Neues Leben für alten Beton

Tausende Plattenbauten werden nicht mehr gebraucht. Eine Professorin verwandelt sie in Eigenheime und Stadtparks.

Von Marlene Göring
Veröffentlicht am 28. Juni 2019, 00:26 MESZ
Lange galten sie als die hässlichsten Häuser der Welt – Plattenbauten.
Lange galten sie als die hässlichsten Häuser der Welt – Plattenbauten.
Foto von Colour Box

Es ist, als hätte jemand dem alten Landratsamt in Hohemölsen zum zweiten Mal Leben eingehaucht. Statt der langen, schmutzig grauen Fassade ziehen sich jetzt blütenweiße Stadthäuschen um Parkplatz und Wiese, die Fenster gelb, blau und grün umrahmt. Auf ihrer Rückseite zeigen Glaswände Richtung Garten mit Trampolinen und Grills. Eine Gruppe Kinder pest um die Ecke, ein Nachzügler schnappt sich ein Rad, das unangeschlossen im Gras liegt. „Eh, wartet auf mich!“, ruft der Junge und schwingt sich auf den Sattel.

Auch wenn man es nicht sieht: Die­ses kleine Paradies besteht aus den berüchtigten Platten, die zum Bild des Ostens gehören. In der DDR entstanden daraus Millionen Wohnungen mit Fern­wärme und eigenem Bad, was Alt­bauten damals meistens nicht bieten konnten. Aber auch in München, in Frankfurt, in Schweden und in Ägypten stehen sie. Nur: Heute will kaum je­mand mehr in den tristen Betonsiedlungen wohnen.

Also einfach abreißen? Für Angelika Mettke lautet die Antwort ganz klar: Nein! Sie ist Professorin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus­-Senftenberg und vielleicht die größte Ex­pertin Deutschlands, wenn es um das Recycling von Plattenbauten geht. Und zwar nicht das übliche Be­tonschreddern, das Energie kostet und bei dem viel Material verloren geht: Die gebürtige Cottbuserin erforscht, wie sich modulare Bauten auseinander­ nehmen lassen – und mit neuem Gesicht wieder zusammensetzen. „Das spart Geld. Aber es geht um etwas viel Wichtigeres: die Umwelt!“, sagt Mettke. „Da können wir beim Bauen noch viel rausholen.“

Noch immer ist die Industrie der zweitgrößte Emissär von CO2 in Deutschland. Als einen der schlimmsten Klimasünder darunter macht das Um­weltbundesamt die Herstellung von mineralischen Produkten aus – also vor allem Zement. Und von Baumaterial kann es im Moment gar nicht genug geben, mancherorts werde es sogar schon knapp, berichtet Mettke. In München und Bremen etwa, gehe Kies und Sand aus. „Diese Rohstoffe sind endlich, sie wachsen nicht nach“, so Mettke. Beides ließe sich mit ihrer Methode lindern.

Wie viel Potenzial diese hat, zeigt Hohenmölsen: Zehntausende Euro, 93 Prozent Energie und 95 Prozent CO2 wurden gespart. Hier waren die Bedingungen zwar ideal: Die Platten waren durch das alte Landratsamt vor Ort verfügbar. Doch auch anderswo liegen die Kosteneinsparungen bei 25 bis 30 Prozent. Das rechnet sich, auch wenn Demontage teurer und aufwen­diger ist als Abreißen.

Schon ihr Vater rettete Rohstoffe von der Deponie und baute daraus Roller für die Kinder – Angelika Mettke rettet Plattenbauten. Aus den Einzelmodulen entstehen oft neue Gebäude.

Trotzdem bleiben das Leuchtturm­projekte. Schwierig macht es das kom­plizierte deutsche Baurecht. Recycelte Materialien müssen höhere Auflagen erfüllen als neue. Mettke hat nachge­wiesen, dass die Platten der Typen wie WBS 70, WBR 80 E und P2 baulich geeignet sind. Die Expertise hat Mettke sich über Jahrzehnte erarbeitet, im Labor und auf Baustellen, zu denen sie früher sogar getrampt ist. „Ich habe viel gewühlt“, erzählt die 66­-Jährige, und die Erin­nerung lässt sie wie eine junge Frau aussehen.

Dazu kommt das Imageproblem der Platte. „Bau­herren klagen: ‚Da bin ich ja an die Geometrie ge­bunden, das sieht trist aus, bleiben Sie mir weg da­ mit!‘“ „Betonköpfe“, nennt Mettke solche Leute. Denn: „Die DDR­-Platten haben eine hervorragende Qualität – und man kann damit unglaublich kreativ bauen.“ Ihre Tests haben viele Vorurteile widerlegt. Stadtvillen, Vereinsheime und einen Park hat sie schon mitrealisiert. Auch in Hohenmölsen lagern noch ein paar Platten für neue Häuschen, mitten auf der Wiese. Mettke stützt ein Bein darauf ab, als wolle sie deren Belastbarkeit überprüfen. „Wir müssen viel mehr wertschätzen, was wir haben.“

 

Dieser Artikel stammt aus Heft 7/2019 des National Geographic-Magazins.

BELIEBT

    mehr anzeigen
    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie
    • Video

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved