Das Geheimnis der perfekten Schokolade
Auf der ganzen Welt sind Forscher der „perfekten Schokolade“ auf der Spur. Bei ihrer Herstellung spielen komplexe physikalische und chemische Vorgänge eine besondere Rolle.
Wie stellt man die perfekte Schokolade her?
Das Knacken zwischen den Zähnen, der seidige Glanz, der zartschmelzende Charakter auf der Zunge und das vollmundige Aroma im Mund: Eine gute Schokolade erkennt man meist schon beim ersten Biss. Doch ab wann spricht man von einer „perfekten“ Schokolade? Und wie stellt man sie überhaupt her? Es ist ein Thema, das die Schokoladenforschung schon längere Zeit beschäftigt.
Auch am Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising befasst man sich mit dem Thema. Mehr als 30 Jahre war Dr. Gottfried Ziegleder dort in der Schokoladenforschung aktiv. Selbst im Ruhestand steht er dem IVV noch in beratender Funktion zur Seite. In Ziegleders Augen gäbe es viele Dinge, die eine perfekte Schokolade ausmachen. „Man kann sagen, Perfektion steckt in allem“, so Ziegleder. In sämtlichen Schritten des Herstellungsverfahrens könne man Perfektion anstreben.
Mehr als 30 Jahre lang war Dr. Gottfried Ziegleder am IVV in der Schokoladenforschung tätig. Auch heute noch befasst er sich mit dem Thema.
Am ehesten zu erklären sei Perfektion aber noch auf geschmacklicher Ebene. Wobei es auch hier Schwierigkeiten mit der Definition gibt: „Wir haben weltweit eine unterschiedliche Geschmackserwartung“, sagt Ziegleder. So würde man etwa in Nordamerika Schokoladen mit anderem Geschmack gut finden, als in Europa. Sogar regional gäbe es Unterschiede. Trotzdem lassen sich auch Gemeinsamkeiten entdecken: „Perfektion liegt darin, dass dieser Geschmack harmonisch, intensiv und anhaltend ist“, so Ziegleder.
Das Herzstück hoher geschmacklicher Qualität ist das Conchieren. In dem 1879 vom Schokoladenhersteller Rudolf Lindt erfundenen Prozess wird die Schokoladenmasse mehrere Stunden lang in der sogenannten Conche, einer Art Knet- und Rührmaschine umgerührt und auf bis zu 90 ° C erhitzt. Dadurch werden Aromastoffe in der Schokolade verteilt, während störende Geruchs- und Geschmacksstoffe, ebenso wie überflüssiges Wasser verdunsten. „Vor dem Conchieren hat man das Gefühl, man verkostet Kakao und Zucker“, sagt Ziegleder. Nach dem Prozess würde ein neuer Geschmack entstehen: „Und das ist Schokolade.“
Kakaobutter: Wenn Schokolade geimpft wird
Und noch etwas bewirkt das Conchieren: Im Zuge des Prozesses wird die in der Schokoladenmasse eingeschlossene Kakaobutter freigesetzt. Sie ist das ursprünglich in der Kakaobohne enthaltene Fett und ein weiterer Faktor, der die Qualität von Schokolade maßgeblich beeinflusst. „Die Kakaobutter hat die Eigenschaft, dass sie sehr gut kristallisiert“, sagt Ziegleder. Im Idealfall verleiht dies der Schokolade nicht nur ihren Glanz – es sorgt auch dafür, dass die Schokolade knackig wird und zum richtigen Zeitpunkt schmilzt.
Allerdings nur im Idealfall. Denn um bei Kakaobutter die richtige Kristallisation zu erzielen, ist ein tiefes Verständnis von physikalischen und chemischen Vorgängen notwendig. Beim Abkühlen bildet die Kakaobutter, chemisch gesehen ein Gemisch aus Triglyceriden, sechs unterschiedliche Kristallformen. Lediglich eine dieser Kristallformen – von Experten „Beta-V“ genannt – sorgt für die gewünschten Eigenschaften der Schokolade. Kristallisiert die Kakaobutter in einer der anderen fünf Formen, wird die Schokolade bei Raumtemperatur entweder gar nicht mehr richtig fest. Oder es entsteht der sogenannte „Fettreif“, ein gräulicher Belag auf der Schokoladenoberfläche. Dieser ist zwar nicht schädlich – er wirkt aber unästhetisch und wird von Chocolatiers nicht gerne gesehen.
Kakaobutter beeinflusst die Qualität von Schokolade maßgeblich.
Um also die unerwünschten Kristallformen zu vermeiden, sind spezielle Kristallisationsprozesse notwendig. „In der Praxis haben sich zwei Prinzipien bewährt“, sagt Ziegleder. Traditionell führt man die Kristallisation mit einer Temperiermaschine herbei. Dabei wird die Schokoladenmasse gezielt erwärmt, abgekühlt und erneut erwärmt. Durch die richtige Temperatur bilden sich vermehrt Kristalle in der bevorzugten Beta-V-Form, während andere Kristallformen nach und nach verschwinden. Durch zusätzliches Rühren macht sich die Maschine aber auch mechanische Scherkräfte zu Nutze. „Kakaobuttermoleküle werden unter einer gewissen Scherung in die richtige Kristallstruktur gezwungen“, so Ziegleder. Abseits vom Temperieren hat sich aber auch das sogenannte „Impfen“ etabliert. Dabei werden die gewünschten Kristalle nicht in der Schokoladenmasse erzeugt, sondern in Form von zerkleinerter oder pulverisierter Schokolade beigemischt. Da diese Schokoladenstücke schon die gewünschte Form besitzen, lagert sich hier rasch weitere Kakaobutter an, die dann ebenfalls in der Beta-V-Form kristallisiert.
