Der Preis des Fleißes

Sie verdienen mehr als der Durchschnitt und mischen die Technologiebranche auf. Warum die Einwanderer aus Südasien oft die erfolgreicheren Amerikaner sind.

Von Yudhijit Bhattacharjee
bilder von Ismail Ferdous
Veröffentlicht am 26. Okt. 2018, 06:00 MESZ
Hari Kondabolu
Hari Kondabolu bei einem Auftritt in der Union Hall in Brooklyn, New York. Kondabolu gehört zu den Comedians südasiatischer Herkunft, die in der US-amerikanischen Popkultur immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Foto von Ismail Ferdous

Der Kabarettist Hari Kondabolu ist Amerikaner indischer Abstammung, und gerade hat er einen Witz darüber erzählt, wie es ist, in Amerika braune Haut zu haben. Die Leute im Publikum lachen, bis plötzlich jemand mit starkem, nachgemachtem indischen Akzent brüllt: „Thank you, come again!“ Fans der Comicserie „The Simpsons“ erkennen darin sofort den Standardsatz von Apu Nahasapeemapetilon, der im Fernsehen ganz ungeniert als rassistisches Stereotyp dargestellt ist: ein knausriger, ausbeuterischer, leicht unterwürfiger indischer Besitzer eines Mini-Supermarkts.

Natürlich kennt auch Kondabolu diesen Satz. Wie viele Amerikaner südasiatischer Herkunft hat er ihn als Jugendlicher oft genug zu hören bekommen. Er kontert lächelnd: „Ich kenne Sie aus meiner Highschool, obwohl ich Sie nicht kenne“, sagt er und zeigt auf den Zwischenrufer im Publikum. „Genau wegen solchen Leuten wie Ihnen mache ich Comedy.“

Er hat einen Dokumentarfilm gemacht, der „The Problem With Apu“ heißt. Apu ist natürlich jener Apu aus den „Simpsons“, und Kondabolu findet es lächerlich, dass eine der bekanntesten Darstellungen eines indischen Amerikaners im Fernsehen eine Karikatur ist, mit der Stimme „eines Weißen, der einen Weißen nachmacht, der sich über meinen Vater lustig macht“.

Kondabolu ist einer von vielen südasiatischen Amerikanern der zweiten Generation, vorwiegend indischer Abstammung, die in den vergangenen Jahren in der Comedyszene der USA an Bedeutung gewonnen haben. Für die Integration von Menschen südasiatischer Herkunft in die US-Gesellschaft ist ihr Erfolg ein Meilenstein.

Ravi S. Bhalla, der neue Bürgermeister von Hoboken in New Jersey, steht im Rathaus vor den Porträts seiner Vorgänger. „Wir sind eine multikulturelle und einladende Stadt“, sagt er. Der Bürgerrechtsanwalt trägt als Mitglied der Glaubensgemeinschaft Sikh einen Turban.
Foto von Ismail Ferdous

Die zunehmende Sichtbarkeit von Amerikanern aus Südasien in der Popkultur entspricht dem Aufstieg dieser Einwanderergruppe in Wissenschaft, Medizin, Technologie, Wirtschaft – und immer mehr in Politik und öffentlichem Dienst.

Seit einigen Jahren sind Südasiaten eine der am schnellsten wachsenden Einwanderergruppen in den USA, im Jahr 2000 waren es 2,2 Millionen, 2015 schon 4,9 Millionen. Etwa 80 Prozent davon sind Inder mit einem mittleren jährlichen Haushaltseinkommen von 86 000 Euro – das ist fast doppelt so hoch wie der US- amerikanische Durchschnitt.

Dieser Erfolg ist nicht verwunderlich. Zum einen hat die USA seit den Sechzigerjahren die Einwanderung von gut ausgebildeten Fachkräften und leistungswilligen Studenten erleichtert. Da in Indien große Teile der Bevölkerung als Folge des britischen Kolonialismus Englisch sprechen und viele Bildungseinrichtungen einen hohen Qualitätsstandard haben, wurde Indien eines der wichtigsten Herkunftsländer solcher Talente. Die Einwanderer, die als Fachkräfte gekommen waren, holten später ihre Familien nach.

Doch manche Südasiaten der zweiten Generation wuchsen in einem weniger begüterten Umfeld auf. Ihre Eltern hatten eine schlecht bezahlte körperliche Arbeit. Auffallend viele Inder aus dem Bundesstaat Gujarat betrieben einfache Motels. Andere wuschen Geschirr, räumten in Supermärkten Regale ein oder fuhren Taxi, so wie der Vater von Tanzina Ahmed.

Als Ahmed 1990 als Fünfjährige aus Bangladesch nach New York City kam, sprach sie kaum Englisch und fand in der Schule nur schwer Freunde. Trotz ihrer Schwierigkeiten – oder vielleicht gerade deshalb – brillierte das Mädchen in der Schule. Beim SAT, dem nationalen Test zur Studienbefähigung, erzielte sie hervorragende Ergebnisse, darunter die volle Punktzahl im sprachlich­analytischen Teil.

