So weit reisten Wikinger für Walross-Elfenbein

Stoßzähne von Walrossen waren im Mittelalter ein wertvolles Gut. Vor allem Wikinger jagten die Tiere dafür. DNA-Analysen alter Tierschädel zeigen nun, wie weit die Nordmänner für das weiße Gold segelten.

Von Nina Piatscheck
Veröffentlicht am 8. Nov. 2024, 08:47 MEZ
Drei Walrosse auf dem Eis.

Heute ist die Jagd auf Walrosse weitestgehend verboten, doch die großen Zähne waren lange eine weit gehandelte Ware – besonders im Mittelalter, als Elfenbein von Elefanten rar wurde.

Foto von Silver/stock.adobe.com

Im Mittelalter handelten in Europa und im Nahen Osten viele Kaufleute exotische Waren. Besonders beliebt damals: Elfenbein, das zu Kämmen, Schachfiguren und anderen Luxusgütern verarbeitet wurde. Dabei wurden nicht nur die Stoßzähne von Elefanten verarbeitet – sondern auch die von Walrossen. 

Gehandelt und beschafft wurde das weiße Gold damals oft von Wikingern. Nach Angaben einer Studie aus dem Jahr 2019 sollen sie sogar dafür verantwortlich gewesen sein, dass Walrosse in Island ausstarben. Eine neue Studie zeigt nun, dass die Wikinger noch deutlich weitere Wege unternahmen, um an die Stoßzähne zu kommen: „Die Wikinger legten regelmäßig etwa 6.000 Kilometer bis Pikialasorsuaq im Nordwesten Grönlands zurück, eine Region, die von rauen klimatischen Bedingungen geprägt ist“, sagt Morten Tange Olsen, Meeresbiologe und Genetiker an der Universität Kopenhagen und einer der Autoren der Studie. „Die Reise nahmen sie wohl nicht aus Abenteuerlust auf sich – sondern für diese wertvolle Ware, die sie nach Nordeuropa und in andere Teile der Welt brachten.“ Bisher waren Archäolog*innen von kleineren Entfernungen bei der Beschaffung ausgegangen.

Die „Walross-Elfenbein-Straße“

An der interdisziplinären Studie, die im Fachmagazin Science Advances erschien, arbeiteten Archäolog*innen, Biolog*innen und Genetiker*innen aus Schweden, Dänemark und den Niederlanden zusammen. Sie untersuchten hauptsächlich DNA-Proben von Walross-Schädeln, die bei Ausgrabungen in Wikingerdörfern in Europa sowie in Siedlungen in Grönland und Kanada gefunden wurden. Die DNA-Sequenzen lieferten den Forschenden Rückschlüsse auf den Herkunftsoft der Walrosse – und damit auch eine Karte der Handelsroute.

Karte mit eingezeichnetem Weg der Straße.

Die Wikinger siedelten in Grönland und auf Island. Über diese Siedlungen kamen Walross-Stoßzähne nach Europa und über die Grenzen des Kontinents hinaus bis nach Asien.

Foto von  E. J. Ruiz-Puerta et al.

Die Forschenden sprechen in ihrer Studie von einem „Domino“-Modell: Nach und nach hätten die Nordmänner leichter zugängliche Walrosspopulationen bejagt und dezimiert, um den boomenden europäischen Elfenbeinhandel zu bedienen. Die Suche nach neuen Walrosspopulationen habe die nordische Expansion in den Nordwestatlantik vorangetrieben, einschließlich der anfänglichen Kolonisierung Islands und der Gründung nordischer Siedlungen in Südwestgrönland. 

Die Studie zeigt jedoch noch mehr als eine mittelalterliche Walross-Elfenbein-Straße: Die Wikinger hatten wahrscheinlich mehr Kontakt mit der indigenen arktischen Bevölkerung als bisher angenommen. Zeitlich und räumlich habe sich das Jagdgebiet mit dem von frühen grönländischen und kanadischen Kulturen überlappt. Auch das zeigen die Genanalysen der Schädel. „Diese interkulturellen Interaktionen der Völker signalisieren den Beginn der frühen Globalisierung“, heißt es in der Studie. Die Autor*innen ziehen sogar eine Parallele zur Seidenstraße, die sich im selben Zeitraum durch das mittelalterliche Eurasien erstreckte. So belegt die Studie nach Angaben des Forschungsteams erneut, dass Wikinger dazu beitrugen, ein globales Handelsnetzwerk aufzubauen, das über die Grenzen Europas hinaus reichte. 

Walrosse werden bis heute gehandelt

Der Handel mit Walross-Elfenbein ebbte erst ab, als durch die Kolonialisierung plötzlich wieder vermehrt Elfenbein von Elefanten „zur Verfügung“ stand. Heute ist es nur noch manchen indigenen Völkern in der Arktis gestattet, Walrosse zu töten. Teilweise wird diese Erlaubnis jedoch weiter verkauft: Im Internet findet man buchbare Reisen wie „Walrossjagd in Kanada mit den Inuits“. Kostenpunkt: rund 10.000 Euro pro Person.

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