Skandal im 19. Jahrhundert: Wie die Schweizerin Caroline Weldon das Schicksal von Sitting Bull mitbestimmte

1890 besuchte die Schweizerin Caroline Weldon das Volk der Sioux, um sie im Kampf gegen Landnahme zu unterstützen. Doch ihr Schicksal wie auch das des Stammes in Dakota nahm einen tragischen Verlauf.

Von Marius Rautenberg
Veröffentlicht am 6. März 2023, 15:35 MEZ
Caroline Weldon mit einer Freundin

Foto von Caroline Weldon (sitzend) mit ihrer Freundin Aline Estoppey, New York, 1915. (courtesy Daniel Guggisberg, Santa Fe, NM, USA) 

Foto von Henry Sauerland

Böse Ahnungen und Gerüchte müssen sich im Frühjahr 1890 unter den weißen Farmern, Militärs und Behörden in den US-amerikanischen Prärie-Staaten breit gemacht haben. Tausende Angehörige der verschiedenen indigenen Stämme - der Sioux, Apachen, Cherokee, Paiute, Navajo und vieler anderer - versammelten sich und hielten mysteriöse Zeremonien ab: Tag und Nacht hakten sich durstige Frauen, Männer, Kinder und Greise einander unter und tanzten, bis sie vor lauter Erschöpfung in einen Trance-ähnlichen Zustand gerieten. Sie sehnten sich die Wiedergeburt der Toten und das Paradies auf Erden herbei – oder mindestens eine Ablenkung vom ständigen Hungergefühl, dem sie ausgesetzt waren, seitdem die US-Regierung sie in unwirtliche Reservate gezwungen hatte.

Angestoßen wurde die „Geistertanzbewegung“ von christlichen Missionaren, die den leidenden Indigen predigten, dass der Messias kommen und ein friedliche Zusammenleben mit den Weißen ermöglichen werde. Doch bald entwickelten zwei Stammeshäuptlinge der Sioux, Kicking Bear und Short Bull, militantere Ideen: Nach ihnen würde eine große Schlammlawine die Weißen von ihrem Land spülen. Besorgnis löste die Geistertanzbewegung auch bei einer Fürsprecherin der Sioux aus, der Schweizerin Susanna Karolina Faesch, Vertraute des berühmten Häuptlings Sitting Bull. Zeit ihres Lebens stellte sie sich als Caroline vor, ab 1889 auch offiziell als Caroline Weldon. Allerdings sorgte sich Weldon weniger um ihre eigene Haut als Weiße. Vielmehr fürchtete sie die Intervention der US-Militärs – zurecht, wie sich auf tragische Weise zeigen sollte.

Caroline Weldon: Die schweizer Beraterin von Sitting Bull

Geboren wurde Faesch 1844 in Kleinbasel in der Schweiz. Ihre bereits verheiratete Mutter verliebte sich in einen deutschen Arzt und Revolutionär, dem sie 1852, zusammen mit ihrer Tochter, nach New York nachzog. Einer allein reisenden, geschiedenen Frau wurde zu dieser Zeit häufig mit Kopfschütteln und sogar Anfeindungen begegnet. Naheliegend, dass Caroline eine liberale, aufgeklärte Erziehung erhielt, die sie mit einer natürlichen Sensibilität für die Rechte von Frauen und Minderheiten ausstattete. 

Laut der US-Journalistin Eileen Pollack, Biografin von Weldon, verfolgte Caroline bereits in den 1860er Jahren die Zeitungsartikel über die Sioux-Kriege. Im Epilog ihres Buches Woman Walking Ahead zitiert sie einen Artikel aus dem Chicago Tribune: „Caroline Weldon kannte das ungeheuerliche Verhalten der raubgierigen Behördenvertreter, die die hilflosen Indianer jahrelang gequält hatten. Sie las von den großen Tapferen, Tecumseh, Osceola, Samoset, und sie sah in Sitting Bull einen weiteren. Über seine Familie nahm sie Kontakt zu ihm auf, und tauschte viele Briefe mit ihm aus.“

Anlass für den Briefwechsel war ein Kongress-Beschluss von 1888, der die Zerstückelung der Dakota-Gebiete vorsah, wogegen sich Sitting Bull wehrte. Sein ganzes Leben lang kämpfte er bereits gegen die Landnahme durch die Weißen. 1876 besiegte er mit seinen Truppen das 7. Kavallerie-Regiment der US-Armee am Little Bighorn, was ihn weltberühmte machte, wofür er jedoch später zeitweise ins Gefängnis musste. Als Teil der National Indian Defence Association versuchte Weldon den Häuptling Sitting Bull und sein Volk zu unterstützen. Sie schickte ihm Berechnungen und Karten, um zu verdeutlichen, wie viel Land der Kongress den Sioux abnehmen wollte. Laut Eileen Pollack setzten „die Weißen darauf, dass die Indianer nicht genau verstehen würden, wie viel Land sie tatsächlich verlieren.“

