„Hier zu forschen ist extrem herausfordernd“

Mathias Göckede vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena untersucht die Folgen der Erderwärmung für arktische Permafrostböden.

Von Andrea Henke
Veröffentlicht am 16. Sept. 2019, 00:06 MESZ
Der ostsibirische Batagaika-Krater
Permafrost ist von Eis durchzogen. Wenn er taut, sackt Tundraboden ein, Krater oder Seen entstehen. Der ostsibirische Batagaika-Krater ist 800 Meter breit und dehnt sich weiter aus.
Foto von Katie Orlinsky

Herr Göckede, woran forschen Sie genau?

Wir messen seit 2013 im Permafrostgebiet rund um Tscherski in Nordost-Sibirien kontinuierlich, wieviel Kohlenstoffdioxid und Methan zwischen den Permafrost-Ökosystemen und der Atmosphäre ausgetauscht wird und welche Folgen das hat.

Wie machen Sie das?

Wir haben zwei Messstationen eingerichtet. Eine liegt in Ambartschik in der Nähe des arktischen Ozeans. Dort messen wir in 27 Metern Höhe die Konzentrationen der Treibhausgase CO2 und Methan in der Atmosphäre. Um abschätzen zu können, wo und wieviel CO2 und Methan in die Luft abgegeben bzw. vom Ökosystem aufgenommen wurden, verwenden wir atmosphärische Transportmodelle. Beginnend am Ort der Messung simulieren wir die Bewegungen der Luftmassen rückwärts in der Zeit.

Unser zweiter Standort befindet sich auf einer Überflutungsfläche des Kolyma-Flusses etwa 15 Kilometer südlich von Tscherski. Hier haben wir eine Vielzahl von Messsystemen installiert, um die Kohlenstoff- und Energieprozesse im Permafrost zu untersuchen. Die wichtigsten Komponenten sind zwei Türme mit Instrumenten in etwa fünf bis sechs Meter Höhe über dem Boden. Das Verfahren, das wir dort anwenden, nennt sich Eddy-Kovarianz-Methode. Das ist eine mikrometeorologische Technik, mit der man direkt den Austausch von CO2, Methan und Energie zwischen dem Ökosystem und der Atmosphäre messen kann.

Was fällt Ihnen auf?

Die Bedingungen schwanken üblicherweise stark von Jahr zu Jahr, Trends sind nur über sehr lange Zeiträume auszumachen. Im vergangenen Sommer 2019 war beispielsweise die Vegetation sehr früh dran, bedingt durch eine Warmphase im Juni. Das kann eine gewöhnliche Wetterschwankung gewesen sein. Wenn man sich allerdings Bilder von vor 20 bis 30 Jahren ansieht, also aus der Frühzeit der Station, kann man schon sehen, dass mittlerweile einige Flächen deutlich stärker verbuscht sind und sich Bäume angesiedelt haben, wo es früher keine gab. Und in unserem Testgebiet, einer vormals ungestörten Überflutungsfläche der Kolyma, entstehen langsam die ersten Thermokarstseen. Das sind alles Indizien für eine Veränderung. Aber wir sind noch nicht lang genug am Ort, um dies wissenschaftlich mit eigenen Daten untermauern zu können.

Was sind Thermokarstseen?

Ganz allgemein bedeutet Thermokarst die Bildung von Landschaftsformen durch das Auftauen von eisreichem Permafrost. Dazu muss ein Permafrost-Ökosystem durch eine Störung aus dem Gleichgewicht gebracht werden – dies kann durch Klimawandel geschehen, aber auch durch Feuer oder die Ansammlung von Wasser. Thermokarstseen können entstehen, wenn sich Wasser nach der Schneeschmelze oder nach Niederschlägen in leichten Senken auf Permafrostgebieten sammelt.

Können Sie das näher erklären?

