Schloss Neuschwanstein: die Traumwelt des Märchenkönigs
Die Innenräume des Schlosses sind wie in einer Märchenwelt gestaltet – mit Bildern aus mittelalterlichen Sagen und gar einer Tropfsteinhöhle. Nun wurden große Teile Neuschwansteins aufwändig restauriert.
Schloss Neuschwanstein bei Füssen im Allgäu
„Gottlob, die Sache ist zu Ende, und in acht Tagen kräht kein Hahn danach!“. So sollen sich zwei Trauergäste bei der Beerdigung des legendären bayerischen Monarchen Ludwig II. (1845 – 1886) geäußert haben. Heute staunen die Besucher seiner Schlösser über deren Baukunst und architektonische Feinheiten. Zu Ludwigs Zeiten aber schüttelten die meisten Untertanen, wie auch seine Minister, eher den Kopf über den eigenwilligen Herrscher. Nach seinem Tod schrieb die Tageszeitung Das bayerische Vaterland gar: „Nur einige unvollendete, schon heute dem Verfall bestimmte Bergschlösser werden, Ruinen geworden, der Nachwelt von einem König erzählen, der sie gebaut, der ein Leben gelebt und einen Tod gefunden hat wie keiner seiner Ahnen und durch beides den Eingang in die Walhalla seines Hauses sich selbst verschlossen hat.“ Entgegen der Vorhersage damaliger Beobachter haben Ludwigs Bauten, wie auch dessen Berühmtheit die Zeiten überdauert.
Schloss Neuschwanstein: Umfangreiche Restaurierung
Allein Schloss Neuschwanstein zieht jedes Jahr 1,5 Millionen Besucher an. Damit es auch weiter in ganzer Pracht erstrahlt, hat die bayerische Schlösserverwaltung 2017 ein umfangreiches Restaurierungsprojekt gestartet, das größte seit seinem 150-jährigen Bestehen. Über diese Zeit haben Schmutz und Feuchtigkeit den Wandmalereien und der Bausubstanz zugesetzt. Nach ersten Arbeiten am Sängersaal wurde im Sommer 2022 auch die Sanierung des Thronsaals abgeschlossen, weitere Sanierungen sollen sich noch bis 2024 hinziehen.
Der wiederhergestellte Thronsaal ist der zentrale Raum des Schlosses. Er verrät viel über das Selbstbild des Monarchen: Wandmalereien zeigen heiliggesprochene Könige und religiöse Figuren, darunter Jesus Christus, die Zwölf Apostel oder Moses mit den Gesetzestafeln. Gestaltet ist der Raum nach dem Vorbild der Hagia Sophia. In Anlehnung an die byzantinischen Kaiser wollte Ludwig hier seine Vorstellung eines von Gott gegebenen, absolutistischen Königtums ausdrücken.
Diese Gedankenwelt entwickelte Ludwig aus den mittelalterlichen Geschichten, die er seit seiner Kindheit aufsog - darunter die Nibelungensage, Parsifal, Tristan und Isolde und Lohengrin. Mit 15 Jahren hörte Ludwig erstmals eine Oper von Richard Wagner. Sofort war der junge Prinz wie verzaubert. Die daraus entwickelte Sagenwelt wollte Ludwig mit dem Bau seiner Schlösser, vor allem Neuschwansteins, nachstellen. In einem Brief an Wagner, den der mittlerweile zum König gekrönte Ludwig über alles verehrte, schrieb er 1868: „Ich habe die Absicht, die alte Burgruine Hohenschwangau bei der Pöllatschlucht neu aufbauen zu lassen im echten Styl der alten deutschen Ritterburgen“. Den Namen Neuschwanstein erhielt das Schloss erst nach Ludwigs Tod.
Der Thronsaal ist mit verschiedenen Gemälden und Fresken mittelalterlicher Sagen und christlicher Überlieferungen gestaltet. Hier ein Fresko von Georg dem Drachentöter.
Flucht vor der Realität: Ludwigs Rückzug in die Architektur
Mehrere Stunden täglich beschäftigte sich Ludwig persönlich mit den Entwürfen und Bauplänen. Er studierte dafür umfangreiche Literatur zu Architektur, wie der Autor Hermann M. Hausner schreibt: „Wäre er nicht König geworden, so würde er der genialste schöpferische Architekt des 19. Jahrhunderts geworden sein. Er beherrschte die Bau- und Kunstgeschichte aller Periode und verband damit ein erstaunliches Stilgefühl, überlegenen Formensinn und Geschmack.“
Für Ludwig wurde das Bauen zu seiner wichtigsten Beschäftigung, neben der er die Regierungsgeschäfte vernachlässigte. „Mein Lebensglück hängt davon ab“, meinte er gar zu einem seiner Vertrauten. Nach dem verlorenen Krieg an der Seite Österreichs gegen Preußen 1866 schien sich Ludwig zunehmend in seine Traumwelt zurückzuziehen. Wider seinen Willen zwang ihn Otto von Bismarck in ein Militärbündnis; Bayerns Außenpolitik wurde fortan aus Berlin dominiert. Ludwig sah sich nur noch als „Unterschreibungsmaschine“ und „kaiserlichen Vasallen“, was seiner Auffassung von einem absolutistischen König von Gottes Gnaden vollkommen zuwiderlief.
Da ihm eine solche Herrschaft nicht möglich war, setzte er sie symbolisch um, keineswegs als Machtsymbol, wie der Ludwig-Biograph Marcus Spannenberg meint: „Die Bauten waren entgegen anderen gleichzeitig entstandenen Herrschaftsarchitekturen nicht als Machtdemonstration und Herrschaftslegitimation nach außen gedacht, sondern wirkten als Reflexion nach innen – zum Erbauer, der sich immer mehr vom wahren Leben zurückzog.“
Die Gelder für Neuschwanstein nahm Ludwig aus den ihm als König zustehenden Privatmitteln, doch als sie nicht mehr ausreichten, verschuldete er sich zunehmends. Er hielt es zwar für selbstverständlich, dass das Volk für seine Ausstände aufkommen sollte – doch stand er mit dieser Ansicht ziemlich allein da. Als er 1885 seinen Finanzminister anwies, weitere Gelder zu beschaffen, hatten die Münchner Regierungsbeamten genug von ihm. Im Jahr darauf folgte die Entmündigung des Königs, woraufhin er sich wohl im Starnberger See das Leben nahm. Neuschwanstein, sein Lebenswerk, wurde nie nach seinen ursprünglichen Plänen komplett vollendet. Nach seinem Tod wurde es der Öffentlichkeit freigegeben.
Im August 2022 wurde die Restauration des Thronsaals abgeschlossen. Dieser ist nach Vorbild der byzantinischen Hagia Sophia gestaltet.
„Die Geheimnisse von Neuschwanstein“ im TV auf National Geographic
In enger Abstimmung mit der Bayerischen Schlösserverwaltung dokumentiert die deutsche National Geographic-Eigenproduktion „Die Geheimnisse von Neuschwanstein“ die bisher umfangreichste Restaurierung in der Geschichte des Schlosses. Sie gewährt exklusive Einblicke hinter die Kalkstein-Fassaden, fördert überraschende Entdeckungen zutage und nähert sich dabei nicht zuletzt auch der geheimnisvollen Persönlichkeit des legendären Märchenkönigs.
Sendetermin: TV-Premiere, am Sonntag, 25. September um 21:00 Uhr auf National Geographic