Wie eine Firma mit Rhabarber Leder gerbt
So geht nachhaltige Lederproduktion: Statt auf Chromsalze setzt ein Unternehmen aus Sachsen-Anhalt auf den Extrakt der Rhabarberwurzel.
Das Produkt, das Anne-Christin Bansleben herstellt, kleidet sie jeden Tag: Die schwarz-weißen Schuhe, der elegant geknotete Gürtel an ihrer dreiviertellangen Marlene-Hose, die Handtasche, alles besteht aus Leder, das auf schonende und einzigartige Weise gegerbt wird – mit dem Extrakt aus getrockneter Rhabarberwurzel. Aus ihrer Tasche holt die 39-Jährige ein Glasröhrchen mit einem rotbraunen Granulat. Es riecht erdig und ein bisschen fruchtig. „Mit unserer Geschäftsidee sind wir zurückgekehrt zu den Wurzeln – im doppelten Wortsinn“, sagt sie.
Schon in der Antike wurden Tierhäute mit Pflanzensäften behandelt, um sie haltbar zu machen. Später ermöglichten chemische Zusatzstoffeeine effizientere Produktion. Heutebestehen etwa 90 Prozent unserer Taschen und Schuhe aus Leder, dasmit Chromsalzen gegerbt wurde,zumeist in Asien. Das Problem: Der Gerbstoff Chrom-III oxidiert leicht zu Chrom-VI, das stark krebserregend ist. Eine Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation in einem Gerbereizentrum in Bangladesch ergab, dass 90 Prozent der dort Beschäftigten sterben, bevor sie 50 Jahre alt werden. Ein Viertel der Arbeiter in den Gerbereien sind Kinder unter elf Jahren.
Die verborgene Kraft des Rhabarbers entdeckte Bansleben, eine promovierte Ernährungswissenschaftlerin, an der Hochschule Anhalt in Bernburg. Ihr Professor, Ingo Schellenberg, hatte vor 20 Jahren festgestellt, dass sich mit Rhabarberwurzeln Leder gerben lässt. Bansleben, ihr Mann und der Professor erforschten, welchen Sortenmix sie brauchten, um einen besonders wirksamen Gerbstoff zu produzieren und das Extraktionsverfahren wirtschaftlich zu machen. Als es glückte, starteten sie im Jahr 2010 Rhubarb Technology. Die Versuchsfelder der Hochschule nutzt die kleine Firma noch immer, alles in allem 15 bis 30 Hektar. Rhabarber ist anspruchslos und leicht zu vermehren. Nach drei bis vier Jahren können die Wurzeln geerntet werden. Sie werden getrocknet und zerkleinert, dann wird daraus der Extrakt zum Gerben gewonnen. „Wir arbeiten naturbelassen“, sagt Bansleben.
Ihre Gerber in Süddeutschland verwenden nur Häute von heimischen, artgerecht gehaltenen Rindern. Und das Produkt wird nach der Gerbung nicht überlackt wie viele herkömmliche Leder. Es behält seine natürliche Maserung. Im Vergleich zu Verfahren mit Chromsalzen dauert die Rhabarbergerbung etwas länger – fünf statt vier Tage.
Die Lederbranche ist konservativ, den Gründern schlug zunächst jede Menge Skepsis entgegen. Selbst als potenzielle Kunden Proben des extrem weichen Leders in der Hand hielten, waren die Zweifel nicht ausgeräumt: „Manche beharrten: ,Niemals kann das pflanzlich gegerbtes Leder sein‘“, erzählt Bansleben. Bei der Akquise hat sie eine weitere interessante Erfahrung gemacht: Als nachhaltige Gerberin wird sie viel kritischer durchleuchtet als konventionelle Lieferanten. „Doch wen wir einmal von unserem Material überzeugen, der bleibt unser Kunde.“
Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 8/2018 des National Geographic Magazins. Jetzt ein Magazin-Abo abschließen!