Der älteste Globus der Welt: Wie ein Nürnberger Geschichte schrieb

Schattenfüßler, Fantasieinseln und Elefantenherden: Der Behaim-Globus (1492) erlaubt faszinierende Einblicke in die Weltsicht des ausgehenden Mittelalters. Was fehlt: Amerika.

Von Heidrun Patzak
Veröffentlicht am 21. Dez. 2023, 15:06 MEZ
Behaim-Globus

Die Welt, wie man sie 1492 kannte – oder sie sich vorstellte. Verschiedenste Schiffsminiaturen auf dem Globus veranschaulichen die Bedeutung, die die Schifffahrt im ausgehenden 15. Jahrhundert hatte. 

Foto von Germanisches Nationalmuseum Nürnberg

Auch wenn das Licht im Ausstellungsraum des Nürnberger Nationalmuseums schummrig ist, kann man auf der Weltkugel den italienischen Stiefel, die spanische Halbinsel und auch die Vereinigten Königreiche gut erkennen. Für mehr Details gibt es eine digitale Aufnahme, die vor gut 30 Jahren unter polarisierendem Licht angefertigt worden ist und im Ausstellungsraum neben dem Globus vergrößert an der Wand hängt. 530 Jahre hat der älteste erhaltene Globus der Welt inzwischen auf dem Buckel, lagerte jahrzehntelang in verstaubten Speichern und wäre um ein Haar in die USA verkauft worden. Doch seit Mai 2023 gehört er zum UNESCO Welt Dokumentenerbe. Im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg kann er von Besuchern bestaunt werden.

Detailreich wird der afrikanische Kontinent dargestellt. Was fehlt, sind Amerika, Australien und der Pazifik.

Foto von Germanisches Nationalmuseum Nürnberg

Echtes Teamwork: So entstand der Globus

Eine ganze Armada an Handwerkern und Künstlern war nach der Beauftragung des Globus im Jahr 1492 an dessen Herstellung beteiligt: ein Glockengießer, ein Rechenmeister, ein Buchmaler, Illuministen und Schreiber, ein Schreiner und ein Schlosser – und natürlich der Namensgeber des Globus selbst – der Nürnberger Seefahrer, Kaufmann und Händler Martin Behaim. Behaim war Spross einer Nürnberger Handelsfamilie. Er absolvierte eine Ausbildung zum Kaufmann in Mecheln und Antwerpen, kehrte jedoch nicht nach Nürnberg zurück. „In den Quellen taucht er zunächst im Jahr 1484 in Lissabon auf, wo er Joanna Macedo, Tochter des Gouverneurs der Azoreninseln Josse de Hurter, heiratete und 1485 aus unbekannten Gründen zum Ritter geschlagen wurde. Er bewegte sich also im Umfeld des portugiesischen Königshofs und der Afrikaseefahrer“, fasst Dr. Susanne Thürigen, Leiterin der Sammlungen Wissenschaftliche Instrumente, Waffen- und Jagdkultur im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg die Lebensstationen von Behaim zusammen. Erst im Jahr 1490 kehrte er nach Nürnberg zurück, um Erbangelegenheiten zu klären. Dort trug Behaim dem Nürnberger Rat schließlich die Idee vor, einen Erdglobus herzustellen – mit Erfolg, denn Behaim wurde tatsächlich beauftragt. Dabei hatte der Kaufmann möglicherweise einen Hintergedanken: „Es gibt Hinweise, dass Behaim an eine Serienproduktion dachte und der Globus, der heute als Unikat erhalten ist, eventuell der Prototyp für gedruckte Globussegmente sein sollte. Behaim wäre damit als Globenverleger einer der Pioniere des Medienrevolutionszeitalters geworden“, so die Expertin. 

BELIEBT

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    Ein dreidimensionales Modell der Erde und kein Platz für Amerika

    Der Globus, oder auch „Erdapfel“ genannt, hat es in sich: Das Innenleben besteht aus mehrlagig verleimten Textilien, stabilisiert durch zwei Holzreifen, darüber acht miteinander vernähte Pergamentstücke und eine weitere Papierschicht, die dann kunstvoll bemalt wurde. Insgesamt misst der Globus 51 cm Durchmesser.

    Als Quelle für die Landkarten diente eine Mischung aus antiken Beschreibungen, wie etwa des Alexandriners Claudius Ptolemäus und dem Kartenmaterial portugiesischer Westafrika-Expeditionen. Zwei Inschriften auf dem Globus, in denen Behaim erwähnt, dass er an einer Reise an die afrikanische Westküste teilgenommen habe und ein Hinweis in der Schedelschen Weltchronik von 1493 deuten darauf hin, dass er in den Jahren 1484 und 1485 tatsächlich mit dem portugiesischen Seefahrer Diogo Cão an der afrikanischen Westküste entlang gesegelt war.

    Nach heutigem Wissen stimmen die Erdproportionen des Globus nicht ganz. Behaim verließ sich auf die Berechnungen von Poseidonios, die zwar bereits ein Koordinatensystem mit Längen- und Breitengraden umfassten, aber dennoch nicht vollständig richtig waren. Deshalb zeigt der Behaim-Globus den Erdumfang etwa 10.000 km zu gering und das Mittelmeer zu lang. Amerika und Australien fehlen gänzlich, denn sie waren noch nicht entdeckt – für sie wäre aber sowieso kein Platz mehr auf dem Erdapfel gewesen.

