Zwischen Walfang, Weltkrieg und Wandel: Die spannende Geschichte der arktischen Inselgruppe Spitzbergen

Wer an Spitzbergen denkt, dem kommen wahrscheinlich Eisbären, Polarlichter und ganz viel Schnee in den Sinn. Doch hinter den arktischen Inseln steckt noch viel mehr: Eine spannende Geschichte und ungewisse Zukunft.

Von Julia Kainz
Veröffentlicht am 6. Juni 2023, 10:57 MESZ
Spitzbergen

Hinter diesen Inseln stecken spannende Geschichten

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Rund 600 Kilometer östlich von Grönland und nördlich von Norwegen, inmitten von Nordpolarmeer, Barentsee und europäischem Nordmeer, liegt Spitzbergen. Die zu Norwegen gehörende Inselgruppe ist für ihre wunderschöne Natur und arktische Tierwelt bekannt: Eisbären, Robben, Walrosse, Rentiere und Polarfüchse inmitten von Gletschern, Packeis und Fjorden sind hier anzutreffen. Außerdem leben rund 2.500 Menschen auf den Inseln.

Insgesamt gehören mehr als 400 Inseln zu Spitzbergen. Der Name „Spitzbergen“ ist allerdings nur die deutsche Bezeichnung für das Archipel: Eigentlich handelt es sich bei Spitzbergen um die größte Insel des Komplexes. Der offizielle Name für den Archipel lautet seit 1920 „Svalbard“, was zu Deutsch so viel heißt wie „kühle Küste“. Doch die Geschichte der Inseln reicht lange vor das Jahr 1920 zurück:

Wikinger auf Spitzbergen? Die Entdeckung von Svalbard

Schon in Schriften aus dem Jahr 1194 wurde der Ort „Svalbardi fundinn“ erwähnt, weshalb es die Vermutung gibt, dass Spitzbergen bereits den Wikingern bekannt war. Kritiker halten es jedoch für nicht abschließend geklärt, dass mit „Svalbardi“ tatsächlich das heutige Spitzbergen gemeint war. Denn Svalbardi fundinn heißt übersetzt so viel wie „den kalten Rand/die kalte Küste gefunden“. Damit könnte also ebenso eine andere arktische Insel oder die Packeisgrenze gemeint sein. Dass die Wikinger auf Spitzbergen waren, bleibt daher nur eine Vermutung. Offiziell entdeckt wurden die Inseln im Jahr 1596 von dem niederländischen Seefahrer Willem Barents, als dieser auf der Suche nach der Nordostpassage war.

Die Jagd nach Blubber: Die Walfangperiode Spitzbergens

Wilhelm Barents, der auf seiner Expedition starb, und nach ihm andere Seefahrer entdeckten schnell, wie viele Wale in den Gewässern um Spitzbergen vorkamen. Daher machten sich bald Walfänger, vor allem aus England, Frankreich und den Niederlanden, auf den Weg in die Arktis, wodurch auf Spitzbergen im 17. Jahrhundert Walfang eine große Rolle spielte. Ziel der Walfänger war vor allem der sogenannte Blubber. Das ist eine Fettschicht von Walen, aus der Öl – der sogenannte Tran – gekocht wurde. An Land wurden dazu extra Trankochereien errichtet, um die Tiere direkt an Land zu verarbeiten. 

Die Walfangperiode Spitzbergens endete im 18. Jahrhundert, da die Walbestände schnell so stark dezimiert wurden, dass sich der Walfang nicht mehr lohnte. Bereits Mitte des 17. Jahrhunderts wurde der Walfang zunehmend von den Küstengebieten in das offene Meer verlegt. Die Küste diente noch für Gräber von Seefahrern oder Walfängern, die ihre Reise nicht überlebten.

Ohne den Walfang verlor Spitzbergen aus wirtschaftlicher Sicht stark an Bedeutung. Lediglich einige russische Siedler, genannt Pomoren, blieben auf den Inseln, um unter anderen Jagd auf Tiere wie Robben und Polarfüchse zu machen. Ihr Ziel war der Handel mit den Fellen. 

Ohne den Walfang verlor Spitzbergen aus wirtschaftlicher Sicht stark an Bedeutung. 

