Milliardengeschäft der Zukunft: Medizin für ein langes Leben

Biologisch, so scheint es, können wir für ein längeres, gesünderes Leben optimiert werden. Dahinter wartet ein Geschäft mit riesigem Ausmaß.

Von Fran Smith
Veröffentlicht am 15. Dez. 2022, 13:50 MEZ
Medizin für ein langes Leben: In Kalabrien werden die Menschen sehr alt.

Auch im Alter gesund bleiben? "Essen Sie nicht zu viel“, empfiehlt Grazia Cosmano, 102, „und halten Sie sich an Obst und Gemüse. Je einfacher, desto besser.“ Biochemiker meinen, dass die Ernährung zum hohen Alter vieler Menschen im italienischen Kalabrien beiträgt.

Foto von National Geographic

Mit Mäusen klappt es schon. Wissenschaftler verabreichen den Tieren Rapamycin, das häufig nach Transplantationen verschrieben wird, um eine Organabstoßung zu vermeiden. Damit erhöhen sie die Lebenserwartung von Mäusen mittleren Alters um bis zu 60 Prozent. Sie füttern sie mit Senolytika und halten hochbetagte Mäuse damit erstaunlich rüstig. Mit den Diabetesmedikamenten Metformin und Acarbose oder extremer Kalorienrestriktion sorgen sie dafür, dass Mäuse weit über ihr normales Höchstalter hinaus quicklebendig in den Laborkäfigen umherspringen.

Der neueste Plan der Forscher: den Alterungsprozess selbst zu „hacken“ und alte Zellen auf ihr jüngeres Selbst zurückzuprogrammieren. „Wenn Sie eine Maus sind, können Sie sich glücklich schätzen, denn es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, Ihr Leben zu verlängern“, sagt Cynthia Kenyon, eine Molekularbiologin, deren bahnbrechende Arbeit aus den 1990er-Jahren den Anstoß zu dem heutigen Forschungsboom gab. Auch wir Menschen scheinen auf einem guten Weg zu sein: Seit den ersten entsprechenden Aufzeichnungen in Deutschland von 1881 hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung mehr als verdoppelt: von 39 auf 83 Jahre bei Frauen und von 36 auf heute 79 Jahre bei Männern.

Ewige Jugend: Fit mit über 100 Jahren?

Doch dieser bemerkenswerte Zugewinn hat seinen Preis: eine gigantische Zunahme chronischer und degenerativer Erkrankungen. Die damit verbundenen Schmerzen und Beschwerden können die späten Jahre zu einem zweifelhaften Segen machen. Forscher arbeiten deshalb nicht einfach daran, unsere Lebensspanne an die vermutete natürliche Höchstdauer von 120 bis 125 Jahren hinauszuschieben. Die vielen Versuche an Fadenwürmern und Fruchtfliegen, Killifischen und Mäusen sollen uns vor allem ein gutes Leben im Alter bescheren. Es scheint nämlich, dass die menschliche Biologie dafür optimiert werden kann. Ein Geschäft riesigen Ausmaßes wartet auf denjenigen, der den Code knackt – kein Wunder, dass Investoren Milliarden in den Versuch stecken.

Den Anfang des Investment-Rauschs machte Google im Jahr 2013 mit der Gründung von Calico Life Sciences, wo Cynthia Kenyon als Vizepräsidentin im Bereich Altersforschung fungiert. In den letzten Jahren zogen andere Tech-Tycoons, Krypto-Millionäre und seit Kurzem auch saudische Prinzen nach. Befeuert wird die Forschung durch künstliche Intelligenz, Big Data, zelluläre Umprogrammierung und ein immer genaueres Verständnis der zigtausend Moleküle, die unseren Körper am Laufen halten. Einige Forscher sprechen sogar davon, das Altern „heilen“ zu können.

Der Tierkardiologe Ryan Baumwart wertet das EKG eines Hundes aus. Die Untersuchung an der Washington State University in Pullman erfolgt im Rahmen von Kaeberleins Studie über das Anti-Aging-Potenzial von Rapamycin.

Foto von National Geographic

Seit Urzeiten träumt der Mensch von ewiger Jugend. Doch noch vor 30 Jahren war die Erforschung des Alterns und der Langlebigkeit ein derartiges Randphänomen, dass Kenyon Schwierigkeiten hatte, junge Wissenschaftler als Assistenten zu finden. Während ihrer damaligen Tätigkeit an der University of California, San Francisco, veränderte Kenyon ein Gen in winzigen Fadenwürmern (C. elegans) und verdoppelte so deren Lebensspanne. Die Mutanten verhielten sich insgesamt jugendlicher und wanden sich putzmunter unter dem Mikroskop, während ihre nicht veränderten Altersgenossen eher schlapp herumlagen.

Forschung: Eine Spritze für ein deutlich längeres Leben?

Kenyons verblüffende Entdeckung lieferte den Beweis, dass der Alterungsprozess veränderbar ist und von Genen, zellulären Leitungsbahnen und biochemischen Signalen gesteuert wird. „Das Ganze wurde von einem Herumstochern im Nebel zu einem gängigen Forschungsgebiet, das jeder verstand“, sagt sie. Dass der Tod bei Würmern und Mäusen verzögert werden kann, bedeutet jedoch nicht, dass dies auch beim Menschen funktioniert. Kurze Zeit schien es, als würden Senolytika das große Ding. Die Mittel töten schädliche Zellen ab, die sich mit dem Alter ansammeln. Doch schon eine der ersten klinischen Versuchsreihen – eine mit Spannung erwartete Studie über ein Medikament gegen Arthrose – ergab, dass dieses weder Schwellungen noch Gelenkschmerzen effektiver lindern konnte als ein Placebo.

Derzeit erproben Forscher und Biotech-Unternehmen Senolytika zur Behandlung von Alzheimer im Frühstadium, Long Covid, chronischen Nierenerkrankungen und Schwäche bei Krebspatienten sowie bei Diabetes-Komplikationen, die zur Erblindung führen können. Klinische Studien mit anderen Anti-Aging-Wirkstoffen sind ebenfalls im Gange. Bislang hat es jedoch keines der experimentellen Präparate, die bei Mäusen eine so verblüffende Wirkung zeigten, auf den Markt geschafft.

„Es gibt sehr viele verschiedene Ansätze“, sagt Kenyon. „Wir wissen nicht, ob einer davon funktionieren wird. Vielleicht sind aber auch Kombinationen die Lösung. Wir müssen einfach ganz viel ausprobieren. Und genau das geschieht jetzt.“ Am Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns in Köln haben Forscher zum Beispiel kürzlich herausgefunden, dass das vielversprechende, aber nebenwirkungsreiche Medikament Rapamycin das Tierleben schon erkennbar verlängern kann, wenn es statt lebenslang nur phasenweise verabreicht wird – am besten im jungen Erwachsenenalter: zwei Wochen bei Fruchtfliegen oder drei Monate bei Mäusen. „Wir haben einen Weg gefunden, die Notwendigkeit einer chronischen, langfristigen Einnahme von Rapamycin zu umgehen, sodass die Anwendung im Menschen wahrscheinlicher werden könnte“, sagt Yu-Xuan Lu, Mitautor der Studie.

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