Die Überflutungsfläche des Kolyma-Flusses sieht auf den ersten Blick extrem flach aus. Geringe Höhenunterschiede von ein bis zwei Metern reichen aber aus, damit sich das Wasser in den leichten Senken sammelt. Dort hat man dann einen anderen Energiehaushalt als in höher gelegenen und somit trockeneren Flächen, weil Wasser viel Wärme speichern kann. Das wärmere Wasser bewirkt, dass mehr Eis im Boden abtaut, was zu seiner weiteren Absenkung führt. Es kann nun vorkommen, dass diese Flächen in milden, schneereichen Wintern nicht mehr vollständig durchfrieren und somit empfindlicher für weitere Veränderungen sind. Über die Jahrzehnte kann es dann zu einem sich selbst verstärkenden Prozess kommen, der einen See entstehen lässt und immer mehr von dem darunterliegenden Permafrost auftaut. Generell spielt Wasser eine sehr wichtige Rolle für den Zustand der Permafrost-Ökosysteme.

Was bedeutet die Seenbildung für die restlichen Flächen?

Das vorhandene Wasser verteilt sich horizontal, und die übrigen Flächen trocknen aus. Die Seenbildung beobachte ich in der Landschaft, aber es ist nicht mein Fachgebiet.

Für uns ist allerdings sehr wichtig, was mit den Eiskeilen passiert. Sie bilden sich im Winter durch das Schrumpfen und Wiederausdehnen von Frostrissen, in die das Wasser einsickert. Über Jahrzehnte bis Jahrhunderte können diese Keile zu sehr großen Eismassen anwachsen, die viele arktische Landschaften wie ein unterirdisches Netzwerk durchziehen. Die sehr eisreichen Böden entlang der Keile sind deutlich empfindlicher gegenüber Erwärmung als die restlichen Böden mit weniger Wassergehalt. Sollte es zu einem Auftauen und nachfolgendem Absinken kommen, sammelt sich wie bei Thermokarstseen dann das Wasser in den Gräben, und die umgebende Landschaft wird trockener. Dieses Austrocknen haben wir in unserem Testgebiet durch eine Drainage simuliert.

Was haben Sie dabei erfahren?

Das dauerhafte Austrocknen der Landschaft im Sommer hat schon zu deutlichen Veränderungen im Landschaftsbild geführt. Es gibt wesentlich mehr buschartige Gewächse, also höhere Vegetation, generell mehr Biomasse. Die Vegetation erscheint aktiver und das können wir auch durch unsere Daten nachweisen. Im Sommer nehmen die Pflanzen mehr CO2 auf, geben im Herbst und Winter aber auch durch Atmung wieder mehr ab. Insgesamt wird im Laufe eines Jahres weniger CO2 aus der Atmosphäre in das Ökosystem aufgenommen als im natürlichen System, dieser Prozess verstärkt also den Klimawandel. Bei Methan haben wir den umgekehrten Effekt, denn hier halbieren sich die Emissionen dieses sehr potenten Treibhausgases durch die trockeneren Umweltbedingungen.

Gibt es also auch einen positiven Effekt?

In Hinblick auf den Klimawandel wäre die Entwicklung beim CO2 negativ, beim Methan positiv. Unterm Strich überwiegt aber der CO2-Effekt.

Wird es durch das Abtauen in der Arktis dort feuchter werden, weil mehr Wasser frei wird?

Das ist regional sehr verschieden. Thermokarst-Prozesse werden zunächst einmal lediglich zu einer Umverteilung des Wassers in einer Landschaft führen. Gleichzeitig könnte aber in vielen Regionen durch ein verstärktes Auftauen der Böden im Sommer auch der Grundwasserspiegel abgesenkt werden, was sich an der Oberfläche als Austrocknung bemerkbar macht. Der wichtigste Faktor, wenn es um den Wasserhaushalt geht, ist die Niederschlagsbilanz. Wir rechnen damit, dass in weiten Teilen der Arktis die Niederschläge zunehmen werden, z.B. weil die Ozeane die Eisbedeckung verlieren.

