Fotografie: Unbekannte Flusswelten des Amazonas
Ein Flachlandtapir schwimmt in einem Nebenfluss des Amazonas, während ein Riesenkuhstärling nach Fliegen schnappt. In der Abgeschiedenheit des Oberlaufs zeigen sich viele Wildtiere, selbst der scheue Tapir wirkt neugierig.
Wo der tropische Regenwald Boliviens in die Ausläufer der Anden übergeht, tief verborgen im Nationalpark und Indigenenschutzgebiet Isiboro Sécure, östlich der Großstadt La Paz, liegt ein Ort, der so unzugänglich ist, dass sich bisher nur wenige Menschen hingewagt haben. Das Gebiet gehört den indigenen Gruppen der Tsimané, Mojeño-Trinitario und Yuracaré. Seit Menschengedenken jagen und fischen sie hier im Tiefland. Und seit Menschengedenken, so sagen die Einheimischen, sei niemand an den Oberlauf des Río Sécure vorgedrungen, einem Hauptzufluss des Río Mamoré im Amazonasbecken.
„Niemand, absolut niemand kennt diesen Ort“, versichert Roycer Herbi aus der Yuracaré-Gemeinschaft. „Mit dem Kanu hinzufahren, ist riskant, das Wasser fließt sehr schnell.“ „Der Dschungel wehrt sich mit Donner, kräftigem Regen, Wind und Blitzen“, ergänzt Félix Herbi Moza, Roycers Cousin und Anführer der Tsimané in La Asunta, der Siedlung, die dem Quellgebiet am nächsten liegt. „Die Angst vor gefährlichen Tieren ist berechtigt. Deshalb haben unsere Vorfahren diese Orte nie betreten.“
Eine unberührte Naturwelt
Hier, in diesem versteckten Winkel unserer Erde, durchqueren Südamerikanische Fischotter die fischreichen Flussläufe. Capybaras ruhen im Gebüsch, und rote Aras hocken in den Bäumen. Jaguarspuren kreuzen die Flussufer. Tiere wie der Flachlandtapir, der als ausgesprochen scheu gilt, verhalten sich in unserer Nähe ungewöhnlich zutraulich. „Man hat das Gefühl, diesen Ort gibt es sonst nirgends“, sagt Guido Miranda, Biologe bei der Wildlife Conservation Society. „Einen Ort ohne den geringsten Hinweis auf die Anwesenheit von Menschen.“
Nirgendwo sonst im Amazonasbecken hat National Geographic Explorer Thomas Peschak außerdem so klares Wasser gefunden. „Ich habe die Karten rauf und runter studiert, nach vergleichbaren geografischen Systemen gesucht und mit buchstäblich Hunderten Leuten gesprochen“, sagt Peschak. „Aber ich habe nichts Vergleichbares gefunden. Wer ins Wasser springt, wähnt sich im Ozean und nicht am Amazonas.“
Eine faszinierende Entdeckung und die Hoffnung auf Schutz
Seine Recherchen hatten den Fotografen zu dem argentinischen Fliegenfischer Marcelo Pérez geführt, Inhaber des Anglertouren-Anbieters Untamed Angling. Pérez organisiert seit ein paar Jahren sogenannte Catch-and-Release-Ausflüge an die Unterläufe im Isiboro-Sécure-Park, wobei er auf eine Sondergenehmigung der bolivianischen Behörden setzen kann und sehr eng mit den örtlichen indigenen Gemeinschaften kooperiert.
2021 begann er erstmals, seine Angler per Hubschrauber auch zu den unberührten Oberläufen zu fliegen. Im Jahr 2022 lud er Peschak zum Mitfliegen ein. Der Fotograf wurde nicht enttäuscht: Das kristallinklare Wasser, so ganz anders als der hellbraun gefärbte Hauptstrom, ermöglichte es Peschak, einige der ersten Unterwasseraufnahmen dieses außergewöhnlichen Lebensraums zu machen. Um ihn herum tummelten sich Hunderte von großen Pacú beziehungsweise Schwarzen Pacus, die dem Schwarzen Piranha ähneln. Er schwamm neben menschengroßen Welsen und prächtigen Dourados, Südamerikanischen Lachssalmlern.
Wissenschaftlich untersucht wurde der Oberlauf des Río Sécure bisher nicht. Die Biologen können kaum erwarten, damit anzufangen – in der Hoffnung, dass dieser Flecken Erde von Ausbeutung verschont bleibt.
Cover National Geographic 11/24
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