie eine weitere interessante Erfahrung gemacht: Als nachhaltige Gerberin wird sie viel kritischer durchleuchtet als konventionelle Lieferanten. „Doch wen wir einmal von unserem Material überzeugen, der bleibt unser Kunde.“

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 8/2018 des National Geographic Magazins. Jetzt ein Magazin-Abo abschließen!

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