Wo stoßen Sie bei Ihrer Forschung an Grenzen?

Die Infrastruktur und die Umweltbedingungen sind extreme Herausforderungen in der Arktis. Wir sind sehr weit draußen. Allein dorthin zu reisen, dauert zwei Tage. Wir fliegen normalerweise von Berlin über Moskau nach Jakutsk und von dort vier Stunden bis Tscherski, wo wir an einer Forschungsstation arbeiten. Von der Station nahe Tscherski bis in unsere eigentlichen Messgebiete gibt es keine Straßen. Im Sommer fährt man mit Booten weiter und im Winter mit dem Schneemobil auf den zugefrorenen Flüssen. Wir arbeiten üblicherweise aber nicht im tiefen Winter dort, weil es uns dann mit minus 40 bis minus 50 Grad zu kalt ist. Unsere Stationen werden dennoch das ganze Jahr über von unseren russischen Kollegen betreut. Sie passen auf, dass die Instrumente weiterlaufen, lesen die Daten für uns aus und schicken uns Informationen. Diese kontinuierlichen Messungen auch im arktischen Winter sind sehr wertvoll, aber nur mit großem Aufwand zu bekommen.

Inwieweit können Sie Ihre Erkenntnisse auf andere Regionen in der Arktis übertragen?

Wir wissen noch nicht genug. Wir haben an unserer Station in Tscherski vor allen Dingen gemessen, was passiert, wenn vormals nasse Permafrost-Ökosysteme austrocknen. Gleichzeitig muss man natürlich berücksichtigen, dass irgendwo auch ein See oder ein Wassergraben entstanden ist, der dann auch wieder Wechselwirkungen mit der Atmosphäre und dem Wasserkreislauf hat. Der Netto-Effekt müsste beide Systeme berücksichtigen, und dafür bräuchten wir mehr Daten und Messstationen. Gemeinsam mit Kollegen aus anderen arktischen Forschungsgruppen arbeiten wir daran, diese Lücken zu schließen, aber das Netz an verfügbaren Stationen ist immer noch sehr dünn.

Mathias Göckede vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie arbeitet in Sibirien nur mit Mückenschutz.
Foto von Martin Hertel

Ihre Kooperationspartner in der Arktis sind Sergej Zimov und sein Sohn Nikita. Die beiden russischen Wissenschaftler wollen das Abtauen des Permafrosts verlangsamen, indem sie Tiere auf einem Stück Land am Unterlauf der Kolyma ansiedeln, die den Boden so fest trampeln, dass er nicht so leicht tauen kann und Klimagase freisetzt.  Können Sie sich vorstellen, dass eine solche lokale Maßnahme auf größeren Gebieten angewandt werden kann und einen messbaren Effekt auf den Klimawandel hat?

Es ist ein sehr interessanter Ansatz, und im sogenannten Pleistozän Park der Zimovs kann man deutlich sehen, was diese Eingriffe mit der Landschaft machen. Ich habe in diesem Sommer sehr viel dort gearbeitet, auch auf den intensiv beweideten Flächen. Das ist vom Ökosystem eine andere Welt im Vergleich zu den Untersuchungsflächen, auf denen wir unsere langjährigen Messungen durchführen und die ungestört und unbeeinflusst von irgendeinem Management sind. Das Konzept generell ist auf jeden Fall sehr interessant, um diese Landschaft zu verändern und zu stabilisieren. Was genau das für den Kohlenstoff- und Energiehaushalt bedeutet, ist allerdings noch nicht ganz klar. Die grundlegenden Theorien sind einleuchtend, aber bisher hat noch niemand den Nettoeffekt vermessen.

Lesen Sie mehr über die Arktis in Heft 9/2019 des National Geographic-Magazins!

Einen englischsprachigen Artikel von National Geographic zum Thema Permafrost finden Sie hier.

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