Selbstporträts berühmter Künstlerinnen: Blick auf die Welt durch das Ich
Die zutiefst persönlichen Selbstbildnisse zeigen nicht einfach nur ihre Erschafferinnen, sondern beleuchten komplexe gesellschaftliche und politische Fragen ihrer Zeit.
Heutzutage kommt in den sozialen Medien niemand mehr an Selfies vorbei – Bilder von Menschen, die für die Kamera posieren, wehmütig in die Ferne blicken oder sich mit Freunden amüsieren. Im heutigen Social-Media-Ökosystem gelten derartige Aufnahmen oft bloß als Versuche, positive Aufmerksamkeit zu generieren. Ein tieferer Einblick in die Praktik zeigt jedoch, dass sie das Potenzial für eine ehrliche Selbstdarstellung birgt – eine, die als sozialer Kommentar fungieren, Raum beanspruchen oder Botschaften vermitteln kann, die größer und umfassender sind als die Person, die ihre Kamera auf sich selbst gerichtet hat.
Selbstporträts sind kein Nebenprodukt des Smartphone-Zeitalters. Schon mindestens seit dem 15. Jahrhundert haben Künstlerinnen diese Art der Selbstdarstellung genutzt, um über ihre Welt und ihren Platz darin zu reflektieren. Es geht nicht nur darum, das eigene Aussehen festzuhalten. Selbstporträts ermöglichen es Künstlern, ihre Überzeugungen in einer offenen und mitunter revolutionären Weise in ihren Werken zu vermitteln und sich selbst und ihre Geschichte darin zu verewigen. Ihre Kunstwerke sind sowohl zutiefst persönlich als auch für den Betrachter zugänglich.
In vielerlei Hinsicht haben die folgenden sechs Frauen mehr getan, als nur Kunst zu schaffen: Sie haben den Weg für ganze Generationen von Gleichgesinnten auf der ganzen Welt geebnet.
VIVIAN MAIER
Die US-amerikanische Straßenfotografin wurde in New York City geboren und gilt als eine der Fotografiegrößen des 20. Jahrhunderts. Ihre Arbeit war ihr Leben, auch wenn sie sich als Kindermädchen in New York und später in Chicago etwas dazuverdiente. Trotz ihres künstlerischen Erbes und ihres narrativen Einflusses auf die Fotografie ist über Maier selbst nur wenig bekannt.
Aber die Entdeckung von 100.000 ihrer Negative und Dias im Jahr 2007 lieferte Hinweise auf eine Frau, die sich dem Fotografieren des Lebens auf der Straße verschrieben hatte, wo sie die Armen und Ausgegrenzten verewigte. Maier war oft auch ihr eigenes Motiv und lichtete sich in Schaufenstern, Spiegeln und anderen spiegelnden Oberflächen ab. Mal machte sie die Aufnahmen diskret, fast so, als würde sie sich selbst ausspionieren, und andere Male steht ihr ausdrucksloses Gesicht im Mittelpunkt.
PAULA MODERSOHN-BECKER
Google feierte den 142. Geburtstag von Paula Modersohn-Becker im vergangenen Februar mit einem Doodle. Die deutsche Künstlerin ist unter anderem dafür bekannt, dass sie die erste Frau war, die ein nacktes Selbstporträt von sich malte, das 1906 entstand.
Keine andere Frau der Kunstgeschichte hatte sich zuvor auf diese Weise dargestellt – der Blick auf den entblößten Frauenkörper war bis zu jenem Zeitpunkt stets von Männern geprägt worden. Abseits davon wird Modersohn-Becker zusammen mit anderen Künstlern wie Henri Matisse als Wegbereiterin der Moderne im 20. Jahrhundert gefeiert. Ihre Eltern wollten, dass sie Lehrerin wird, und ahnten nicht, dass Modersohn-Beckers Werke zahlreiche nachfolgende Generationen von Künstlern und Gelehrten inspirieren würden.
