Kosmisches Geheimnis: Die Entdeckung von Radioblitzen

Von der Fantasiefigur zur Messlatte für die Dichte des Universums. Die Geschichte einer Entdeckung.

Von Joe Palca
Veröffentlicht am 12. Sept. 2023, 17:56 MESZ
Von der Fantasiefigur zur Messlatte für die Dichte des Universums. Die Geschichte einer Entdeckung.

Von der Fantasiefigur zur Messlatte für die Dichte des Universums. Die Geschichte einer Entdeckung.

Foto von ELG21

Im Jahr 2007 berichtete Duncan Lorimer von einem spektakulären Himmelsereignis. Es handelte sich um einen Energieblitz, der kurz, aber so stark war, dass er die Erde aus einer Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie erreichen konnte. Er nannte seine Entdeckung Fast Radio Burst (FRB). Der „Schnelle Radioblitz“ dauerte weniger als eine Sekunde und konnte nur mit einem Radioteleskop nachgewiesen werden. Es war ein bemerkenswerter Fund. Vorausgesetzt, sie existierten tatsächlich, könnte man mittels FRBs die Menge an Materie im Raum zwischen Galaxien messen; sie könnten als eine Art Messlatte für die Dichte des Universums dienen.

Ein Glücksfall für die Astronomie: Lorimers Entdeckung von FRBs

Das Problem war, dass Lorimer 2007 nur ein einziges solches Ereignis registriert hatte. Dass ein Einzelereignis den Anstoß für ein neues Forschungsgebiet gibt, ist nicht völlig abwegig. Das Fragment eines kleinen Fingerknochens, das in einer Höhle in Sibirien gefunden wurde, ermöglichte es Anthropologen, auf die Existenz der Denisova-Menschen zu schließen, einer ganzen Population der Gattung Homo, die zur Zeit der Neandertaler auf der Erde lebten. Selten ist es gleichwohl.

Waren die „Lorimer-Ausbrüche“, wie einige sie damals sarkastisch nannten, vielleicht nur eine technische Panne? Die Idee, dass es sich um einen glitch, eine Panne, handeln könnte, wurde durch die Arbeit der Doktorandin Sarah Burke-Spolaor verstärkt. Ihr Doktorvater beauftragte sie, weitere FRBs zu finden. Anhand von Beobachtungen vom Radioteleskop am Parkes Observatory in Australien – demselben Radioteleskop, mit dem Lorimer seinen FRB entdeckt hatte – stieß sie auf weitere Blitze, die wie FRBs aussahen. Aufgrund der Art und Weise, in der sie in den Daten des Teleskops auftauchten, war sie sich jedoch sicher, dass es sich dabei um terrestrische Radiostörungen handelte. Obwohl die Ursache dieser Ereignisse damals noch ein Rätsel war, gab sie ihnen einen Namen: Perytons. So heißen laut dem Schriftsteller Jorge Luis Borges Fantasiewesen, die wie ein Hirsch mit Flügeln aussehen, aber den Schatten eines Menschen werfen.

Die Jahre vergingen, aber keine weiteren FRBs tauchten auf. Hatte Lorimer tatsächlich nur einen Peryton beobachtet? Doch die Hinweise mehrten sich, dass es FRBs gibt. 2011 wurde über einen zweiten Fall berichtet. Zweifler wiesen schnell darauf hin, dass die Messung vom selben Parkes-Radioteleskop stammte wie der „Lorimer-Ausbruch“ und die Perytons. Im Jahr 2013 wurden vier weitere registriert, wieder am Parkes. Im Jahr 2014 schließlich wurde ein FRB von einem anderen Radioteleskop, dem Arecibo-Observatorium in Puerto Rico, gemeldet. In schöner Regelmäßigkeit kamen weitere Entdeckungen von anderen Teleskopen hinzu. Schließlich verlagerte sich die Diskussion über FRBs von der Frage, ob sie real sind, zur Frage: Woher kommen sie?

