Coffin Club: Mit Glitzer in den Tod

Eine wachsende Zahl neuseeländischer Senioren nimmt die Angelegenheiten rund um den Tod in die eigenen Hände – mit Gesang, Tanz und Bastelspaß.

Von Austa Somvichian-Clausen
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 12:52 MEZ

The show must go on! Aber muss sie das wirklich? Die Mitglieder der skurrilen Coffin Clubs in Neuseeland finden nicht, dass sie das muss. Die Clubs werden nicht nur bei Neuseeländern – auch Kiwis genannt – immer beliebter, sondern auch über die Landesgrenzen hinaus. Dort treffen sich Senioren, denen der Sinn nach Trost und Gemeinschaft steht – und nach der Gestaltung ihres eigenen Sarges.

Er erste Club dieser Art wurde 2010 von der ehemaligen Palliativkrankenschwester Katie Williams, 77, gegründet, aber mittlerweile entstehen in ganz Neuseeland stetig neue Gruppen. Während ihrer wöchentlichen Treffen sprach Katie damals über die trostlosen Gedanken, die oft mit dem Tod in Verbindung stehen, und über den trübsinnigen, monotonen Charakter vieler Beerdigungen.

Alles begann mit einer Organisation namens University of the Third Age (dt. Universität des dritten Alters) (U3A), einer internationalen Bewegung, die sich der Unterstützung des lebenslangen Lernens widmet. Sie gibt pensionierten und halbpensionierten Teilnehmern die Möglichkeit, ihren Interessen nachzugehen und neue Freundschaften zu schließen. Während eines U3A-Treffens, das Williams besuchte, wurden Vorschläge für mögliche neue Clubideen innerhalb der Organisation gesammelt.

„Aus irgendeinem Grund, den ich mir im Nachhinein nicht mehr erklären kann, bin ich aufgestanden und habe gesagt: ‚Ich würde gern meinen eigenen Sarg bauen‘“, sagt Williams. Zunächst folgte darauf Totenstille, aber dann meldeten sich einige Gleichgesinnte zu Wort, die sie ermutigten, den Club zu gründen.

Jede Woche treffen sich ältere Neuseeländer für ein ungewöhnliches Hobby: Sie bauen ihre eigenen Särge.
Foto von Loading Docs

„Ich versammelte ein paar alte Burschen, die mal Schreiner und Bauarbeiter waren, und eine Gruppe Frauen, die sich kreativ betätigen würden, und wir fingen in meiner Garage und meinem Carport an“, sagt sie.

Was folgte, war eine ständig wachsende Coffin Club Community mit etwa 160 Mitgliedern aus ganz Neuseeland sowie eine wachsende Zahl anderer Länder, angefangen mit Irland. „Was da passiert ist, ist großartig und unglaublich. Es ist wirklich kaum zu glauben. Jeden Mittwoch kommen um die 50 bis 60 Menschen zu unseren Clubtag. Sie kommen, um Särge zu bestellen, ihre eigenen Särge zu dekorieren, oder um den Neulingen zu helfen.“

Sie sagt, dass viele Mitglieder ihre Lebensgefährten verloren haben und im Club den Trost einer liebenden Gemeinschaft suchen. „Diese Menschen kommen her, sie werden gedrückt, bekommen ein Küsschen und es wird sich um sie gekümmert“, sagt Williams. Sie betont, wie wichtig die persönliche Nähe bei den Clubtreffen ist, und glaubt, dass Berührungen ein wichtiger Teil für jedermanns Wohlbefinden sind. Neben den Sargkreationen essen die Mitglieder auch zusammen und genießen morgens und nachmittags gemeinsam Tee.

Auf die Frage, ob ein Teil des Clubs zu sein auch dafür gesorgt hat, dass sie sich mit dem Thema des Sterbens wohler fühlt, kann Williams von ganzem Herzen mit einem Ja antworten. Den Tod zu feiern sei ebenso wichtig, wie das Leben zu feiern, fügt sie hinzu.

