Korallenriffe aus dem 3-D-Drucker: Kann Schweizer Technologie das Korallensterben verhindern?

Korallen sterben weltweit in rasantem Tempo. Meeresforscherinnen aus Zürich wollen den empfindlichen Nesseltieren helfen – mit Tongerüsten aus dem 3-D-Drucker.

Von Julia Graven
Veröffentlicht am 21. März 2023, 10:42 MEZ
Künstliches Korallenriff

Korallen sterben weltweit in rasantem Tempo. Meeresforscherinnen aus Zürich wollen den empfindlichen Nesseltieren helfen – mit Tongerüsten aus dem 3-D-Drucker.

Foto von Purwanto Nugroho

Dem Riffkalmar ist es egal, dass sein neues Zuhause aus dem 3-D-Drucker stammt. Unbeeindruckt schwimmt er durch die kunstvoll geformten Öffnungen in den einzelnen Bausteinen, die wie große Legoblöcke über- und nebeneinandergestapelt sind. Seit eineinhalb Jahren erhebt sich das künstliche Riff in der Karibik vor der kolumbianischen Insel San Andrés. Die Gründerinnen des Sozialunternehmens rrreefs haben im Labor in Zürich 228 einzelne Module aus Ton gedruckt und gebrannt und mit ihnen ein Zuhause für Korallen und andere Riffbewohner gebaut. 

Künstliche Riffgestaltung: Ein neues Riff in fünf bis zehn Jahren

Wie gut diese es annehmen, erstaunt selbst Meeresbiologin Hanna Kuhfuss, die im Team verantwortlich für die wissenschaftlichen Experimente im Labor und im Wasser ist. Es wimmele von Leben. Seeigel, junge Papageifische, Muränen, Baby-Oktopusse und auch die ersten Korallenlarven seien da, „ganz von alleine“, sagt die 37-Jährige. Andere Projekte ziehen junge Korallen erst einmal in Korallengärten groß und befestigen dann in Handarbeit die Fragmente unter Wasser an Gerüsten oder Riffgestein. Das ist kaum für den großflächigen, weltweiten Einsatz geeignet. In fünf bis zehn Jahren werde das Riff vor San Andrés komplett von Korallen bedeckt sein, schätzt Kuhfuss. Auf natürliche Art und Weise würde es Jahrzehnte dauern, bis Millionen von Polypen ein solches Gebilde aufgetürmt hätten. 

Doch die Zeit drängt. Experten zufolge sind schon heute 80 Prozent der Riffe weltweit in keinem guten Zustand. Sie reagieren empfindlich auf die steigenden Meerestemperaturen, daher gelten sie als Frühwarnsysteme für den Klimawandel. Bei Hitzestress kommt es zur Korallenbleiche – die Polypen stoßen die Algen ab, die sie mit Nährstoffen versorgen. Dauert die Bleiche zu lange, sterben die Korallen ab. Übrig bleibt ein Schutthaufen am Meeresgrund. Heute arbeiten überall auf der Welt Menschen daran, die Riffe zu retten. Schließlich sind sie nicht nur ein buntes Wunderland für Tauchtouristen, sondern für Küstenbewohner wichtig: Sie schützen die Küsten vor starken Wellen und Erosion, bieten Fischern üppige Fanggebiete und beherbergen so viele verschiedene Arten wie kein anderer Ort im Meer. 

Korallensterben: Resiliente Superkorallen gegen den Klimawandel? 

Ein Viertel aller Meereslebewesen ist von Riffen direkt abhängig, zum Beispiel sind dort rund 4000 Fisch- und 800 Korallenarten zu Hause. Sie alle verlieren mit dem Riffsterben ihren Lebensraum. „Dann können auch wir Menschen einpacken“, sagt Kuhfuss. Gegen die Erderhitzung sind künstliche Riffe machtlos – sie können das Korallensterben nicht verhindern. Doch können sie so lange helfen, bis der Mensch den Klimawandel im Griff hat. Womöglich könnten hier auch besonders stressresistente Superkorallen zum Einsatz kommen, die wärmere Temperaturen aushalten – sie werden intensiv erforscht. 

Bislang finanziert sich das Schweizer Projekt vor allem über Preisgelder, Stiftungen und Spenden. Jetzt geht es darum, die nicht preisgünstige Idee für einen weltweiten Einsatz auf wirtschaftlich tragfähige Füße zu stellen. Im Rahmen des Küstenschutzes könnten künstliche Riffe einen Markt finden, hofft Kuhfuss. Auch als Kompensationsmaßnahmen wären sie interessant. Ähnlich wie bei Klimaschutzprojekten, mit denen sich CO2-Emissionen ausgleichen lassen, könnten RiffNeubauten zerstörte Biodiversität kompensieren. 

Bei rrreefs denkt man auch über Riff-Patenschaften nach. Ende März will Kuhfuss untersuchen, wie es den Riffkalmaren und ihren Mitbewohnern in dem neuen Zuhause vor San Andrés geht. Daneben arbeitet das Team an einem neuen Prototyp. Das Riff 2.0 wird größer, schwerer und besser im Boden verankert sein, um starken Hurrikans zu trotzen. Gerade testen die Meeresschützerinnen im Wellenkanal, ob das künstliche Riff fit für eine stürmische Zukunft ist. 

Das National Geographic Magazin 5/23 ist seit dem 20. April im Handel erhältlich.

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Foto von National Geographic

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