Eine kurze Geschichte der Allergien
Vor 150 Jahren wurden die ersten Allergien dokumentiert. Bis heute hat die Menschheit bei allem Fortschritt kein Heilmittel gegen sie gefunden.
Im Jahr 1859 musste Charles Harrison Blackley niesen. Der Arzt aus Manchester, England, litt unter der sogenannten Sommererkältung, die mit Niesen, tränenden Augen und einer laufenden Nase einherging. Vage Theorien über Heuschnupfen kursierten zu dieser Zeit bereits, aber Blackley war wild entschlossen, die Ursache für das Leiden aufzudecken. Die sommerliche Hitze war eine damals beliebte Erklärung, Ozon eine andere. Blackley erkannte jedoch, dass weder Ozon noch Hitze sein Niesen auslösten, sondern Pollen. Er machte sich daran, dies zu beweisen – überwiegend durch Selbstexperimente.
Allergien sind nichts Neues. Es ist gut möglich, dass das menschliche Immunsystem schon immer auf einige harmlose Substanzen überreagiert hat. Dabei schießt es weit übers Ziel hinaus und verursacht allergische Symptome wie Schwellungen, Ausschlag, gerötete Augen, laufende Nase und Kurzatmigkeit. Solche Reaktionen wurden bereits in historischen Dokumenten aus China, Ägypten und Griechenland im Zusammenhang mit Asthma-Symptomen dokumentiert. Das Wort „Asthma“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet Atemnot. Allergien sind also kein Phänomen der Neuzeit, die moderne Forschung versteht sie heute jedoch besser.
Während des wissenschaftlichen Fortschritts des 19. Jahrhunderts entwickelte sich auch langsam ein Verständnis über Allergien. Im Jahr 1819 verfasste John Bostock eine detaillierte Beschreibung von Heuschnupfen und während der folgenden Jahrzehnte identifizierte Charles Harrison Blackley Pollen als Ursache dafür. Wirksame Heilmittel dagegen wurden allerdings nicht gefunden und viele allergische Leiden blieben als solche unentdeckt. Die Immunologie wurde zum breiteren Feld, die Teile des Allergie-Puzzles konnten jedoch noch nicht zusammengesetzt werden. Anfang des 20. Jahrhunderts sollte sich das ändern.
Im Jahr 1905 beobachte der österreichische Kinderarzt Clemens von Pirquet, dass Patienten, die Impfung mit Pferdeserum gegen die Pocken erhalten hatten, sehr schnell und mit schweren Folgen auf eine zweite Dosis reagierten. Pirquet schloss korrekterweise daraus, dass die Symptome dieser von ihm sogenannten Serumkrankheit auf eine Reaktion des Immunsystems zurückzuführen waren. Das Immunsystem produzierte Antikörper gegen Antigene oder Fremdstoffe, die in dem Serum enthalten waren. 1906 führte er einen neuen Begriff für diese Antiköper-Antigen-Interaktion ein: Allergie.
Während der darauffolgenden Jahre wurde diese überempfindliche Reaktion des Immunsystems als Ursache für Heuschnupfen, Asthma, einige Hautkrankheiten und Anaphylaxie – die extreme allergische Reaktion des gesamten Körpers, die zum Tod führen kann – angesehen. Es wurde außerdem ein Zusammenhang zwischen Asthma und Anaphylaxie, sowie Anaphylaxie und der Produktion des Neurotransmitters Histamin im Körper hergestellt. Das allgemeine Interesse an Allergien stieg sprunghaft an und in ganz Europa und Amerika schossen Allergiekliniken wie Pilze aus dem Boden. In Experimenten wurde an der Immuntherapie geforscht, bei der das Immunsystem der betroffenen Person über einen längeren Zeitraum immer größeren Mengen des Antigens ausgesetzt wird.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bezeichnung Allergie für viele Leiden benutzt, auch für Reaktionen auf synthetische Chemikalien in beispielsweise Kosmetika, und Unverträglichkeiten alltäglicher Lebensmittel. Schon im ersten Jahrhundert nach Christus schrieb der römische Philosoph Lukrez: „Was des einen Menschen Nahrung, ist des anderen bitteres Gift.“ Nahrungsmittelallergien waren jedoch schwierig nachzuweisen, da sie bekanntermaßen wechselhaft und oft scheinbar ohne direkten Zusammenhang zu Essen und Trinken auftreten können. Erst ausführliche Untersuchungen von Fällen, die zuvor als medizinische Anomalien abgetan worden waren, brachten den Durchbruch und bewiesen ihre Ursache in Nahrungsmittelallergien. Die Schleusen öffneten und entsprechende Diagnosen häuften sich. Für viele Ärzte blieben Lebensmittelallergien jedoch eine Modediagnose.
Währenddessen stieg die Produktion von Allergiemedikamenten exponentiell an. 1948 wurden Corticosteroide erfolgreich zur Behandlung von Asthmaanfällen eingesetzt. Außerdem kamen die ersten speziellen Anti-Allergieprodukte auf den Markt, wie beispielsweise nicht-biologisches Waschmittel. Biologische Seifen weckten aufgrund der in ihnen enthaltenen Enzyme Sorge in der Bevölkerung. Die Kennzeichnung von Lebensmitteln wurde selbstverständlicher und die ersten Warnungen vor potenziellen Allergenen tauchten auf Verpackungen auf.
In den 1950er-Jahren machte das Verständnis von Allergien einen großen Sprung nach vorne, als die Mastzellen entdeckt wurden. Diese befinden sich in einigen der empfindlichsten Körperteile, wie der Haut, in Blutgefäßen und dem Atmungssystem. In einer Mastzelle sind zwischen 500 und 1500 Granula gespeichert, jedes davon vollgepackt mit Botenstoffen wie Histamin und allzeit bereit, Antigene anzugreifen. Diese Botenstoffe rufen die Symptome einer allergischen Reaktion hervor.
Im Jahr 1967 identifizierten Wissenschaftler schließlich den Antikörper Immunglobulin E (IgE) als Ursache für die meisten allergischen Reaktionen. Wenn ein menschlicher Organismus einem Antigen, wie z.B. Erdnüssen, ausgesetzt wird, produziert er einen spezifischen IgE-Antikörper. Dies ist die Sensibilisierungsphase. Menschen, die anfällig für Allergien sind, produzieren eine überproportional große Menge an IgE, das im Ruhezustand verbleibt, bis sie erneut mit dem Allergen in Kontakt kommen. Daraufhin spielt das IgE komplett verrückt und löst in den Mastzellen die Abgabe allergieverursachender Botenstoffe aus.
Weitere Erkenntnisse folgten: Bluttests, um den IgE-Spiegel festzustellen; der EpiPen, um anaphylaktische Schocks zu behandeln; die Verleihung des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin im Jahr 1982 für die Arbeit an Leukotrienen, die Asthma und entzündliche Reaktionen auf Antigene hervorrufen.
Heutzutage sind Allergien die sechsthäufigste Ursache chronischer Krankheiten in den USA, in Deutschland sind bis zur 40% der Bevölkerung von Allergien betroffen. Die Kosten dafür liegen in den USA bei rund 18 Milliarden US-Dollar. Die Forschung geht also weiter. Fortschritte in der Immuntherapie und der Behandlung einiger Symptome gibt es durchaus, die echte Heilung von Allergien liegt allerdings nach wie vor in weiter Ferne.
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