Geisterwälder auf dem Vormarsch: Sumpfzypressen in Gefahr

Die Echte Sumpfzypresse kann mehr als 2000 Jahre alt werden. Seine Widerstandsfähigkeit macht den heute bedrohten Baum besonders schützenswert.

Von Joel K. Bourne, Jr.
Veröffentlicht am 15. Sept. 2023, 14:58 MESZ
Sumpfzypressen

Der Landverwalter Zach West watet durch einen Bestand Echter Sumpfzypressen im Black River Preserve der Naturschutzorganisation Nature Conservancy in North Carolina. Hier stehen einige der ältesten Bäume der Erde.

Foto von Max Stone

An einem frischen Dezembertag steht David Stahle auf einer Leiter an einer Echten Sumpfzypresse, deren Stamm so breit ist wie er groß. Er bohrt sich in die Vergangenheit. Die ersten zweieinhalb Zentimeter führen Stahle zurück in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die nächsten zweieinhalb in die Geburtsstunde der USA. Nach zwölf Zentimetern ist Stahle, Spezialist für Holzaltersbestimmung an der University of Arkansas, bei der Ankunft von Christoph Kolumbus in Amerika angelangt. Als er den bleistiftdünnen Bohrkern herauszieht, hat Stahle genug Ringe, um abzuschätzen, dass die knorrige Zypresse aus dem feuchten Erdreich spross, als die ersten Kreuzritter gen Jerusalem zogen – also vor knapp tausend Jahren. Doch besonders wichtig ist dem Forscher der etwa ein Zentimeter breite Abschnitt nahe der Borke, der zwischen 1900 und 1935 wuchs. Gegen Ende dieses Zeitraums, erklärt Stahle, waren etwa 90 Prozent der alten Sumpfzypressen in den USA gefällt. „Nicht einmal ein Promille des ursprünglichen Sumpfzypressenwaldes“ des Landes sei erhalten. „Deshalb ist dieser Ort etwas ganz Besonderes.“

​Sumpfzypressen so alt wie Rom

„Dieser Ort“ ist ein wenig beachtetes Fleckchen Erde am Black River in North Carolina. Hier, im Osten der USA, ragen die ältesten bekannten Bäume östlich der Rocky Mountains in den Himmel. Unter den sich geschlechtlich vermehrenden Baumarten der Erde, die das höchste Alter erreichen können, liegt die Echte Sumpfzypresse (Taxodium distichum) auf Platz fünf. Ein Exemplar, das Stahle mit seinen Kollegen hier im Jahr 2017 entdeckte, stammt mindestens aus dem Jahr 605 v. Chr. Damit ist der Baum mehr als 2600 Jahre alt, keimte also nicht lange nach der Gründung Roms. Stahle hat in der Nähe gleich mehrere weitere Sumpfzypressen ähnlichen Alters gefunden. Die Bohrkerne solcher uralten Bäume liefern den Forschern wertvolle Informationen über die Geschichte des Klimas der Region und die Bodenfeuchtigkeit. Jahrzehntelange Dürren und extrem regenreiche Perioden, sogenannte Pluviale, sind in den Ringen auf das Jahr genau eingeschrieben. Dazu gehört etwa eine Megadürre im 16. Jahrhundert, die möglicherweise Englands erster Niederlassung in der Neuen Welt im Jahr 1587 zum Verhängnis geworden ist.

„Das 20. Jahrhundert ist nicht repräsentativ für die extremen Bedingungen, denen diese Bäume ausgesetzt waren“, sagt Stahle, der rund um den Globus Bohrungen an alten Bäumen vorgenommen hat. Die Trockenphase im 16. Jahrhundert „erstreckte sich von Mexiko bis Kanada, vom Atlantik bis zum Pazifik, und hielt fast 40 Jahre an. Etwas Vergleichbares haben wir in der Neuzeit noch nicht erlebt.“ Während die uralten Bäume Einblick in unsere klimatische Vergangenheit gewähren, lehren uns ihre Geschwister, die näher an der Küste stehen, eine nicht weniger wichtige Lektion über unsere klimatische Zukunft. Echte Sumpfzypressen gehören zu den widerstandsfähigsten Bäumen der Erde. Sie können manche der widrigsten Bedingungen überstehen, die die Natur zu bieten hat. Trotzdem sterben die Sumpfzypressenwälder entlang der Küste von Delaware bis Texas gerade massenweise ab. Übrig bleiben knochenweiße skelettartige Reste. Diese sogenannten Geisterwälder sind vielleicht das eindeutigste Anzeichen für den unaufhaltsam steigenden Meeresspiegel, der Salzwasser tief in einstige Süßwasserökosysteme drückt.
 

 

Skelettgleich ragen abgestorbene Sumpfzypressen aus einem Salzwassersumpf am Sampit River in South Carolina.

Foto von Max Stone

Bedrohung durch Anstieg des Meeresspiegels

Echte Sumpfzypressen sind salztoleranter als andere Arten, mit denen sie ihre feuchte Waldheimat teilen. Doch auch sie können nicht lange überleben, wenn der Salzgehalt im Wasser auf mehr als zwei ppt (parts per thousand oder Gramm pro Liter) steigt. Im Atlantik kann der Wert 35 ppt überschreiten, und an der US-Ostküste steigt der Meeresspiegel schneller an als fast überall sonst auf der Erde. Im nahe gelegenen Wilmington, dem größten Hafen von North Carolina, ist er seit 1950 um rund 30 Zentimeter gestiegen. Bis 2050 wird er sich voraussichtlich um ie Bäume am Black River sind derzeit nicht durch Salzwasser bedroht; der Fluss ist nach wie vor ein Schwarzwasserfluss. Doch weiter flussabwärts, im Einzugsgebiet des Lower Cape Fear River, haben sich seit den 1950er-Jahren mindestens 300 Hektar Sumpfwald in Salzmarschen verwandelt.

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    Cover National Geographic 9/23

    Foto von National Geographic

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