Allerdings war Tanzina Ahmeds Familie illegal in die USA gelangt, und so kamen die meisten Stipendien und Finanzierungsprogramme nicht für sie infrage. „Es war, als würde einem eine Tür direkt vor der Nase zugeschlagen, die sich gerade einen Spalt geöffnet hatte“, sagt sie. Später stieß sie auf eines der wenigen Stipendienprogramme, das auch Studierenden mit illegalem Status offenstand. Sie erhielt ein Vollstipendium für das Macaulay Honor’s Col­lege der City University of New York.

Aber ihre Eltern legten Wert darauf, dass sie eingebürgert wurde. Sie heiratete einen Amerikaner mit Wurzeln in Bangladesch, den ihre Eltern ausgesucht hatten, während sie an ihrem Doktor in Psychologie arbeitete. Die Ehe zerbrach, aber sie hielt lange genug, um die Staatsbürgerschaft zu bekommen.

Ahmed lehrt heute am Bronx Community College. Sie ist auch wieder verheiratet – mit einem Amerikaner malaysisch­chinesischer Herkunft. „Ich fühle mich jetzt so viel wohler in meiner Identität als Bengali­Amerikanerin und als Muslimin“, sagt sie.

Ein typischer Wesenszug vieler Asiaten in den USA ist das eifrige Streben nach beruflichem Erfolg. Der Druck, gut in der Schule zu sein, ist weit verbreitet. Das führt dazu, dass überwiegend südasiatische Kinder bei Buchstabierwettbewerben und Wettkämpfen in Naturwissenschaften und Mathematik antreten – und gewinnen. Ihre Eltern wünschen sich, dass sie Medizin oder Jura studieren, aber immer häufiger ergreifen die jungen Südasiaten den Beruf, den sie sich selber ausgesucht haben.

BELIEBT

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    Auch der Vater der Nasa-Astronautin Suni Williams stammt aus Indien, sie hat zwei Einsätze auf der Internationalen Raumstation absolviert und 322 Tage im All verbracht. 2006 nahm sie dorthin ein Exemplar der hinduistischen Schrift „Bhagavad Gita“ und eine Figur der Gottheit Ganesha mit.
    Foto von Ismail Ferdous

    Auch der Kabarettist Kondabolu bekam den Druck seiner Eltern zu spüren. Als er sich am College als Kabarettist ausprobierte, hofften seine Eltern noch, das sich das wieder legen würde „Sie meinten, ich solle mich nicht vom Studium ablenken lassen“, sagt er. Seine Mutter wollte, dass er ein Masterstudium abschließt, und das machte ihn wütend.

    Kondabolu zog nach Seattle, trat bei einem Comedy­Festival im Fernsehsender HBO und bei der Fernsehshow „Jimmy Kimmel Live!“ auf und war dann bereit, ganz und gar in die Unterhaltungsbranche zu wechseln.  Doch als er eine Zusage für einen Master in Menschenrechten an der London School of Economics bekam, wollte seine Mutter, die Medizin studiert hatte, dass er diese Chance ergreift. „Meine Karriere hatte gerade angefangen“, erinnert er sich. „Und da sagte meine Mom: ‚Mach deinen Master.‘“ Er brachte das Studium zu Ende und begann nach seiner Rückkehr nach New York, ganz als Komiker zu arbeiten. Nach sechs Monaten wollte er aufgeben. „Ich sagte mir: Was soll das? Ich habe einen Masterabschluss. Meine Kommilitonen arbeiten bei der Uno, bei der Weltbank, bei Unicef, und ich muss zwei Stunden hin und zwei Stunden zurückfahren, um im Keller einer Bar Witze zu erzählen?“ Doch jetzt, mit einem Abschluss in der Tasche, fingen seine Eltern plötzlich an, ihn zu ermutigen.

    Er blieb dran, und bald kam der Erfolg. In den vergangenen zehn Jahren haben er und seine Komikerkollegen mit südasiatischen Wurzeln ein sehr gemischtes Publikum gefunden, das ständig wächst. „Weil so lange nicht über unsere Erfahrungen gesprochen wurde, ist jetzt alles neu, aufregend und interessant“, sagt Kondabolu. Mit seinem Dokumentarfilm hat Kondabolu eine der wichtigsten Diskussionen über Südasiaten in den USA ausgelöst. Nachdem „The Problem With Apu“ im November im Fernsehen ausgestrahlt wurde, entstand eine öffentliche Debatte zwischen denen, die seine Kritik teilen, und denen, die ihn für überempfindlich hielten. Seine Eltern, Uma und Ravi, hatten sich über Apu nie so geärgert wie ihr Sohn: „Wir wussten, dass wir in ein fremdes Land kamen“, sagt Uma. „Dieses Land schuldete uns nichts.“

    Kondabolu hingegen hält es für selbstverständlich, dass er in Amerika das Recht auf eine Stimme hat. „Es geht nicht darum, dass wir wie die anderen werden“, sagt er. „Es geht darum, dass wir von uns erzählen und uns etwas Neues einfallen lassen“, sagt er. „Denn das ist Amerika – das Land, das sich mit jeder neuen Idee und jedem neuen Menschen verändert.“

    Dieser Artikel wurde gekürzt. Lesen Sie die ganze Reportage in Heft 11/2018 des National Geographic-Magazins. Jetzt ein Abo abschließen!

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