Neue Risikogruppe: Immer mehr junge Menschen erleiden Schlaganfälle

Die Gefahr für einen Schlaganfall nimmt eigentlich mit dem Alter zu. Doch inzwischen trifft er auch immer öfter junge Erwachsene. Dafür ist ein Faktor verantwortlich, den man leicht beheben kann.

Von Tara Haelle
Veröffentlicht am 1. Nov. 2024, 08:52 MEZ
MRA-Scan eines Gehirns

Dieser MRA-Scan zeigt innere Blutungen (rot, Mitte rechts) im Gehirn nach einem hämorrhagischen Schlaganfall. Die Arterien sind in Rosa dargestellt. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Zahl der Schlaganfälle in Zukunft zunehmen wird.

Foto von Image by Zephyr, SCIENCE PHOTO LIBRARY

Weltweit nimmt die Zahl der Schlaganfälle zu. Das zeigt die Studie eines internationalen Forschungsteams, die in der Zeitschrift Lancet Neurology erschienen ist. Ihr zufolge überlebt mittlerweile zwar ein größerer Teil der Betroffenen einen solchen Hirninfarkt als es früher der Fall war, doch sie bildet auch einen besorgniserregenden Trend ab. Während die Zahl der Schlaganfälle bei Menschen über 70 – der Altersgruppe mit dem höchsten Risiko – abgenommen hat oder stagniert, ist sie in der Gruppe der jungen Erwachsenen unter 55 Jahren gestiegen.

„Man muss sich dringend bewusst machen, dass man in jedem Alter einen Schlaganfall erleiden kann“, sagt Studienautorin Omoye Imoisili, Internistin bei den US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC).

Angiogramm eines 48-jährigen Patienten vor (links) und nach (rechts) der Behandlung eines schweren Schlaganfalls

Auf diesem Angiogramm, einer Art Röntgenbild, sind die Blutgefäße im Gehirn eines 48-jährigen Patienten vor (links) und nach (rechts) der Behandlung eines schweren Schlaganfalls zu erkennen. Der Infarkt wurde durch eine verstopfte Hirnarterie verursacht. Auf dem rechten Bild ist der Blutfluss nach der Behandlung wiederhergestellt.

Foto von Image by Zephyr, SCIENCE PHOTO LIBRARY

Schlaganfall-Statistik

Schlaganfälle sind die dritthäufigste Todesursache der Welt: Im Schnitt wird weltweit jedes zehnte Leben durch einen Hirninfarkt beendet. Mehr Menschen sterben der Studie zufolge derzeit lediglich an Herzerkrankungen oder COVID-19. Globalen Analysen zufolge hat die Zahl der kardiovaskulären Sterbefälle, zu denen auch der Tod durch Schlaganfall gehört, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts insgesamt abgenommen – bis sich diese erfreuliche Entwicklung erst stetig verlangsamte und schließlich im Jahr 2015 stagnierte. Bei jungen Erwachsenen stieg die Häufigkeit der Schlaganfälle in diesem Zeitraum sogar. 

Diese Entwicklung kann unter anderem mit steigenden Temperaturen durch den Klimawandel erklärt werden, oder damit, dass immer mehr Menschen übergewichtig sind. Der größte Risikofaktor ist der Studie zufolge aber in jeder Region der Erde derselbe: Hypertonie, also Bluthochdruck. Sie verursacht etwas mehr als die Hälfte aller Schlaganfälle.

Blutdruck kontrollieren, Leben retten

Dabei muss man keinen extremen Bluthochdruck haben, um gefährdet zu sein. Laut dem Neurologen und Studienautoren Valery Feigin von der University of Auckland, Neuseeland, sind es vor allem Personen mit einem nur mäßig erhöhten Blutdruck, die einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt erleiden. Jeder Millimeter, um den der durchschnittliche systolische Blutdruck in der Bevölkerung gesenkt würde, führe zu einer Reduzierung der Schlaganfälle um etwa zehn Prozent. 

Die gute Nachricht: Von allen Ursachen für einen Schlaganfall lässt sich Bluthochdruck am leichtesten kontrollieren und umkehren. „Etwas, das alle Menschen auf der Welt – egal, ob sie in Afrika, Südostasien oder den Hochhäusern von New York leben – tun sollten, ist, ihren Blutdruck zu messen“, sagt Matthew Schrag, Neurologe am Vanderbilt University Medical Center in Nashville, Tennessee. Ein gesunder Blutdruck liegt im Bereich 120/80 mmHg – und um dorthin zu kommen, seien sowohl Veränderungen des Lebensstils als auch die Einnahme von Medikamenten effektive Mittel.

„Ein Blutdruckmessgerät bekommt man für unter 30 Euro und man muss kein Experte sein, um es zu bedienen“, sagt Schrag. „Eine große Aufklärungskampagne über Bluthochdruck ist längst überfällig. Dadurch würden nicht nur Schlaganfälle vermieden werden, sondern auch Herzinfarkte und eine ganze Reihe anderer Gesundheitsprobleme.“

Risiko in verschiedenen Altersgruppen

Die CDC haben zwischen 2011 und 2022 5,2 Millionen erwachsene US-Amerikaner*innen zum Thema Schlaganfall befragt und Gesundheitsdaten analysiert. Laut ihrem Bericht stieg der Anteil der Schlaganfallpatienten von 2,7 Prozent in den Jahren 2011 bis 2013 auf einen Anteil von 2,9 Prozent in den Jahren 2020 bis 2022. 

Obwohl das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, mit dem Alter steigt, hat die Häufigkeit bei den Erwachsenen ab 65 Jahren laut dem Bericht nicht zugenommen. Erklären lassen sich die konstanten Werte in dieser Altersgruppe durch neue Medikamente und bessere Behandlungsmöglichkeiten.

