Magie der Feiertage: Warum Weihnachtstraditionen so wichtig sind
Weihnachten markiert nicht nur den Jahresabschluss, sondern eine magische Zeit voller Rituale. Warum sind diese Feste für Menschen so wichtig?
Kinder verstehen die Magie hinter Weihnachten sofort - doch auch für Erwachsene kann diese Zeit etwas Besonderes sein.
Weihnachten wird in christlich geprägten Gesellschaften, aber auch in säkularen Kontexten oder als kulturelles Fest in Ländern mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen gefeiert und ist für viele ein besonderes Fest im Jahresverlauf. Heute geht es dabei längst nicht mehr nur um religiöse Inhalte – vielmehr stehen Familie, Nächstenliebe und Tradition im Mittelpunkt. Doch warum üben Traditionen eine so starke Anziehungskraft auf uns aus? Und warum scheinen sie in unsicheren Zeiten sogar noch an Bedeutung zu gewinnen?
Die Antwort ist relativ einfach: In einer Welt, die von Krisen, Konflikten und Zukunftsängsten geprägt ist, bieten Traditionen mehr als nur eine Auszeit vom hektischen Alltag. Sie schaffen Stabilität und vermitteln ein Gefühl von Sicherheit und Zusammenhalt. Doch welche psychologischen Mechanismen stecken hinter dieser beruhigenden Wirkung von Ritualen und Traditionen?
Die Sehnsucht nach Struktur und Vertrautheit
Ganz kurz und knapp: „Kultur braucht Struktur“, betont Prof. Dr. Claus-Christian Carbon, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre an der Universität Bamberg. In einer Zeit, in der viele Kulturaspekte wie soziale Interaktionen, Kommunikation und sogar politische Ausrichtungen neu verhandelt oder faktisch neu definiert werden, würden sich viele Menschen vor allem nach bekannten und vertrauten Konstanten sehnen. Laut Carbon können „etablierte Feste, klar definierbare und erwartbare Ereignisse sowie Erinnerungen an ‚bessere Zeiten‘ hilfreich sein, um Halt zu bekommen.“
Weihnachten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da es sich auch um das Ende des Jahres handelt. An den Feiertagen weiß man, wie das Jahr zu Ende geht, sei es noch so unübersichtlich und fordernd gewesen. Eine Studie aus 2018 zeigt, dass für viele Menschen das Wohlbefinden schon in der Vorweihnachtszeit stetig ansteigt. Einziger Haken: Der Vorweihnachtsstress. Doch auch der kann fast schon zu einer Art Tradition werden.
Der Ursprung von Weihnachten: Die Geschichte von Jesus, Maria und Josef.
Mehr als nur Nostalgie: Erwartbares als psychologische Stütze
In der Weihnachtszeit dreht sich alles um Traditionen. Und um Nostalgie. Wobei letztere hierbei viel mehr als nur ein netter Gedanke an vergangene Tage ist. Die Vorfreude auf etwas Erwartbares, etwas Wiederkehrendes kann eine enorme Sicherheit ausstrahlen. Die gleiche Dynamik entsteht zum Beispiel beim Phänomen „Comfort Binge“, bei dem die gleiche Serie oder der gleiche Film immer und immer wieder geschaut wird. Daniela Schlütz, Medienwissenschaftlerin an der Filmuniversität Babelsberg, erklärt gegenüber dem Deutschlandfunk: „Wir schauen die Serie hauptsächlich deswegen, um uns in einer gewissen Sicherheit zu wiegen, eine gewisse Vertrautheit zu spüren. Wir wissen ja, was kommt.“
Und auch Psychologe Carbon erkennt dieses Verhalten, wenn es um Weihnachten geht: „Es geht nicht nur um eine Rückbesinnung, sondern tatsächlich um Erwartbares. Menschen suchen nach Bewährtem und Vertrautem, da es Sicherheit und Struktur bieten kann“. Die Erinnerungen an unbeschwerte Kindheitserlebnisse kämen zwar auch dazu, doch viel entscheidender sei die Vorhersagbarkeit der Traditionen. „Vor allem, wenn wir unter Druck geraten, wollen wir nichts Neues, sondern etwas Gewohntes“. Routine sei beruhigend und schaffe die Basis für eine stabile Lebensgestaltung, gerade in unsicheren Zeiten. „Wir Menschen sind zwar nicht dauerhafte Gewohnheitstiere, doch neigen wir sehr wohl dazu, wenn es um Struktur, Vertrautheit und Vorhersagbarkeit geht.“ Eine solche Vorhersagbarkeit sichere vor allem die Tradition - wie ein wiederkehrender Anker im Leben.
