Unterirdische Zerstörung: Schöne Zeugen des Konsums

Statt Höhlenmalereien hinterlassen wir Minen und Gruben aus denen wir unsere Rohstoffe gewannen. Edward Burtynsky fotografiert die Eingriffe des Menschen in die Natur.

Von Edward Burtynsky
Veröffentlicht am 28. Apr. 2020, 16:28 MESZ
Wie aus einer anderen Welt: Die schneckenförmigen Muster auf dem Foto stammen von einer Maschine. Die ...

Wie aus einer anderen Welt: Die schneckenförmigen Muster auf dem Foto stammen von einer Maschine. Die wellenförmigen Kalistreifen leuchten orange.

Foto von Edward Burtynsky

Kaliminen durchziehen die Erde unter der sibirischen Stadt Beresniki. Hier entstand das Foto. Kaum jemand kann sich diese Unterwelt vorstellen; auch ich konnte das nicht. Und dann war ich selbst dem Druck ausgesetzt – über mir 400 Meter Fels, Erdboden und Leben, das sich darauf abspielt. Auf diese Landschaft wird die Sonne nie scheinen. Doch die Stoffe, die hier abgebaut werden, dienen dem Leben, denn sie sollen in landwirtschaftlichen Großbetrieben auf der ganzen Welt die Felder düngen. Für die Lebensmittelproduktion für eine wachsende Weltbevölkerung sind sie ein notwendiger Baustein. In dieses Tunnelnetz von 10 000 Kilometern Gesamtlänge in absoluter, lebensfeindlicher Finsternis gelangte ich mit meinem Team in einem Aufzug, der Platz für 40 Minenarbeiter bot, Ausrüstung inklusive. Es war neblig; die feuchtkalte Luft drang uns in die Knochen. Am Grund des Schachts bestiegen wir Lastwagen. Von deren Scheinwerfern und unseren Stirnlampen stammte das einzige Licht. Ich hatte in einer Goldmine gearbeitet, ehe ich Fotograf wurde, doch diese Erfahrung war verstörend: Die Tunnel teilten sich wieder und wieder und wieder. Ich begann, unsere Route mit Kreuzen zu markieren. Würden unsere Lichter verlöschen, dann wären wir verloren. Niemand würde uns rufen hören. Stimmen verklingen schnell unter der Erde. Dennoch war es wunderschön dort unten, inmitten der farbig leuchtenden Schichten eines urzeitlichen Meeresbodens – die orangen Kalistreifen bilden Wellenlinien, die der Druck der darüber liegenden Erde geformt hat. Die schneckenförmigen Muster auf dem Foto stammen von einer Maschine: Rotierende Bohrer an zwei Armen höhlen die Tunnel aus. Beim Umschalten in den Rückwärtsgang entstehen die „Wirbel“ im Gestein.

Anthropozän – das neue geologische Zeitalter

Diese Abdrücke sind ebenso wie die Tunnel selbst Anzeichen des Anthropozän. Der Begriff soll ein neues geologisches Zeitalter benennen, das definiert wird durch Einwirkung des Menschen auf die Natur. Wenn unsere Städte einst verfallen und von Pflanzen überwuchert sind, werden diese Tunnel als Spuren unserer Existenz überdauern – so wie die Höhlenmalereien in Lascaux uns heute aus dem Leben der Menschen erzählen, die dort vor 20 000 Jahren gelebt haben. Seit 40 Jahren fotografiere ich die Eingriffe des Menschen in die Natur. Ich spüre Beispiele von Vereinnahmung auf – für Landwirtschaft, Industrie und das Verkehrswesen. Wir holen Rohstoffe aus der Erde, um daraus Kram herzustellen. Ich bin zutiefst in Sorge wegen dieser Konsumwelt, die meine Töchter erben werden. Wenige Menschen sehen, woher die Rohstoffe stammen, die ihnen ihr Leben ermöglichen. Wir sehen Wolkenkratzer, aber nicht die Quarzminen, ohne die es die Glasfronten davor nicht gäbe. Wir sehen Beton, aber nicht die Sandgruben, die dafür das Material liefern. Wir sehen bestellte Felder, aber nicht die Wälder, die einst dort wuchsen – oder die Kalimine, aus welcher der Dünger stammt, der das Getreide nährt. Wir sehen das Yang, aber nicht das Yin – denn zu jeder großen menschlichen Schöpfung gibt es irgendwo in der Natur einen noch größeren Akt der Zerstörung.

Edward Burtynskys letzter NATIONAL GEOGRAPHIC-Beitrag behandelte die Wasserkrise in Kalifornien. Das multimediale Anthropocene Project ist seine aktuellste Arbeit.

Mit freundlicher Genehmigung der Howard Greenberg Gallery and Bryce Wolkowitz Gallery, New York/Robert Koch Gallery, San Francisco.

 

Der Artikel wurde ursprünglich in der April 2020-Ausgabe des deutschen National Geographic Magazins veröffentlicht. Jetzt ein Abo abschließen!

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