LOÏS MAILOU JONES
Obwohl Loïs Mailou Jones hauptsächlich für ihre Aquarelle und Ölmalereien bekannt ist, erkundete die gebürtige Bostonerin auch die Dualität ihrer Identität in ihren Werken, insbesondere in ihrem Selbstporträt. Ein Großteil ihrer Kunst aus den 1930ern zeigt schwarze US-Amerikaner und war Teil einer größeren Bewegung, die das Leben von Afro-Amerikanern abbildete, wobei sie durch ihren Einsatz von Formen und Farben gleichermaßen der afrikanischen Kultur huldigte.
Erst 1940 machte sich Jones dann selbst zu ihrem Motiv und stellte eine Verbindung zwischen ihrer Identität und der traditionellen afrikanischen Kultur her. Obwohl sie ihre Verbindung zu Afrika in vielen ihrer Werke erkundete, besuchte sie den Kontinent erst im Alter von 65 Jahren – fast 30 Jahre nach der Schaffung ihres berühmten Porträts.
JUDITH LEYSTER
Judith Leysters Gemälde wirken stets energiegeladen und fangen oft Szenen ein, in denen ein oder mehrere Personen fröhlichen Aktivitäten nachgehen, beispielsweise Kinder beim Spielen. Aber trotz des geschäftigen Treibens auf vielen ihrer Werke ist es ihr Selbstporträt, das oft die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ihre Selbstdarstellung bei der Arbeit weicht von vielen üblichen Darstellungen von Frauen zu jener Zeit deutlich ab.
Ihre Werke waren zu ihren Lebzeiten zwar beliebt, gerieten später jedoch in Vergessenheit oder wurden männlichen Künstlern zugeschrieben. Jahrhunderte später wurde Leyster als eine der führenden Künstlerinnen ihrer Generation wiederentdeckt: eine kühne und wagemutige Frau, die in einem von Männern dominierten Gewerbe einen Platz für sich beanspruchte.
FRIDA KAHLO
Es ist fast unmöglich, über Künstlerinnen zu sprechen, die für ihre Selbstporträts berühmt sind, ohne Frida Kahlo zu erwähnen – die mexikanische Künstlerin, deren charakteristischer Damenbart und die zusammengewachsene Augenbraue auf der ganzen Welt bekannt sind. Sie war der Star ihrer eigenen Show und nutzte ihre kreativen Werke, um diverse Merkmale der präkolumbianischen Kulturen Mexikos hervorzuheben und zu feiern. Kahlo malte sich mal allein, mal in Begleitung von Tieren oder in Gedanken an ihren Partner Diego Rivera versunken. In all ihren Selbstbildnissen wirkt sie ernst und hatte zeitlebens mit den gesundheitlichen Folgen eines schweren Unfalls in ihrer Jugend zu kämpfen. Internationale Anerkennung erlangte die Malerin erst lange nach ihrem Tod, insbesondere im Zuge der Frauenbewegung in den Siebzigern.
ZANELE MUHOLI
Die Künstlerin Zanele Muholi nutzt ihre Kunst als Plattform, um sich für die LGBTQ-Community in Südafrika einzusetzen. Zu Beginn ihrer Karriere hielt sie vor allem ihre Mitmenschen fotografisch fest, bevor sie sich selbst als Motiv entdeckte. Ihr Projekt „maID“ ist eine fortlaufende Schwarz-Weiß-Serie von Selbstporträts, die historisch-politische Ereignisse in der Geschichte Südafrikas widerspiegeln. Für Muholi ist die Schaffung eines Selbstporträts ein Akt der bewussten Verletzbarkeit. In der Serie zelebriert ihre Dunkelhäutigkeit, indem sie ihre Hautfarbe zusätzlich abdunkelt. Damit bildet sie einen Kontrast zu der Art und Weise, auf die schwarze Frauen in den Medien oft dargestellt werden.
Alexandra E. Petri auf Twitter folgen.