Den größten Anstieg – nämlich um 16 Prozent – gab es bei den 45- bis 64-Jährigen, dicht gefolgt von den 18- bis 44-Jährigen mit einem Anstieg von 15 Prozent. Während sich in der oberen Altersgruppe die Häufigkeit eingependelt zu haben scheint, nimmt sie bei den Jüngeren rasant zu. Einen Grund dafür liefert Imoisili: Bei den jungen Erwachsenen decke sich „die Entwicklung in Bezug auf Schlaganfälle mit den Fällen von Übergewicht und Bluthochdruck – zwei Risikofaktoren für Schlaganfälle“.

Übergewicht, Hypertonie, Luftverschmutzung, Zucker

Laut dem Statistischen Bundesamt gibt es auch in Deutschland immer mehr übergewichtige und adipöse Menschen: 2021 hatten 62,4 Prozent der Männer und 42,5 Prozent der Frauen hierzulande einen zu hohen BMI. Seit dem Jahr 1990 hat sich der Anteil der Schlaganfälle, die auf Übergewicht und Adipositas zurückzuführen sind, der Studie zufolge um 88 Prozent erhöht.

Auch Umweltfaktoren begünstigen Schlaganfälle. 30 Prozent werden beispielsweise durch Luftverschmutzung ausgelöst; Feigin zufolge hat dieser Anteil jedoch seit dem Jahr 1990 abgenommen. Dafür ist der Anteil, den hohe Temperaturen an Hirninfarktfällen haben, seitdem um 72 Prozent gestiegen. Man kann allerdings nicht sagen, dass Hitze generell Schlaganfälle begünstigt, denn auch das andere Extrem ist gefährlich. Eine weltweite Studie aus dem Jahr 2024 hat gezeigt, dass sehr niedrige Temperaturen sogar zu mehr Schlaganfällen und daraus resultierenden Todesfällen führen als hohe Temperaturen.

Ebenfalls relevanter geworden sind hohe Blutzuckerwerte und der Konsum von zuckerhaltigen Getränken. Doch die größte Gefahr geht nach wie vor von Bluthochdruck aus, der laut der Lancet-Studie 57 Prozent aller Schlaganfälle verursacht. 

Präventiver Lebensstil: Schlaganfall verhindern

Schrag zufolge haben die Ergebnisse der Studie zwei Seiten. Zum einen würden erfreulicherweise mehr Menschen Schlaganfälle überleben und dank Fortschritten in Intensivmedizin und Reha im Anschluss länger leben. Doch die große Zahl der Schlaganfallüberlebenden gehe auch auf Kosten der Gesellschaft und der Menschen, die sie pflegen. „Es ist eine gute Entwicklung, die uns jedoch vor neue Herausforderungen stellt“, sagt er.

Prävention ist dabei eine große, ungenutzte Chance. „Indem man heute den Blutdruck senkt, reduziert man morgen die Zahl der Schlaganfälle“, sagt Feigin. Der größte Teil von ihnen sei tatsächlich vermeidbar.

Laut Richard Temes, Neurologe beim Gesundheitsnetzwerk Northwell Health in New York, ist der erste Schritt, den man unternehmen sollte, das eigene Risiko einzuschätzen. Dazu müsse man den eigenen Lebensstil und die gesundheitliche Familiengeschichte genau prüfen.

Um den Blutdruck zu reduzieren, könne man, so Feigin, einfach weniger Sodium zu sich nehmen. Ihm zufolge nehmen wir Salz vor allem durch den Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln zu uns. Indem man diese Essgewohnheit ablegt, würde ein Domino-Effekt gestartet. „Gewicht, Blutdruck, Bewegung, Ernährung – all diese Faktoren sind miteinander verbunden“, sagt Feigin. „Eine positive Veränderung in dem einen Bereich wirkt sich positiv auf die anderen aus.“

Imoisilis stimmt dem zu. „Man muss das persönliche Schlaganfallrisiko verringern, indem man die Kontrolle über die eigene Gesundheit übernimmt“, sagt sie. Das bedeutet: nicht rauchen, den Alkoholkonsum minimieren, den Cholesterinspiegel im Auge behalten und chronische Krankheiten wie Diabetes behandeln lassen.

Jede Sekunde zählt: Schlaganfälle erkennen mit FAST

Ebenso wichtig wie die Prävention von Schlaganfällen sei aber, diese zu erkennen. „Je eher man im Fall eines Hirninfarkts die richtige medizinische Behandlung bekommt, desto besser sind die Überlebenschancen“, sagt Imoisilis.

Das Akronym FAST – kurz für face (Gesicht), arms (Arme), speech (Aussprache) und time (Zeit) – hilft dabei, die wichtigsten Merkmale eines Schlaganfalls zu verinnerlichen und richtig zu handeln. Hängen bei dem Betroffenen die Mundwinkel herunter, sodass er auf Aufforderung hin nicht lächeln kann, läuft Speichel aus dem Mund, kann er die Arme nicht vor sich ausstrecken und die Handflächen nach oben drehen oder ist er nicht in der Lage, einen einfachen Satz nachzusprechen, muss man unverzüglich den Notruf wählen.

„Immer mehr Menschen in ihren Dreißigern oder Vierzigern haben eine Herzerkrankung oder erleiden einen Schlaganfall“, sagt Temes. Wichtig sei, das eigene Risiko zu erkennen und zu verstehen, dass man es nicht akzeptieren muss, sondern etwas tun kann. „Wir können für unser Leben und unsere Gesundheit aktiv werden und so als Gemeinschaft unsere Zukunft positiv beeinflussen.“

Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht und von der Redaktion gekürzt und ergänzt.

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