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Wem gehört Spitzbergen? Vom Bergbau zum Spitzbergenvertrag

Nach der Walfangperiode rückten die Inseln in den Fokus der Wissenschaft: Im 19. Jahrhundert fanden viele Expeditionsreisen nach Spitzbergen statt. Im Zentrum standen Forschungen zu Meteorologie, Magnetismus der Erde und den Polarlichtern. Schnell wurde ein großes Kohlevorkommen auf den Inseln entdeckt, was Spitzbergen für viele Staaten wieder wirtschaftlich interessant machte.

Im Jahr 1903 begann Norwegen, Kohle auf Spitzbergen abzubauen. Drei Jahre später gründete der Amerikaner John Munroe Longyear die erste Grubensiedlung auf Spitzbergen– daraus entstand der heutige Hauptort Spitzbergens: Longyearbyen. Zehn Jahre später übernahm eine norwegische Firma die Grubensiedlung. Doch auch Firmen aus anderen Ländern wie Schweden, England und Russland wollten Kohlegruben auf Spitzbergen eröffnen. Doch weil die Besitzansprüche des Landes nicht geklärt waren, kam es beim Bau der Kohlegruben immer wieder zu Konflikten. Die Frage, wem die Inseln „gehörten“, wurde immer wichtiger. 

Nach dem ersten Weltkrieg nutzte Norwegen die Chance und schlug in Versailles vor, die Verwaltung Spitzbergens zu übernehmen. Im Jahr 1920 kam es dann zum sogenannten „Spitzbergenvertrag“, der fünf Jahre später in Kraft trat und besagt, dass Norwegen die Souveränität über Spitzbergen erhält. Seitdem heißt die Inselgruppe offiziell Svalbard.

Der Spitzbergenvertrag führt aber auch viele Einschränkungen mit sich: Er besagt, dass Spitzbergen zwar norwegischer Verwaltung und Gesetzgebung unterliege, Norwegen aber keinen Gewinn mit Steuern aus Spitzbergen machen dürfe und alle Bürger der anderen Unterzeichner-Staaten dort dieselben Rechte hätten wie die Norweger, auch die wirtschaftliche Nutzung gehört dazu.

Bis heute wird Bergbau auf Spitzbergen betrieben, allerdings deutlich weniger als im 20. Jahrhundert. Neben Norwegen baut Russland in Barentsburg – dem zweitgrößten Ort Spitzbergens – Kohle ab. Andere Bergbausiedlungen, zum Beispiel das schwedische Pyramiden und das russische Grumant, sind heute verlassen.

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    Obwohl Spitzbergen scheinbar abgelegen vom Rest der Welt liegt, war es im zweiten Weltkrieg ein strategisch wichtiger Ort.

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    Spitzbergen im zweiten Weltkrieg

    Obwohl Spitzbergen scheinbar abgelegen vom Rest der Welt liegt, war es im zweiten Weltkrieg ein strategisch wichtiger Ort: Hitler nutze bei seinem Angriff auf die Sowjetunion im Jahr 1941 die Barentsee als Transportweg nach Murmansk (russische Hafenstadt). Daraufhin wurde Spitzbergen evakuiert und Alliierte zerstörten Siedlungen und Kohlevorräte, um sie für die deutsche Wehrmacht unbrauchbar zu machen. Obwohl Spitzbergen laut Spitzbergenvertrag damals eine entmilitarisierte Zone war, wurden norwegische Streitkräfte in Spitzbergen stationiert.

    Während des Kriegs fungierte Spitzbergen als Kriegswetterstation, da das Wetter in der Arktis wichtige Informationen für die Wettervorhersage in Mitteleuropa lieferte - was strategische Vorteile für den Kriegsverlauf bedeutete. Sowohl deutsche als auch alliierte Wetterstationen wurden errichtet und gegnerische Stationen wurden, sofern man sie entdeckte, zerstört: Es gab einen „Krieg um das Wetter“. Im Jahr 1943 zerstörten deutsche Streitkräfte im Rahmen des „Unternehmen Sizilien“ die Stadt Longyearbyen. Ziel der Operation war die Zerstörung alliierter Einrichtungen auf Spitzbergen. Erst nach dem Krieg wurde der Ort wieder aufgebaut. Seit 1945 ist Spitzbergen (wieder) entmilitarisiert.

