Marschieren für die Wissenschaft

Von Lisa Srikiow
bilder von Robert Caldwell
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:30 MEZ
Women's March, Washington
Der Women's March im Januar ist Vorbild für die geplanten Proteste der Wissenschaftler.
Foto von Randolph Caldwell

Am 22. April wollen Wissenschaftler auf der ganzen Welt für ihre Forschung auf die Straße gehen und rufen zum „March for Science“ auf. Auch in Deutschland sind Veranstaltungen geplant. Warum, das erklärt die Koordinatorin Tanja Gabriele Baudson. 

Sie beschäftigen sich eigentlich mit Begabtenforschung. Was treibt Sie nun auf die Straße?
Ich habe den Eindruck, dass sogenannte „alternative Fakten“ allmählich Diskussionsgrundlage werden. Statt solider Fakten werden diffuse Gefühle zur Entscheidungsfindung herangezogen, beispielsweise in der Türkei oder in den USA, und teilweise sogar gezielt Unwahrheiten verbreitet. Meine Mitstreiter und ich halten dies für eine gefährliche Entwicklung und wollten darauf aufmerksam machen.

Die Idee stammt aus den USA. Die Proteste sollen auch ein Zeichen gegen Präsident Trump sein – ist dies auch Ihre Absicht?
Nein. Wir planen keine Anti-Trump-Veranstaltung. Sein Erfolg ist zwar ein Symptom des „Postfakten-Dilemmas“, aber nicht die Ursache. Wir fordern vielmehr eine gute Wissenschaftskommunikation, die sich den „alternativen Fakten“ entgegenstellt. Menschen müssen außerdem befähigt werden, Informationen kritisch zu hinterfragen und zu beurteilen; hier ist auch das Bildungssystem gefragt.

Wurde da in der Vergangenheit einiges versäumt?
Es gibt immer mehr Spezialisierungen innerhalb der Wissenschaft – und eine Vielfalt von Herangehensweisen. Aber dadurch wird es auch schwieriger, klare Erkenntnisse zu kommunizieren, weil man so immer nur einen Teil der "Wahrheit" beschreibt und erklärt. Widersprüche sind auf dem Weg zur Erkenntnis aber die Regel, nicht die Ausnahme. Diese Widersprüche – teilweise durchaus lebhaft – zu diskutieren, gehört einfach zum wissenschaftlichen Alltag. Auf Außenstehende kann das natürlich verwirrend wirken. Wir Wissenschaftler müssen uns sicher an die eigene Nase fassen. Unsere Arbeit ist nun mal komplex; deshalb müssen wir sie verständlicher und transparenter gestalten, damit die Öffentlichkeit nachvollziehen kann, wie Wissenschaft funktioniert. Deshalb sind auch Nicht-Wissenschaftler ausdrücklich zu den Protesten eingeladen. Denn das grundlegende Problem geht uns alle etwas an: Wenn alternative Fakten politische Entscheidungen beeinflussen, leiden letztendlich alle darunter.

Tanja Gabriele Baudson ist Koordinatorin des Science March Germany
Foto von Claus Martin

Mit wie vielen Menschen rechnen Sie?
Das ist sehr schwierig zu sagen. Aber das Interesse war von Anfang groß. Als wir unseren Twitter-Account angelegt hatten, konnten wir noch am selben Tag mehrere hundert Follower verzeichnen. Mittlerweile gibt es in 14 Städten lokale Gruppen, die die Proteste vor Ort organisieren. Das alles passiert ehrenamtlich und wird über eine Crowdfunding-Kampagne finanziert. Außerdem konnten wir zahlreiche prominente Unterstützer gewinnen, zum Beispiel mehrere Nobelpreisträger, den Großteil der Präsidenten der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, die Alexander von Humboldt-Stiftung, den Deutschen Akademischen Austauschdienst sowie diverse weitere Personen, Universitäten und Verbände.

Es gab auch Wissenschaftler, die sich gegen die Proteste aussprachen, weil sie die Gräben nicht noch weiter vertiefen wollten. Was entgegnen Sie ihnen?
Wie gesagt, uns ist es wichtig, dass möglichst unterschiedliche Gruppen an den Protesten teilnehmen. Niemand wird ausgeschlossen. Aber es ist an der Zeit, dass wir Wissenschaftler wieder gesellschaftliche Verantwortung übernehmen – nicht zuletzt, weil ja noch ein Großteil der Forschung durch Steuergelder finanziert wird. Daher sollte es selbstverständlich sein, dass wir deutlich machen, wie und woran wir arbeiten. Denn nur, wenn Forschung von der Allgemeinheit mitgetragen wird, kann sie frei und unabhängig bleiben. 

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