Die bewegenden Relikte eines Landes, das nicht mehr existiert

Entdeckt die eindringliche Geschichte der fremdartigen Monumente Jugoslawiens.

Von Christine Blau
bilder von Sylvain Heraud
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:41 MEZ

Die bizarr-futuristischen Monumente, die zu Hunderten aus der abwechslungsreichen Landschaft des ehemaligen Jugoslawien aufragen, wirken seltsam fehl am Platze – die geisterhaften Echos eines Landes, das nicht mehr existiert. Die großen, abstrakten Kunstwerke, die in den 60ern und 70ern erbaut wurden, finden sich im heutigen Kroatien und Slowenien, zwischen den zerklüfteten Gipfeln Montenegros und Bosnien und Herzegowinas bis hinein nach Serbien und Mazedonien. Sie sollten die Ideale und Werte des Landes den Massen im ganzen Land vermitteln.

Um zu begreifen, was diese Relikte der Vergangenheit heute bedeuten, bereiste der Fotograf Sylvain Heraud die Republiken, die in den 90ern aus der Auflösung Jugoslawiens hervorgingen. „Der Gedanke hinter meiner Arbeit ist es, diese Monumente in den Mittelpunkt zu stellen und zu fragen, ob ihre Botschaften die Zeit überdauert haben“, erklärt Heraud.

Im Zentrum dieser Gedenkstätte im serbischen Užice wurde ein großes Amphitheater errichtet, um pädagogische Präsentationen für Schulen und Jungpioniere zu geben.
Foto von Sylvain Heraud

Der einzigartige Stil der jugoslawischen Denkmäler – die sich vom westlichen Modernismus inspirieren ließen – unterscheidet sich deutlich von anderen repräsentativen Kunstwerken seiner sowjetischen Nachbarn. Schließlich war Jugoslawien aber auch eine Art Anomalie: ein sozialistischer Staat, der im Gegensatz zur repressiven Sowjetunion freies Reisen in den Westen erlaubte und Arbeiterselbstverwaltung förderte. Die herrschenden Kräfte auf der ganzen Welt lassen an wichtigen öffentlichen Plätzen Monumente errichten, um ein bestimmtes Narrativ in Form einer einfach verständlich Botschaft zu vermitteln. Die verschiedenartige Symbolik in öffentlicher Kunst spiegelt den speziellen Stil vergangener oder aktueller Regime wider. Sieht man genauer hin, entdeckt man Schicht um Schicht der Geschichte eines Ortes, der für alle sichtbar, aber nicht sofort für alle verständlich ist.

BELIEBT

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    1978 weihte der jugoslawische Präsident Josip Tito dieses Denkmal auf dem Makljen in Bosnien-Herzegowina persönlich ein. Dort hatten jugoslawische Streitkräfte das Flusstal der Nerevta gegen Truppen der Achsenmächte verteidigt.
    Foto von Sylvain Heraud

    Physisch und konzeptionell haben die auffälligen Betonkreationen, die in der Nähe von Orten großer Tragödien des Zweiten Weltkriegs stehen, eine gewaltige optische Wirkung. Nach dem Krieg führte der revolutionäre jugoslawische Präsident Josip Broz Titp die multikulturelle Gesellschaft bis zu seinem Tode 1980 an und versuchte, die nach wie vor bestehenden Feindseligkeiten aus den Kriegsjahren zu unterdrücken. Er wollte, dass die Monumente vermittelten, dass der Krieg die Grundlage für Jugoslawien in seiner damals aktuellen Form geschaffen hatte, ohne dabei eine Gruppe der heterogenen Gesellschaft bevorzugt zu behandeln. Die Denkmäler sollten eine Art gemeinsamen roten Faden darstellen, der alle mit dem großen Jugoslawien verband.

    Herauds Fotografien betonen diese gemeinsame Verbindung, indem sie auch die Monumente bei Nacht auf eben diese Art zeigen. „Ich wollte diese Vorstellung von Größe und Umfang verlieren und mich auf die Denkmäler selbst als Symbole konzentrieren. Ich habe Lampen [zur Beleuchtung] mitgebracht, und durch das weiße Licht kann ich neutral bleiben. Wir können aber die grüne Umgebung (Bäume) erahnen, die sich wie ein Faden durch alle Bilder zieht.“

    Herauds Bilder sind aber nicht nur vereinfachte Repräsentationen – sie beleuchten die Einzigartigkeit jedes Monuments. So sehr Tito es auch versucht hatte, die strategische Position des Landes zwischen zwei Großmächten machte es schwer, die Menschen mit nur einer Sichtweise auf die Geschichte zufriedenzustellen. Als er 1980 starb, sorgten politische Unruhen und ungelöste Konflikte für erbitterte Kriege zwischen diversen Volksgruppen und so schließlich für den Zusammenbruch des Landes.

    Dieses Denkmal aus Edelstahl ragt mehr als neun Meter in die Höhe. Die stilisierten menschlichen Gesichter erzählen die Geschichte einer kleinen Gruppe von Partisanen, die versucht hatte, im serbischen Ostra gegen die Achsenmächte zu rebellieren.
    Foto von Sylvain Heraud

    Diese Monumente, die ursprünglich eine utopische Zukunft einläuten sollten, existieren weiterhin. Einige Menschen betrachten sie nostalgisch als Erinnerungen an bessere Zeiten, während sie für andere schmerzhafte Mahnmale einer entsetzlichen Vergangenheit sind. Deshalb befinden sich die Denkmäler heutzutage in verschiedenen Stadien des Verfalls. Manche von ihnen haben Verwalter und beherbergen kleine Museen, während von anderen nur noch Ruinen übrig sind.

    Diese unglaublichen Monumente liefern jedem Besucher einen Blick in die bemerkenswerte Geschichte des ehemaligen Jugoslawiens. Es mag nicht ganz einfach sein, diese komplexe Region kennenzulernen oder gar die Denkmäler zu finden – aber den Aufwand ist es definitiv wert,  denn sie verkörpern das Wesen Jugoslawiens.

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