Wohnkisten zum Mitnehmen

Zwei Erfinder wandeln ausrangierte Seefrachtcontainer in Wohnraum um – Serienmäßig und mit patentierter Dämmung.

Von Ines Bellinger
Veröffentlicht am 29. Apr. 2019, 18:26 MESZ
Containerwerk
Foto von Containerwerk

Wie oft ist der Container über den Äquator geschippert? Hat er Smartphones über die Weltmeere transportiert? Oder Möbel? Michael Haiser und Ivan Mallinowski wissen es nicht. Aber es spielt auch keine Rolle. Mit ihrer Firma Containerwerk bauen die Unternehmer in Wassenberg in der Nähe von Mönchengladbach ausrangierte Seefrachtcontainer zu ressourcenschonenden und energieeffizienten Wohnungen, Hotels, Büros um. In ihrem zweiten Leben müssen die Container nicht mehr reisen – aber sie könnten, wenn ihre neuen Besitzer es wollten

Auch der Marketingexperte Haiser,
 47, und der Messebauer Mallinowski,
 49, sind in ihrem zweiten Leben angekommen. Im schnelllebigen Werbegeschäft bauten sie aufwendige Präsentationen auf, um sie Stunden später
wieder abzureißen und tonnenweise Holz, Plastik und Papier einzustampfen. „Wir leben das Gegenteil von dem, was wir früher gemacht haben“, sagt Mallinowski. „Damals haben wir für einen Job alles neu entwickelt, dann kam es in die Tonne. Jetzt machen wir es richtig und nachhaltig.“

Die Idee, in Containern zu leben und zu arbeiten, ist nicht neu. Doch die Containerwerker sind die Ersten, die serienmäßig produzieren können. Zu verdanken ist das dem Erfindergeist von Mallinowski. Der Waldorfschul­Abbrecher und Barfußläufer ersann ein inzwischen patentiertes Verfahren, mit dem man die Container ohne Wärmebrücken und viel platzsparender dämmen kann, als das andere Anbieter tun. Aus einem High Cube, der etwas höher ist als ein normaler Container und 40 Fuß lang, gewinnt man so gut 26 Quadratmeter Nutzfläche.

Foto von Containerwerk

Das wirkt überraschend wohnlich, wie die beiden im Showroom in Stuttgart zeigen. Haiser entriegelt zuerst einen unveränderten Container, von dessen Stahlwänden jedes Wort widerhallt. Danach öffnet er die gläserne Eingangstür der veredelten Variante nebenan. Es ist alles da: eine Minigarderobe, ein kleines Bad, eine Kochnische Essecke und, abgetrennt durch Lamellen, ein 1,60 Meter breites Bett. Durch ein rautenförmiges Fenster und die verglaste Rückfläche fällt Tageslicht. Geheizt wird mit einer Wärmepumpe. Über eine Außentreppe geht es eine Etage höher. Dort wurden zwei Container zusammengefügt. 50 Quadratmeter mit Wohlfühlextras wie Terrasse und Sternenguckerfenster über einem Doppelbett. Für 2000 bis 3000 Euro pro Stück kaufen Haiser und Mallinowski alte Container ein. Nach dem Umbau zahlen Kunden je nach Ausstattung ab 30000 Euro.

Anfangs schlug Haiser, der den Vertrieb macht, Skepsis entgegen. Er musste viel erklären: dass der Cortenstahl, aus dem die Container sind, nur an­, aber nicht durchrostet; dass zwar Wasser­ und Stromanschlüsse gebraucht werden, aber nur Punktfundamente; dass man ohne Probleme fünf Container übereinanderstapeln kann. Ein paar Nachhaltigkeitspreise später steht das Start­up vor einem Luxusproblem: „Zwei Jahre nach der Gründung haben wir mehr Bestellungen, als wir liefern können.“ Die ersten 35 Wohncontainer aus Wassenberger Produktion stehen, als Teil eines sozialen Wohnprojekts für Jugendliche in Hamburg. Vier Container wurden nach Costa Rica verschifft, auf die Kakaoplantage eines Berliner Chocolatiers. Im August folgt ein Boardinghouse in Villach mit 70 Containern. Haiser und Mallinowski rechnen damit, dass der Bedarf an mobilen und preisgünstigen Raumkonzepten weiter steigen wird. Allein in Deutschland werden pro Jahr 400 000 neue Wohnungen gebraucht. Und die Lebensmodelle werden flexibler. „Ein Eigenheim an einem festen Platz ist nicht mehr attraktiv“, sagt Haiser. „In Zukunft werden Menschen ihre Wohnung einfach mitnehmen, wenn sie weiterziehen.“

Dieser Artikel stammt aus Heft 5/2019 des National Geographic-Magazins.

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