    Die Elefanten auf dem Globus sind erstaunlich naturgetreu. Ob der Künstler jemals echte Elefanten gesehen hat, bleibt ungewiss. 

    Foto von Germanisches Nationalmuseum Nürnberg

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    Über 2000 Ortsnamen, 200 Piktogramme, kurze erzählerische Texte, Wappen und Tierdarstellungen vom Vogelstrauß oder Papageien – alles, was den damaligen Künstlern, Schreibern und Humanisten bekannt war, wurde auf dem Globus abgebildet. Und was man nicht kannte, ebenfalls: Deshalb finden sich auf dem afrikanischen Kontinent zum Beispiel abenteuerliche Fabelwesen wie die sogenannten „Schattenfüßler“ (ein Wesen halb Mensch, halb Tier mit Flosse), und in Skandinavien eine Fantasieinsel namens Thule. „Klar ist, dass die damalige Weltsicht eine dezidiert europäische gewesen ist, wobei die Europäer relativ wenig von der Welt wussten“, erklärt Dr. Susanne Thürigen. Umso verblüffender findet die Expertin eine besondere Inschrift auf dem Globus: „Die Inschrift besagt, dass der Globus zeige, wie einfach es sei, überall hinzureisen, wohin man wolle – man müsse nur auf ein Schiff steigen und losfahren. Das ist so ein Euphemismus!“. Die Stelle übergehe die enormen Vorbereitungen und Kosten einer Expedition oder einer Handelsfahrt, sowie die Tatsache, dass viele Seefahrer und Expediteure auf den beschwerlichen Fahrten ihr Leben ließen.

    Fest steht jedoch, dass der Globus in einer Zeit des Umbruchs entstand. „Die Passage zeugt von der unglaublichen Euphorie dieser ersten Phase der Globalisierung, in der sich für die Europäer – im Guten, wie im Schlechten – neue Horizonte auftaten“, so Thürigen. Neue Horizonte – genau darum könnte es Behaim auch gegangen sein, als er 1492 die Idee eines Nürnberger Globus dem Rat der Stadt vorschlug.

    Im 19. Jahrhundert fristete der Globus ein Dasein in Speichern und wurde unsachgemäß gelagert, eine Eindellung zeugt davon. Heute kann er in Nürnberg unter speziellem Licht und hinter Glas bewundert werden.

    Foto von Germanisches Nationalmuseum Nürnberg

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    „Im ausgehenden Mittelalter herrschte in Nürnberg eine inspirierende wissenschaftliche Atmosphäre, insbesondere für die Astronomie, die Geografie und die Kosmografie“, skizziert Thürigen die damaligen Verhältnisse. „Es fand ein fruchtbarer Austausch zwischen unterschiedlichsten Gesellschaftsgruppen, Kaufleuten, Humanisten, Verlegern, Wissenschaftlern und Handwerkern statt“, so Thürigen – und der Globus sei ein eindrückliches Zeugnis dafür. 

    Der Grund, warum Behaim auf die Idee kam, die Erde als dreidimensionales Modell darzustellen, könnte auch sehr viel profaner gewesen sein: Geld – genauer gesagt, Geld aus Handelsbeziehungen. Betrachtet man den Globus genauer, fällt auf, dass Gebiete, die für den Gewürzhandel beutend waren, besonders hervorgehoben sind. Ob damit Kaufleute dazu gebracht werden sollten, in den Handel zu investieren? Schließlich war es der Nürnberger Stadtrat, der den Globus beauftragt hatte und ihn dann für alle zugänglich im Nürnberger Rathaus ausstellte. Deshalb könne, laut Thürigen, der Globus auch als wirtschaftspolitischer Appell an Geldgeber für Investitionen in globale Seefahrtunternehmen gedeutet werden. „Auf dem Globus befinden sich nicht nur zahlreiche Hinweise auf kostbare Ressourcen wie Gold, Edelsteine, Gewürze und andere Luxuswaren, sondern auch Passagen, die nahelegen, welche enormen Gewinne der direkte Handel ohne Mittelsmänner bringen würde.“

    Handel mit Westafrika: Ein dunkles Kapitel der Menschheitsgeschichte

    Unübersehbar ist auf dem Globus auch ein besonders düsterer Teil der Globalisierungsgeschichte: die Anfänge des Sklavenhandels mit Afrika. Denn im Golf von Guinea sind die Inseln São Tomé und Príncipe verzeichnet – seit 1471/72 die Ausgangsorte des interkontinentalen Sklavenhandels und der Kolonialisierung der afrikanischen Küste.

    Der Behaim-Globus ist mehr als nur ein Kunstwerk – er ist ein enzyklopädischer Querschnitt der damaligen Weltsicht und gleichzeitig ein frühes Zeugnis der wachsenden, imperialistischen Bestrebungen Europas und deren menschenverachtender Auswüchse. Noch während seiner Fertigstellung war der Erdapfel aber schon nicht mehr up to date: Im Jahr 1493 kehrte Christoph Columbus von seiner ersten Anlandung auf dem amerikanischen Kontinent (genauer: auf den heutigen Bahamas) zurück und hat damit die Sicht auf die Welt für immer verändert. Ob Behaim das gestört hat? Wir wissen es nicht. Denn bevor 1494 der Globus vollendet und bezahlt wurde, war Behaim bereits wieder in Richtung Portugal abgereist.

     

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    Foto von National Geographic

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