Neues Leben für alten Beton
Tausende Plattenbauten werden nicht mehr gebraucht. Eine Professorin verwandelt sie in Eigenheime und Stadtparks.

Es ist, als hätte jemand dem alten Landratsamt in Hohemölsen zum zweiten Mal Leben eingehaucht. Statt der langen, schmutzig grauen Fassade ziehen sich jetzt blütenweiße Stadthäuschen um Parkplatz und Wiese, die Fenster gelb, blau und grün umrahmt. Auf ihrer Rückseite zeigen Glaswände Richtung Garten mit Trampolinen und Grills. Eine Gruppe Kinder pest um die Ecke, ein Nachzügler schnappt sich ein Rad, das unangeschlossen im Gras liegt. „Eh, wartet auf mich!“, ruft der Junge und schwingt sich auf den Sattel.
Auch wenn man es nicht sieht: Dieses kleine Paradies besteht aus den berüchtigten Platten, die zum Bild des Ostens gehören. In der DDR entstanden daraus Millionen Wohnungen mit Fernwärme und eigenem Bad, was Altbauten damals meistens nicht bieten konnten. Aber auch in München, in Frankfurt, in Schweden und in Ägypten stehen sie. Nur: Heute will kaum jemand mehr in den tristen Betonsiedlungen wohnen.
Also einfach abreißen? Für Angelika Mettke lautet die Antwort ganz klar: Nein! Sie ist Professorin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und vielleicht die größte Expertin Deutschlands, wenn es um das Recycling von Plattenbauten geht. Und zwar nicht das übliche Betonschreddern, das Energie kostet und bei dem viel Material verloren geht: Die gebürtige Cottbuserin erforscht, wie sich modulare Bauten auseinander nehmen lassen – und mit neuem Gesicht wieder zusammensetzen. „Das spart Geld. Aber es geht um etwas viel Wichtigeres: die Umwelt!“, sagt Mettke. „Da können wir beim Bauen noch viel rausholen.“
Noch immer ist die Industrie der zweitgrößte Emissär von CO2 in Deutschland. Als einen der schlimmsten Klimasünder darunter macht das Umweltbundesamt die Herstellung von mineralischen Produkten aus – also vor allem Zement. Und von Baumaterial kann es im Moment gar nicht genug geben, mancherorts werde es sogar schon knapp, berichtet Mettke. In München und Bremen etwa, gehe Kies und Sand aus. „Diese Rohstoffe sind endlich, sie wachsen nicht nach“, so Mettke. Beides ließe sich mit ihrer Methode lindern.
Wie viel Potenzial diese hat, zeigt Hohenmölsen: Zehntausende Euro, 93 Prozent Energie und 95 Prozent CO2 wurden gespart. Hier waren die Bedingungen zwar ideal: Die Platten waren durch das alte Landratsamt vor Ort verfügbar. Doch auch anderswo liegen die Kosteneinsparungen bei 25 bis 30 Prozent. Das rechnet sich, auch wenn Demontage teurer und aufwendiger ist als Abreißen.

Trotzdem bleiben das Leuchtturmprojekte. Schwierig macht es das komplizierte deutsche Baurecht. Recycelte Materialien müssen höhere Auflagen erfüllen als neue. Mettke hat nachgewiesen, dass die Platten der Typen wie WBS 70, WBR 80 E und P2 baulich geeignet sind. Die Expertise hat Mettke sich über Jahrzehnte erarbeitet, im Labor und auf Baustellen, zu denen sie früher sogar getrampt ist. „Ich habe viel gewühlt“, erzählt die 66-Jährige, und die Erinnerung lässt sie wie eine junge Frau aussehen.
Dazu kommt das Imageproblem der Platte. „Bauherren klagen: ‚Da bin ich ja an die Geometrie gebunden, das sieht trist aus, bleiben Sie mir weg da mit!‘“ „Betonköpfe“, nennt Mettke solche Leute. Denn: „Die DDR-Platten haben eine hervorragende Qualität – und man kann damit unglaublich kreativ bauen.“ Ihre Tests haben viele Vorurteile widerlegt. Stadtvillen, Vereinsheime und einen Park hat sie schon mitrealisiert. Auch in Hohenmölsen lagern noch ein paar Platten für neue Häuschen, mitten auf der Wiese. Mettke stützt ein Bein darauf ab, als wolle sie deren Belastbarkeit überprüfen. „Wir müssen viel mehr wertschätzen, was wir haben.“
Dieser Artikel stammt aus Heft 7/2019 des National Geographic-Magazins.