Ein neues Verfahren?
Wie man vor allem den zeitaufwändigen und komplexen Temperierprozess vereinfachen könnte, zeigte kürzlich ein Forscherteam der University of Guelph in Kanada. In einer im Herbst 2021 im Fachblatt „Nature Communications“ veröffentlichten Studie behaupten die Forscher rund um Alejandro Marangoni, dass man durch die Beigabe von einer kleinen Menge an bestimmten Phospholipiden zur flüssigen Schokoladenmasse und rasche Abkühlung auf 20° C, Schokolode mit „optimaler Mikrostruktur, Oberflächenglanz und mechanischer Festigkeit erhalten würde.
Bei der Herstellung von Schokolade ist ein tiefes Verständnis von chemischen und physikalischen Vorgängen notwendig.
Für Ziegleder sind die Ergebnisse der Studie wenig überraschend. „Diese Phospholipide sind in der Kakaobutter sowieso vorhanden und spielen schon immer bei der Kristallkeimbildung eine Rolle“, so der Schokoladenexperte. Neu sei lediglich die Art der Phospholipide, die in der Studie beschrieben wird. Tatsächlich wird in der Schokoladenproduktion schon jetzt traditionell 0,3 Prozent Lecithin – ein Gemisch aus Phospholipiden – zugegeben, um die Schokolade fließfähiger zu machen. So auch bei der 2021 auf den Markt gebrachten „Jokolade“. Beim Schokoladenhersteller aus Schondorf am Ammersee betrachte man die Entwicklungen in der Schokoladenforschung genau. Theoretisch sinnvolle Methoden, wie die Beigabe neuer Phospholipide, würden sich jedoch nicht immer 1:1 in der Praxis umsetzen lassen: „Jeder weitere Inhaltsstoff, welcher in den Prozess integriert werden muss und zudem durch ein aufwendiges Verfahren extrahiert wird, ist mit zusätzlichem Aufwand und hohen Kosten verbunden“, so der Schokoladenhersteller in einer Stellungnahme.
Das Thema Nachhaltigkeit
Ohnehin sind auf der Suche nach der perfekten Schokolade auch noch weitere Aspekte – abseits von Geschmack und physikalischen Eigenschaften – von Bedeutung. Vor allem Nachhaltigkeit sei ein Thema, das die Schokoladenforschung zunehmend beschäftigt. Am IVV verfolge man mehrere Innovationsansätze in diesem Bereich. „Man setzt sich immer mehr mit nichttropischen Zutaten auseinander“, sagt Dr. Christoph Verheyen, Abteilungsleiter im Bereich „Verfahrensentwicklung Lebensmittel“ am IVV.
Dr. Christoph Verheyen ist am IVV Abteilungsleiter im Bereich "Verfahrensentwicklung Lebensmittel". Unter anderem befasst er sich mit Innovationsansätzen auf dem Gebiet der Schokoladenforschung.
So würde es beispielsweise für tropische Zutaten wie Palmfette und Rohrzucker auch regionale Alternativen geben. „Ganz extrem gedacht könnte man sogar versuchen, Schokolade aus Nichtkakaorohstoffen herzustellen“, sagt Verheyen. Für Schokoladenhersteller wie die Jokolade seien Alternativen für tropische Zutaten zumindest teilweise denkbar. Schon jetzt verzichtet der Hersteller etwa auf Zutaten wie Palmfett oder Soja. Auch beim Zucker könnte auf Alternativen zurückgegriffen werden: „Zum Beispiel können hier natürliche Rohstoffe wie Früchte eingesetzt werden, welche die Süßkraft von zugegebenen Rohrzucker ersetzen“, so der Hersteller.
Auf Kakao als Rohstoff wolle man aber auch weiterhin setzen – der Verzicht darauf würde nicht zur Mission des Unternehmens, das Leben der Kakaobauern in den Anbauländern zu verbessern, passen. „Wir haben eine Verantwortung diesen Ländern gegenüber“, sagt auch Gottfried Ziegleder. Viele Länder seien wirtschaftlich von der Kakaoproduktion abhängig. „Wenn wir in Europa ganz auf Alternativen gehen, lassen wir auch die Leute im Stich.“ Es ist also unwahrscheinlich, dass die Kakaobohne relativ bald als Schokoladenrohstoff ausgedient hat. Selbst wenn man eine Alternative für Kakao finden würde, gibt es in Ziegleders Augen nämlich noch etwas zu beachten: „Es wird Jahrzehnte dauern, bis das auch wirklich gut schmeckt.“ Denn der perfekte Geschmack von Schokolade ist bekanntlich eine Wissenschaft für sich.