Mit Haltung gegen Hetze

Die Initiative #ichbinhier kämpft gegen Hassreden und für eine anständige Debattenkultur im Internet.

Von Ines Bellinger
Veröffentlicht am 30. Mai 2018, 15:38 MESZ
Hannes Ley
Hannes Ley, 44, Gründer der größten deutschen Gegenrede-Community.
Foto von Arne Weychardt

„Du gottverdammter Hurensohn, pass bloß auf!“ Die erste anonyme Drohung hat Hannes Ley noch geschockt. Inzwischen steckt er persönliche Angriffe, die er etwa als Privatnachricht bei Facebook bekommt, besser weg. Fassungslos machen ihn aber immer noch menschenfeindliche Äußerungen wie diese: „Lasst sie doch im Mittelmeer ersaufen, auf dem Meeresboden ist genug Platz für alle.“ Solche Posts begegnen dem Kommunikationsberater aus Hamburg oft, seit er eine Initiative gegen Hasskommentare ins Leben gerufen hat. Unter dem Hashtag #ichbinhier treten er und seine Mitstreiter im Internet für eine bessere Debattenkultur ein. Sie argumentieren an gegen Fremdenfeinde, Frauenhasser, Wutbürger und eine Verrohung der Sprache.

37000 Abonnenten hat die nach schwedischem Vorbild gegründete Facebook-Gruppe seit Ende 2016 gewonnen. 300 bis 400 davon sind aktiv. Die Aktionen laufen meist so: Wenn die ersten Aktivisten morgens aufstehen (eine engagierte Krankenschwester legt manchmal schon um vier Uhr los), durchforsten sie Nachrichtenportale. Fallen ihnen zu einem Artikel besonders viele sexistische, rassistische oder anderweitig abwertende Äußerungen auf, posten sie den Link in die geschlossene Facebook-Gruppe. Dort treten andere sogleich in den Diskurs mit Pöblern oder Provokateuren. Diese Posts wiederum werden von Gruppenmitgliedern gelikt, damit sie in den Kommentarspalten nach oben wandern.

“Ich denke, dass die Mehrheit unsere offene Demokratie schätzt, aber man spürt sie nicht. Das ist bedenklich”

Die Regeln sind einfach: sachlich und empathisch auftreten, niemanden abwerten. Manche versuchen, Diskussionen über Fakten zu versachlichen, andere appellieren einfach nur an den guten Ton. Es gehe nicht darum, Andersdenkende von der eigenen Meinung zu überzeugen, sagt Ley. „Wir wollen vor allem den vielen stillen Mitlesern zeigen, dass ein respektvoller Umgangston möglich ist, auch wenn man anderer Auffassung ist.“ 2017 wurde #ichbinhier mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Inzwischen hat Ley auch ein Buch über das Phänomen Hassrede geschrieben, ein Schulprojekt wird gerade vorbereitet.

Seit das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft getreten ist, hat die Gruppe eine neue Strategie bei Provokationen ausgemacht. „Es wird oft haarscharf am Straftatbestand vorbeiformuliert, häufig zynisch und latent rassistisch. Und die organisierten Shitstorms nehmen zu“, sagt Ley. „Da wird von bestimmten Gruppierungen ganz gezielt politische Meinungsbildung betrieben.“ Plötzlich kämen mal eben hundert Leute in eine Kommentarspalte und hetzten gegen die linke Aktivistin Jutta Ditfurth, einen angeblich für Islamisierung werbenden Film auf dem Kinderkanal oder den gegen Fremdenfeindlichkeit eintretenden Bürgermeister von Kandel. In einer Studie des IT-Experten Philip Kreißel in Kooperation mit dem Institute for Strategic Dialogue in London ließen sich die meisten Accounts, die bei Hasskommentaren hochaktiv sind, einigen wenigen Anhängern von AfD und „Identitären“ zuordnen.

Aus diesem Lager kommen laut Ley auch viele Angriffe gegen #ichbinhier. Die Gruppe wurde schon als „Facebook-Stasi“ und „Meinungspolizei“ verunglimpft, Ley als „Blockwart“ beleidigt. „Ich denke, dass die Mehrheit unsere offene Demokratie schätzt“, sagt er, „aber man spürt sie nicht. Das ist bedenklich.“ Selbst aktiv zu werden sei die einzige Möglichkeit, sich in der digitalen Zivilgesellschaft gegen Demokratiefeinde zu positionieren. Daher ist es für ihn auch angesichts des Datenskandals bei Facebook keine Option, sich komplett aus den sozialen Medien zurückzuziehen. „Damit würden wir den neuen öffentlichen Raum ja den Hetzern überlassen.“

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