    Spitzbergen im Wandel: Forschung und Erderwärmung

    Heute ist Spitzbergen ein beliebter Ort für Touristen und Arktis-Expeditionen. Nach wie vor sind die Inseln ein besonders wichtiger Ort für die Wissenschaft - insbesondere für die Erforschung des Klimawandels, da es kaum einen Ort auf der Welt gibt, an dem dieser schneller voranschreitet als auf Spitzbergen. Zwischen 1971 und 2017 erwärmte sich Spitzbergen durchschnittlich auf drei bis fünf Grad, am stärksten sind die Temperaturerhöhungen im Winter. Bis 2100 erwarten Forscher eine Erwärmung von sieben bis zehn Grad. 

    Der Klimawandel ist auch in Spitzbergen zu spüren - bereits heute.

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    Die Folgen sind zum Beispiel das Schmelzen von Gletschern und das Tauen von Permafrostböden: Der Lebensraum von Tieren wie dem Eisbär geht zurück, der Meeresspiegel steigt. Eine weitere Folge: Die Region rückt aus wirtschaftlicher Sicht wieder in den Fokus. Durch das zunehmende Schmelzen des Packeises werden die Seerechte um den Archipel herum immer interessanter. Nicht nur neue Schifffahrtsrouten eröffnen sich, auch natürliche Ressourcen des arktischen Ozeans, vor allem Fisch und Gas, werden zugänglicher. Doch die Rechte dafür sind bis heute nicht eindeutig geklärt: Norwegen beansprucht die natürlichen Ressourcen innerhalb des Schelfbereichs – das sind 200 Seemeilen um den Archipel herum – für sich. Die Begründung: Das Nutzungsrecht der anderen Staaten gelte laut Spitzbergenvertrag nur innerhalb der sogenannten Zwölfmeilenzone. Die natürlichen Ressourcen in der 200-Meilenzone unterlägen stattdessen Norwegen. Ein eindeutiges Urteil gibt es dazu noch nicht.

    Noch mehr dazu, wie sich der Klimawandel auf Spitzbergen bemerkbar macht, erfahren Sie in der Mai-Ausgabe 2023 des National Geographic Magazins.

    Maßnahmen, um die Erderwärmung in der Arktis und auf Spitzbergen einzugrenzen, müssen vielfältig sein: Laut Umweltbundesamt sind zum einen hohe Umwelt- und Sicherheitsstandrads für Schiffe, die die Arktis befahren, wichtig, sodass zum Beispiel weniger Abgase ausgestoßen werden. Zum anderen seien Schutzgebiete für den Erhalt der biologischen Vielfalt wichtig. Auch touristische Expeditionen, die oft mit einem Kreuzfahrtschiff stattfinden, müssten nachhaltig sein. Dazu gehöre zum einen, noch unberührte Gebiete auch unberührt zu lassen und zum anderen die Touristen für den Umwelt- und Klimaschutz zu sensibilisieren. Viele Reiseveranstalter haben sich außerdem zum Beispiel zum Verband der Arktischen Expeditionskreuzfahrt-Veranstalter (Association of Arctic Expedition Cruise Operators) zusammengeschlossen, der sich für hohe Umweltstandards bei Reisen in die Arktis einsetzt, heißt es vom Umweltbundesamt.

    Selbstverständlich sind die klimatischen Veränderungen in der Arktis und auf Spitzbergen aber auch eine Folge globaler Treibhausgasemissionen. Daher ist auch globaler Klimaschutz wichtig, damit Spitzbergen nicht nur auf eine spannende Geschichte, sondern auch auf eine sichere Zukunft blicken kann. 

    Das National Geographic Magazin 6/23 ist seit dem 25. Mai im Handel erhältlich.

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    Mehr spannende Reportagen über die Wildnis lesen Sie im NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin 6/23. Verpassen Sie keine Ausgabe mehr: Sichern Sie sich die nächsten 2 Ausgaben zum Sonderpreis! 

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