Die Filmemacherin Briar March erzählt die Geschichte des Coffin Clubs mit Tanz und Gesang in einem einzigartigen Doku-Musical.
Foto von Loading Docs

Die Möglichkeit, an einer musikalischen Dokumentation mitzuwirken, hat laut Williams auch das Leben einiger Clubmitglieder zum Positiven verändert. Sie seufzt glücklich und sagt: „Wenn die Leute, die an der Dokumentation mitgewirkt haben, morgen sterben würden, würden sie als die allerhellsten Sterne erlöschen! Sie strahlen voller Schönheit und Bedeutung.“

Einer der Stars der Dokumentation, die 90-jährige Tina, litt vor Kurzem noch an heftigen Anfällen der Trauer über den Tod ihrer Tochter und Enkelin. Nach ihrem Mitwirken an der Dokumentation „ist sie einfach aufgeblüht. Plötzlich kann sie über die Dinge reden und ist ein völlig anderer Mensch. Die Dokumentation hat das Leben von so vielen Oldies verbessert, das ist einfach unbezahlbar.“

Die Stars wurden gewissermaßen neu geboren durch den Glanz und Glamour der Stylisten, die sie frisierten und schminkten, und durch ihre Outfits voller Glitzer und Pailletten. Williams sagt, dass ein Choreograf ihnen zeigte, wie sie sich „trotz der Schmerzen in ihren Hüften, Knien und anderswo“ elegant bewegen konnten.

Die einzigartige musikalische Dokumentation wurde von Loading Docs produziert und stellt Clubmitglieder vor, die zeigen, was sie draufhaben, und die die Vorstellung darüber in Frage stellen, wie eine Beerdigung aussehen soll. Sie tauschen schwarze Kleidung und Formalitäten gegen Extravaganz und Individualität aus. Und der Glitzer darf auch nicht fehlen.

Der Star des Doku-Musicals, Jean McGaffin, ist eine der neuseeländischen Seniorinnen, die etwas Spaß und Individualität in ihre letzte Reise bringen.
Foto von Loading Docs

Im Zentrum des Ganzen steht der hell leuchtende Stern von Jean McGaffin, einer der Gründerinnen des Clubs. McGaffin, die Erfahrung in der Bühnenarbeit hat, wurde von der Regisseurin Briar March ausgewählt und aus Auckland eingeflogen, um an der Dokumentation mitzuwirken. Sie sagt, dass seit dem Film das Interesse am Club auf der ganzen Welt gestiegen ist. McGaffin fühlte sich ursprünglich von der Idee des Coffin Clubs angezogen, weil Beerdigungen so teuer sind. Außerdem gefiel ihr der Gedanke, sich kreativ am eigenen Sarg auszutoben.

Dank des Coffin Clubs, so sagt sie, sinken die Beerdigungskosten auf ein Minimum, und ein Bestatter ist fast unnötig. „Seltsamerweise muss man sagen, dass die Bestatter sehr hilfsbereit sind“, sagt sie. Der billigste Sarg, der in Neuseeland zuvor verfügbar war, kostet circa 5.000 Neuseeland-Dollar (knapp 3.000 Euro). Aber nun können Senioren über die Coffin Clubs einen Sarg für umgerechnet etwa 120 Euro bestellen.

Die Särge, die von den Mitgliedern gebaut und gestaltet werden, unterscheiden sich in ihrer Komplexität stark voneinander, und auch Māori-Motive sind weit verbreitet. Einige irische Mitglieder der Coffin Clubs bemalen ihre Särge mit Leprechauns und Kleeblättern. Was auch immer einen im Laufe des Lebens interessiert hat, kann man auch in den Sarg einbauen“, sagt McGaffin.

Und ihr eigener? „Meiner ist violett! Ich mag viel, viel Glitzer! Ich bin eine sehr glitzernde Person und ich will, dass mein Sarg das widerspiegelt“, sagt sie aufgeregt. Der Coffin Club hat ihr auch dabei geholfen, sie von ihren Ängsten zu befreien. Ihr zufolge glorifiziert die Dokumentation das Alter sogar auf gewisse Weise.

„Man begreift dadurch, dass das kein Fehler ist. Wir müssen alle sterben, nicht wahr? Ich hatte davor früher etwas Angst, aber jetzt weiß ich: Wenn es so weit ist, werde ich von vielen liebevollen Menschen umgeben sein“, sagt sie. „Jetzt habe ich keine Angst vor dem Sterben mehr.“

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