Wie diese Frauen Pilze zum Hype machten
Beatrix Potter, bekannt für Kinderbücher wie Die Geschichte von Peter Rabbit, war eine regelrechte Pilzfanatikerin. Sie dokumentierte etwa 350 Pilzarten in ihren Werken.
Sie sind wunderschön, grausam, köstlich und tödlich: Pilze haben diverse Eigenschaften. Sie gehören zu den geheimnisvollsten und faszinierendsten Organismen auf unserem Planeten – und haben während der Corona-Pandemie einige Beliebtheitspunkte dazugewonnen. Die Erntezahlen von Speisepilzen sprechen für sich: 2020 und 2021 wurden in Deutschland so viele Pilze geerntet wie selten zuvor.
Heute muss man nicht einmal im Wald unterwegs sein, um einen Pilz zu entdecken: Ob als Schmuckstück, Wohnaccessoire, Ernährungstrend oder nachhaltiger Baustoff – Pilze haben längst unseren Alltag erobert. Zu verdanken haben wir den Pilztrend keinem Ernährungscoach oder Nachhaltigkeitsberater, sondern Frauen. Das sind ihre Geschichten.
Die ersten „Mushroom Ladies“
Bereits im 19. Jahrhundert gab es pilzbegeisterte Frauen, darunter Mary Elizabeth Banning, Beatrix Potter, Anna Maria Hussey und Marie-Anne Libert. Trotz aller Belastungen durch Haushalt und Familie und trotz der Hindernisse, die ihnen von wissenschaftlichen Einrichtungen in den Weg gelegt wurden, entdeckten und dokumentierten diese Frauen Pilzarten auf eigene Faust.
Obwohl Mary Elizabeth Banning (1822 - 1903) damit beschäftigt war, sich um ihre alte Mutter und ihre kranke Schwester zu kümmern, nahm sie sich die Zeit, um in den Wäldern nach Pilzen zu suchen. Sie sammelte Pilze in ganz Maryland und erstellte einen beeindruckendes Register ihrer Funde, inklusive 175 Aquarellabbildungen und Beschreibungen. Einige ihrer beschriebenen Arten waren sogar neu für die Wissenschaft. Obwohl Banning häufig mit dem berühmten Mykologen Charles H. Peck korrespondierte, dem sie ihr Manuskript anvertraute, blieb ihr Werk zunächst unbekannt. Erst 100 Jahre nach ihrem Tod wurde es entdeckt – und wird heute im New York State Museum in Albany ausgestellt.
Mary Banning war eine autodidaktische US-amerikanische Mykologin, die bei ihren Streifzügen durch die Wälder Marylands rund 23 neue Pilzarten entdeckte.
Mary Bannings sorgfältige Pinselstriche fangen die Textur des Fransigen Wulstlings (Amanita strobiliformis) ein, der seinen Namen vom lateinischen Wort für Pinienzapfen hat.
Die leuchtend rote Farbe von Histilina hepatica färbte Mary Bannings Finger, als sie die Art zum ersten Mal auf „alten Baumstümpfen“ in Maryland entdeckte.
Von Kinderbüchern zu Pilzzeichnungen
Helen Beatrix Potter (1866 - 1943) ist vor allem für ihre Illustrationen und Kinderbücher wie Die Geschichte von Peter Rabbit bekannt. Was die meisten Menschen nicht wissen: Auch sie war eine der ersten „Mushroom Ladies“. Auf Familienreisen ins schottische Hinterland fertigte Potter 350 Bilder von verschiedenen Pilzen und Flechten an.
Obwohl ihr Interesse an Pilzen zunächst aus Wertschätzung für deren Komplexität und Schönheit erwuchs, vertiefte sich Potter bald mehr in die wissenschaftliche Mykologie. Sie fertigte immer detailliertere Bilder an – darunter sogar mikroskopische Darstellungen von Pilzsporen –, die von anderen Pilzliebhabern zur Identifizierung verwendet wurden. Potter wurde sogar zum Studium der Mykologie an den Royal Botanical Gardens in Kew, London, zugelassen und reichte eine Forschungsarbeit bei der Linnean Society of London ein. Leider wurde ihr die Teilnahme am üblichen Verfahren und die Präsentation ihrer Arbeit untersagt, weil sie eine Frau war.
Während Anna Maria Husseys (1805 - 1853) astronomiebegeisterter Ehemann hinauf in den Himmel schaute, blickte seine Frau als angehende Mykologin lieber auf den Waldboden hinab. Mit drei Kindern zuhause bewies sie, dass Frauen weit mehr als nur Hausfrau sein können – und verdiente mit dem Verkauf ihrer Pilzillustrationen sogar ihr eigenes Geld. Doch auch sie stieß an die Grenzen des damaligen Systems: Obwohl Hussey eine der ersten Frauen war, die an wissenschaftlichen Tagungen teilnehmen durfte, musste sie häufig Texte unter dem Namen ihres Mannes veröffentlichen. Schließlich konnte sie ihr Buch Illustrations of British Mycology, in dem sie neben Tipps zur Bestimmung von Pilzen auch Vorschläge zur Zubereitung von Speisepilzen machte, unter ihrem eigenen Namen verkaufen.
Illustrations of British Mycology ist ein farbenfroh illustriertes Buch von Anna Maria Hussey. Unter den Darstellungen befindet sich unter anderem diese von Agaricus mutabilis, einer Art, die ihre Farbe verändern kann.
Wer sich mit der Kartoffelfäule auskennt, die die Große Hungersnot in Irland zwischen 1845 und 1849 ausgelöst hat, kennt vielleicht auch Marie-Anne Libert (1782 - 1865). Die Deutsche war eine der ersten, die den pilzartigen Mikroorganismus identifizierte, der die Pflanzenkrankheit auslöst. Libert stammte aus einer kinderreichen Familie, ihr Vater war schon früh von ihrem akademischen Potenzial überzeugt. Obwohl Frauen zu dieser Zeit nicht zum Studium zugelassen waren, sorgte ihr Vater dafür, dass sie eine Ausbildung erhielt. Dank seiner weisen Voraussicht und Liberts Beharrlichkeit im Studium der lateinischen Sprache und wissenschaftlicher Pflanzenliteratur, wurde sie die zweite Frau, die eine Pilztaxonomie benennen konnte. Außerdem entdeckte sie im Laufe ihres Lebens über 200 neue Taxa.
Trotz aller Hindernisse haben sie nicht nur die Mykologie vorangebracht, sondern auch dazu beigetragen, dass Pilze bis heute so beliebt sind. Und ihr Werk ist noch längst nicht vollbracht: Wissenschaftler*innen schätzen, dass es weltweit zwischen 2,2 und 3,8 Millionen Arten gibt – von denen bisher jedoch weniger als 10 Prozent wissenschaftlich beschrieben sind. Ein Aufruf also an alle Nachwuchs-Pilzsammlerinnen (und Pilzsammler): Es gibt noch viel zu entdecken.
Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht und von der Redaktion leicht gekürzt und um eine deutsche Information ergänzt.