„Verlorenes Foto“ von Amelia Earhart diskreditiert
Ein japanischer Blogger entkräftete ein zentrales Beweisstück einer neuen Dokumentation des History Channel über das Verschwinden der Pilotin.
Kürzlich tauchte ein Foto in einer Dokumentation des amerikanischen History Channel auf, das als verlorenes Beweisstück gehandelt wurde, mit dessen Hilfe man das Verschwinden von Amelia Earhart erklären könnte. Nun scheint es so, dass das Bild bereits zwei Jahre vor ihrem Verschwinden im Juli 1937 veröffentlicht wurde.
Das Foto zeigt eine Gruppe von Leuten auf einem Dock auf dem Jaluit-Atoll, das zu den Marshallinseln gehört. In der Dokumentation „Amelia Earhart: The Lost Evidence“ behaupten die Filmemacher, dass es sich bei zwei Personen auf dem Bild um Earharts Navigator Fred Noonan und Earhart selbst handelt, die sich 1937 in Gewahrsam des japanischen Militärs befinden. Auf dem Foto soll ein Mann, der neben einem Pfeiler steht, Fred Noonan sein, während es sich bei einer Person unbestimmten Geschlechts, die am Rand des Docks hockt, um Earhart handeln soll.
Neue Hinweise lassen allerdings darauf schließen, dass das Foto 1935 in einem japanischen Reisebericht über die Inseln des Südpazifiks erschien. Kota Yamano, der einen Blog über japanische Militärgeschichte betreibt, erklärte in einem Post vom 9. Juli, dass er das Bild über eine Suche der Japanischen Nationalbibliothek gefunden hat. Er hat den Suchbegriff „Jaluit-Atoll“ verwendet – den Ort, der auf dem Foto angegeben ist.
„Das Foto war das zehnte Suchergebnis, das auftauchte“, sagte er in einem Interview mit dem „Guardian“. „Ich war wirklich froh, als ich es gesehen habe. Ich finde es merkwürdig, dass die Macher der Dokumentation das Veröffentlichungsdatum des Fotos und die Publikation, in der es ursprünglich erschien, nicht bestätigt haben. Das ist das Erste, was sie hätten tun sollen.“
Sein Suchbegriff brachte den Reisebericht „The Ocean's "Lifeline": The Condition of Our South Seas“ (dt. Die ‚Rettungsleine‘ des Ozeans: Der Zustand unserer Südsee, wobei „lifeline“ sowohl Rettungsleine als auch Lebensader bedeuten kann) zum Vorschein, in dem das besagte Foto auf Seite 44 zu sehen ist. Eine Übersetzung der Bildunterschrift beschreibt einen lebhaften Hafen, in dem regelmäßig Schonerrennen stattfinden – kein Wort über Earhart oder Noonan. Seite 113 des Buches lässt darauf schließen, dass der Reisebericht im Oktober 1935 veröffentlicht wurde.
Yamano hat seine Beweise laut eigener Aussage innerhalb von 30 Minuten zusammengetragen. Sie untergraben die Behauptung des History Channel, dass die berühmte Pilotin auf den Marshallinseln abstürzte und in Gefangenschaft des japanischen Militärs geriet. Einwohner der Marshallinseln und einige Earhart-Enthusiasten sind schon seit Langem Verfechter dieses Szenarios. Viele andere begeisterte Verehrer der Pilotin finden es allerdings hanebüchen.
Die offizielle Position der USA lautet, dass Earhart und Noonan der Treibstoff ausging und sie im Meer abstürzten, als sie auf dem Weg zur Howlandinsel waren. Die kleine Insel liegt im Pazifik, nur ein Stück nördlich des Äquators. Sie war der geplante Zwischenstopp des Duos zwischen Papua-Neuguinea und Hawaii.
Eine alternative Hypothese schlägt vor, dass sie eine Bruchladung auf Nikumaroro machten, einer kleinen Insel etwa 350 Seemeilen entfernt von der Howlandinsel. Dort fand man auch Gegenstände aus den 1930ern.
SKEPSIS UND VERWIRRUNG
Im Vorfeld der Doku-Premiere am 9. Juli pries der History Channel das Foto, das er aus dem Nationalarchiv der USA hatte, als potenziell transformativen Beweis an. Es wurde berichtet, die Aufnahme stamme aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, womöglich aus dem Jahr 1937. Aber seit man von der Dokumentation erfuhr, haben Experten skeptisch reagiert, was sich mit Yamanos Fund nicht geändert hat.
Das Nationalarchiv der USA betont lediglich, dass das Bild, welches die Filmemacher benutzten, nicht datiert ist. „Das zusammengetragene Material in dem Bericht deutet auf eine geografische Studie oder Erhebung der pazifischen Inseln hin“, sagte James Pratchett in einer E-Mail-Mitteilung an National Geographic. Pratchett ist der Leiter des Bereichs Öffentlichkeits- und Medienkommunikation des Nationalarchivs.
Tom King, Chefarchäologe von TIGHAR (der Gruppe, die den möglichen Absturz Earharts auf Nikumaroro untersucht), sagt, dass er seit Jahren Kenntnis von dem Bild hatte, es aber nie als ernstzunehmenden Beweis betrachtete.
„Wir haben es uns angesehen und gesagt: ‚ Also, das sind ein Mann und eine Frau, die auf einem Dock sitzt und in eine andere Richtung blickt – im Grunde ist es eine bedeutungslose Information‘“, sagte er in einem telefonischen Interview. „Da kann man Dinge reinlesen, wie man auch Gesichter in den Mond lesen kann.“ (Kings aktuelle Expedition wird von der National Geographic Society finanziert.)
Im Zuge von Yamanos Beweisen haben der History Channel und diverse Personen, die in der Dokumentation auftauchen, Bedenken und Unglauben geäußert.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, sagt Kent Gibson, ein Gesichtserkennungsexperte. Der History Channel hatte ihn beauftragt, das Foto für die Dokumentation zu analysieren. „Ich habe keine Erklärung dafür, warum [das Foto] zwei Jahre zu früh auftaucht.“
In der Dokumentation sagte Gibson, es sei aufgrund der Gesichts- und Körperproportionen der zwei Kaukasier „sehr wahrscheinlich“, dass das Foto Earhart und Noonan zeigt.
In einem Telefoninterview mit National Geographic fügte Gibson hinzu, dass er seit den Filmaufnahmen für die Dokumentation neue Gesichtserkennungssoftware erworben hat. Diese würde eine Übereinstimmung zwischen dem männlichen Kaukasier auf dem Foto und Fred Noonan erkennen. Seine alte Software hatte angegeben, dass es zu wenig Pixel im Foto gäbe, um eine erfolgreiche Analyse durchzuführen. (In einer späteren E-Mail verweigerte Gibson weitere Kommentare zum Thema.)
In einer Stellungnahme des History Channel, die per Mail an National Geographic ging und separat auf Twitter gepostet wurde, hieß es, dass das Rechercheteam „die jüngsten Entwicklungen Amelia Earhart betreffend“ untersuchen würde. Man versprach Transparenz, was die Befunde angeht.
„Schlussendlich ist historische Genauigkeit das Wichtigste für uns und unsere Zuschauer“, sagte der Sender.
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