„Magnetare waren von Anfang an die Hauptverdächtigen“, sagt Shami Chatterjee, Astronom an der Cornell University, „Neutronensterne mit außerordentlich intensiven Magnetfeldern.“ Astronomen vermuten, dass sie übrig bleiben, wenn ein massereicher Stern zur Supernova wird. Sie sind groß genug, um jene Energie zu erzeugen, die in FRBs zu beobachten ist. Und es ist bekannt, dass von ihnen pulsierende Röntgen- und Gammastrahlung ausgeht.

Neue Entdeckungen: Die FRB-Forschung gewinnt an Fahrt

Die These, dass Magnetare FRBs erzeugen können, erhielt im Jahr 2020 Auftrieb, als Astronomen einen FRB in unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, entdeckten. Da er nach kosmischen Maßstäben nahe lag, konnten Astronomen genau bestimmen, woher der Blitz kam. Es stellte sich heraus, dass die Quelle ein zuvor entdeckter Magnetar war. Doch wie konnten Astronomen sicher sein, dass FRBs von einer weit entfernten Galaxie kommen? Die Antwort liegt im sogenannten Dispersionsmaß: Kommt es zu einem starken Ausbruch von Radiowellen aus einer nahen Quelle, erreichen alle Radiofrequenzen, aus denen der Ausbruch besteht, den Beobachter im Wesentlichen zur gleichen Zeit. Wenn die Radioblitze auf ihrem Weg durchs All auf Elektronen treffen, werden sie immer langsamer – aber auf unterschiedliche Weise. Die Hochfrequenzkomponente des Bursts verlangsamt sich weniger stark, sodass sie vor der Niederfrequenzkomponente auf der Erde eintrifft. Der Ausbruch wird also zeitlich gestreckt. Und obwohl im intergalaktischen Raum nicht viele Elektronen herumfliegen, gibt es in den Milliarden von Lichtjahren zwischen der Erde und der Quelle der FRBs genügend Elektronen und sonstige Partikel, um eine solche Streuung der Signale zu verursachen.

Und so können FRBs als Messlatte für die Dichte des Universums verwendet werden. Das Ausmaß der Streuung gibt Aufschluss darüber, durch wie viel „Zeug“ die Radiowellen hindurchgehen. Um eine genauere Schätzung des intergalaktischen Materials zu erhalten, muss man die Entfernung der Galaxie kennen, aus der der FRB kommt. Dazu richten die Astronomen weitere Teleskope in die Richtung des Ausbruchs, um zu sehen, was dort ist. Die Heimatgalaxien von zwei oder drei Dutzend FRBs sind inzwischen bestimmt. Die Zahl dürfte sich drastisch erhöhen, wenn 2024 eine neue Reihe von Radioteleskopen in Betrieb geht. Sie werden ein Radioteleskop namens CHIME ergänzen, das seit 2017 in Betrieb ist und FRBs besonders gut aufspüren kann, da es einen großen Bereich des Himmels abdeckt.

„Wir haben bereits mehrere Tausend FRBs gesehen“, sagt Victoria Kaspi, Physikprofessorin an der McGill University in Montreal. Sie ist leitende Forscherin des CHIME/FRB-Teams. Kaspi geht davon aus, dass sie und ihre Kollegen mit den neuen Teleskopen in der Lage sein werden, den Ort und die Entfernung der meisten FRBs, die CHIME entdeckt, genau zu bestimmen. Eine so große Anzahl von lokalisierten FRBs wird den Astronomen die „Möglichkeit bieten, sie zur Untersuchung der großräumigen Struktur des Universums zu nutzen“.

Das NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin 8/23 ist seit dem 28. Juli im Handel erhältlich.

Foto von National Geographic

Über die Forschung zu Radioblitzen lesen Sie im NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin 8/23. Verpassen Sie keine Ausgabe mehr: Sichern Sie sich die nächsten 2 Ausgaben zum Sonderpreis! 

BELIEBT

    mehr anzeigen
    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie
    • Video

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved