Südafrikas zwölfte Sprache – mit Handzeichen ans Ziel

Mit weißen Minibus-Taxis pendeln täglich Tausende Menschen zwischen Johannesburg und Soweto. Das Fahrtziel zeigen die Passagiere einfach per Handzeichen. Die Fotografin Patricia Kühfuss und Siya Fonds haben diese „Taxi-Zeichen“ inszeniert.

Von Andrea Henke
bilder von Patricia Kühfuss
Veröffentlicht am 19. Nov. 2019, 16:55 MEZ
Nach dem Essen geht's in Richtung Extension 11.
Nach dem Essen geht's in Richtung Extension 11.
Foto von Patricia Kühfuss

Frau Kühfuss, Sie haben „Südafrikas zwölfte Sprache“ in Alltagssituationen inszeniert, fotografiert und hängen gerade 1000 Poster dieser Bilder im Stadtgebiet Johannesburgs auf. Was ist das Besondere an diesen Zeichen, dass sie inoffiziell sogar als eine Sprache Südafrikas gelten?

Minibus-Taxis machen zwei Drittel des öffentlichen Verkehrs in den städtischen Gebieten Südafrikas aus, weil man mit ihnen am schnellsten und billigsten vorankommt. Es gibt aber keine Fahrpläne oder Haltestellen, man steht einfach am Straßenrand und zeigt sein Fahrtziel mit den Fingern: Wenn man ins Zentrum möchte, streckt man zum Beispiel den Zeigefinger nach oben, wenn man nur ein paar Straßen weiter möchte, sollten Daumen und Zeigefinger nach unten zeigen. In der gesamten Metropolregion von Johannesburg gibt es um die 50 verschiedene Zeichen, wir haben 15 von ihnen fotografiert.

Diverse Taxi-Zeichen samt Ziel – von Soweto aus gesehen.
Foto von Patricia Kühfuss

Haben die Zeichen in ganz Südafrika oder zumindest in Johannesburg dieselbe Bedeutung?

Die Zeichen sind richtungsweisend und ortsabhängig. In Soweto bedeutet ein Zeichen vielleicht etwas ganz anderes als auf der anderen Seite von Johannesburg. Dennoch gibt es auch gleiche Gesten in verschiedenen Vierteln.

Was erhoffen Sie sich von Ihrem Projekt?

Wir wollen mehr von der südafrikanischen Kultur zeigen als nur die Schattenseiten, die wir so oft in Europa und den USA sehen. Für die Johannesburger soll es auch ein Rätsel sein, denn nicht jeder kennt die Zeichen. Man merkt sehr schnell, ob jemand in einem reicheren Viertel wohnt und ein eigenes Auto hat – oder in Soweto oder einem anderen Township, wo man die Taxi-Zeichen jeden Tag benutzt. Wir hoffen, dass Menschen neugierig werden und versuchen dieses Straßenpuzzle zusammenzusetzen und sich vielleicht sogar selbst an dem Projekt beteiligen. Auf den Postern gibt es einen Link zu unserem Instagram Account @howtogethome, wo Nutzer eigene Bilder hochladen und zeigen können, wie ihr Nachhauseweg und ihre Lebenswelt aussehen.

Wer nutzt die Minibus-Taxis?

Es sind fast ausschließlich schwarze Bewohner Johannesburgs, viele von ihnen aus den Randgebieten. Das hat finanzielle Gründe, vor allem aber hat es etwas mit Johannesburgs Geschichte zu tun. Die britische Regierung hat Anfang des 20. Jahrhunderts die nicht weiße Bevölkerung enteignet und an den Stadtrand umgesiedelt. Offiziell unter dem Vorwand der Krankheitskontrolle – letztendlich sollte das Zentrum mit seinen Geschäften aber einfach der weißen Bevölkerung vorbehalten sein. Unter der Apartheid sollten es diese sogenannten „Townships“ der Regierung ermöglichen, die schwarzen Arbeiter unter Kontrolle zu halten. Es gab nur einfache Unterkünfte, keine Geschäfte oder wesentliche andere Infrastruktur. Das Geld sollte in Johannesburg verdient und auch wieder ausgegeben werden.

Inzwischen sind die Townships stark gewachsen. Soweto, die „South Western Townships“, ist der erste Zusammenschluss mehrerer Townships und hat inzwischen selbst mehr als eine Million Einwohner. Es gehört zur Metropolregion Johannesburg, in der insgesamt etwa 4,5 Millionen Menschen leben.

Dieser Mann möchte ins Zentrum Johannesburgs. Dort gibt es viele große Firmen und damit Arbeitgeber.
Foto von Patricia Kühfuss

Trotz der Größe Sowetos pendeln auch weiterhin viele Bewohner ins Zentrum Johannesburgs?

Das topografische Erbe der Apartheid lässt sich nur schwer verändern. In Soweto gibt es heute auch Mittelklasse-Wohngebiete, aber die Institutionen und das wirtschaftliche Zentrum liegen immer noch in Johannesburg, und damit auch die meisten Arbeitsplätze. Manche Johannesburger müssen aus Soweto oder anderen Randgebieten täglich vierzig Kilometer ins Zentrum pendeln. Im Durchschnitt kostet eine Fahrkarte etwa einen Euro. Vierzig Euro im Monat für die tägliche Fahrt zur Arbeit oder zur Hochschule sind viel Geld, wenn der monatliche Mindestlohn bei 212 Euro liegt.

Die deutsche Fotografin Patricia Kühfuss und der Südafrikaner Siya Fonds, Gründer des Concept Stores Block 88 in Soweto. Fonds verkauft dort seine eigenen T-Shirts, gibt Workshops und lädt Künstler ein. Das ist außergewöhnlich in seinem Viertel Sowetos, wo es ansonsten wenig Mittel und Möglichkeiten für kulturellen Austausch gibt.
Foto von Patricia Kühfuss

Gibt es auch andere Verkehrsmittel?

Autos können sich nur wenige leisten. Es gibt Busse, aber zu wenige, und vor allem reichen die Buslinien nicht weit genug in die Townships. In den S-Bahnen ist die Kriminalität sehr hoch. Manchmal kommen sie auch gar nicht oder nur verspätet, weil wieder Kabel gestohlen wurden. Die Minibus-Taxis sind zwar nicht alle verkehrssicher und die Fahrer manchmal reichlich rücksichtslos – dennoch sind sie das Blut dieser Stadt. Ohne sie liegt der öffentliche Nahverkehr lahm.

Welche Reaktionen gab es bisher auf die Plakate?

Wenn wir die Plakate aufhängen, ist die Neugierde groß. Die Leute erkennen die Situationen aus ihrem Alltag wieder und beginnen, alle möglichen Geschichten zu spinnen. Fotografie ist die Möglichkeit, jemandem das Gefühl zu geben, gesehen zu werden – etwas, das uns allen guttut.

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