Caroline Weldon arbeitete in New York als Kunstmalerin. Dieses Porträt von Sitting Bull fertigte sie 1890. (courtesy Blackwell Auctions, Clearwater FL, USA) 

Foto von Caroline Weldon

Den Großteil ihres Lebens verbrachte Weldon in New York, wo sie als Kunstmalerin arbeitete, heiratete und einen Sohn bekam. Die Ehe zerbrach und nachdem ihre Mutter ihr 1888 ein auskömmliches Erbe hinterlassen hatte, sah sie die Möglichkeit, die Sioux vor Ort zu unterstützen. Der Schweizer Autor Alex Capus schreibt in seinem Roman Susanna: „Plötzlich war Susanna frei von den täglichen Verpflichtungen – sie konnte ausziehen wie damals ihre Mutter aus der Enge der Schweiz in die Neue Welt gereist war.“ Zusammen mit ihrem Sohn machte sie sich auf, die Gebiete der Sioux in Dakota zu bereisen und Sitting Bull im Standing Rock Reservat zu besuchen. 

Briefe und finanzielle Unterstützung für Sitting Bull

Nach ihrer Ankunft im Reservat in Dakota sprach Weldon in Briefen an New Yorker Freunde von einem warmen Empfang. Mehrere Monate lebte sie bei Sitting Bull und seiner Familie in dessen Haus – ein skandalöser Vorgang für die damalige US-Gesellschaft. Die Behörden versuchten ihr Steine in den Weg zu legen und die Presse lästerte über sie als „Sitting Bull’s Weib“. Doch davon ließ sich Weldon nicht abhalten. Sie unterstütze Sitting Bull finanziell, diskutierte mit ihm und seinen Angehörigen über die politische Lage und porträtierte ihn mehrmals malerisch. 

Eileen Pollack spricht im Interview mit National Geographic davon, dass Weldon damals als einzige von ganz wenigen Weißen die Rechte der Indigenen aktiv verteidigte: „Die Konservativen sagten, man solle alle Indigenen töten. Die liberale Ansicht war, dass sie sich anpassen und ihre Religion und ihren Lebensstil aufgeben sollten. Es gab nur eine sehr kleine Gruppe, die meinte, dass die Indigenen die Möglichkeit haben sollten, ihr traditionelles Leben auf so großen Ländereien wie möglich fortzusetzen. Es war eine vollkommene Minderheitsposition.“

Trotzdem bedeutete es nicht, dass Weldon unkritisch jeden Schritt von Sitting Bull unterstützte. Insbesondere warnte sie ihn vor der aufkommenden Geistertanzbewegung. Es ist nicht bekannt, ob Sitting Bull selbst an die Wirkung der Geistertänze glaubte. Vermutlich hatte er eher einen pragmatischen Umgang damit. Die Furcht der Weißen vor den Tänzen hingegen war irrational. Ihre Siedlungen lagen dutzende Kilometer vom Standing Rock Reservat entfernt. Militärisch waren sie ein vielfaches überlegen. Doch genau das bereitete Weldon Angst. Sie war genervt, dass ein so intelligenter Mann wie Sitting Bull, den sie bewunderte, diese Tänze zuließ, die nicht mal auf die Bräuche der Indigenen zurückzuführen waren.

Durch die Geistertänze geriet Sitting Bull abermals in das Visier der US-Behörden. Der Indianerbeauftragte Mc Lauhghlin schrieb 1890: „Er ist im vergangenen Jahr immer dreister und aggressiver geworden, und es ist zweifellos nur eine Frage der Zeit (höchstens ein paar Monate), bis es notwendig sein wird, ihn aus der Mitte seines Volkes zu entfernen.“ Indes bereitet er seine Verhaftung vor. Diese sollte mit Hilfe der Stammespolizei erfolgen, die sich aus Angehörigen der Sioux selbst rekrutierte. Als sich Sitting Bull seiner Verhaftung widersetzte, erschossen in zwei Polizisten.

Zu diesem Zeitpunkt war Weldon bereits auf der Weiterreise. Sie hatte Sitting Bull immer vor diesem Schicksal gewarnt. Nun musste sie tief bestürzt den Heimweg antreten. Für die Sioux war dies jedoch nur der Auftakt zu einer noch größeren Tragödie. Nur drei Wochen später verübte die 7. US-Kavalleriedivision nahe der Ortschaft Wounded Knee ein Massaker an 300 großteils unbewaffneten Männern, Frauen und Kindern. Die Truppen nahmen späte Rache für die Schmach, die Sitting Bull ihnen 15 Jahre zuvor zugefügt hatte. Mit dem Massaker brach der militärische Widerstand der Indigenen entgültig. Caroline Weldon wurde von der Presse für die Ereignisse mit verantwortlich gemacht. „So gut wie jeder in Amerika hasste sie“, meint Eileen Pollack. Nicht nur hatte sie den Tod Sitting Bulls und hunderter Sioux zu verkraften, auch ihr Sohn starb zu ebendieser Zeit. Als gebrochene und sozial geächtete Frau reiste sie 1890 zurück nach New York, wo sie 1921 starb.

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