Die Quelle der Stabilität: Traditionen in der Weihnachtszeit
„Traditionen kennt man, man kann sich einstellen, was passieren wird“, erläutert Carbon. Das gemeinsame Backen von Plätzchen, das Anschauen der immer gleichen Filme und das traditionelle Weihnachtsessen – all das schafft ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Stabilität. Der Psychologie-Professor warnt jedoch, dass diese Traditionen flexibel bleiben sollten, um sich neuen Gegebenheiten und veränderten Familienkonstellationen anzupassen: „Traditionen sind wunderbar, wenn sie trotz ihrer Struktur eine gewisse Flexibilität erlauben“. Er weist darauf hin, dass starre Traditionen zu unguten Spannungen führen können, insbesondere wenn sie als Einschränkung der Autonomie empfunden werden. Auch könne ein Unverständnis gegenüber anderen, fremden Traditionen ein Problem sein. Er macht darauf aufmerksam, dass„Traditionen auch dazu da sind, überdacht und bei Gelegenheit angepasst zu werden.“
Heute stellt man immer noch Weihnachtskrippen auf - als Dekoration.
Weihnachten: Eine Chance zur Reflexion und zum Perspektivwechsel
Traditionen sind also ein immer bedeutsamerer Teil rund um die Feiertage. Der ursprüngliche religiöse Gedanke zu Weihnachten rückt dagegen immer mehr in den Hintergrund. „Weihnachten hat lange schon die dominierende religiöse Bedeutung verloren. Solche Feste, Auszeiten und besondere Ereignisse sind mittlerweile vor allem wichtig, um Dinge hinterfragen, Perspektiven wechseln und um den Standardmodus des Alltags verlassen zu können.“ Sie bieten eine Gelegenheit zur Reflexion und zur Stärkung sozialer Bindungen, die weit über den religiösen Aspekt des Festes hinausgeht. Weihnachten ermögliche es uns, eine Pause einzulegen und unser Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten, was zur emotionalen und mentalen Stabilität beitrage. Aus psychologischer, sozialer und kultureller Sicht bewertet Carbon Feste wie Weihnachten als enorm bedeutungsvoll für die Gesellschaft. Zu der Entschleunigung kommt ein weiterer elementarer Aspekt: die Magie der Weihnacht. Ob Christkind, Weihnachtsmann oder fliegende Rentiere – das Weihnachtsfest beinhaltet magische Wesen und Erklärungen wie wohl kein anderer Feiertag.
Die Anziehungskraft des Übernatürlichen: Magie als Trost
Obwohl wissenschaftliche Fortschritte viele Bereiche des Lebens erklärbar gemacht haben, gebe es immer noch eine „nicht fassbare Restmenge von Phänomenen“, wie Carbon es beschreibt. Es gehe um Glauben, jedoch nicht rein um Religion, sondern auch um Wirkmechanismen, welche die Menschen noch nicht begreifen könnten. Der Psychologe erklärt, dass die weltweite Komplexität und Unvorhersehbarkeit vieler Ereignisse Raum für magisches Denken lasse, das den Menschen helfe, die Welt zu verstehen und sich in ihr zurechtzufinden. Auch dieser Raum für Magie gebe eine Art Sicherheit, da Geschichten gesponnen werden, um das Unerklärliche erklären zu können. Durch diese Geschichten - diesen Zauber - wird man Teil von Etwas: Es geht um Zusammenhalt, darum, dazuzugehören – ob zu einer Familie, einer Gemeinschaft oder der ganzen Gesellschaft. „Die Sehnsucht nach etwas Andauerndem und Ewigen – und danach, mit der ganzen Welt und Menschheit verbunden zu sein. Überall feiern Christen die Geburt Jesu auf ähnliche Weise, unterbrechen den Alltag, feiern in der Gemeinschaft“, erklärt Theologen Harald-Schroeter-Wittke im Interview mit der Universität Paderborn die Magie von Weihnachten.
Herausforderungen für Skeptiker und Menschen in schwierigen Lebenslagen
Doch was, wenn man mit Magie, Traditionen und Feiertagen rein gar nichts anfangen kann? 80 Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen feiern Weihnachten. Jene, die Weihnachten bewusst nicht zelebrieren, empfinden es oft als übermäßig kommerziell oder fehlgeleitet. Doch auch sie schaffen sich intuitiv eigene Traditionen, die ihnen eine ähnliche Stabilität und Struktur bieten können, erklärt Carbon: „Da Menschen, die für Weihnachten aus Überzeugungsgründen nichts übrighaben, kaum von festlichen Gefühlen eingenommen werden, versuchen sie auf andere Weise, etwas Ähnliches zu erleben.“ Auch das Verreisen an Weihnachten, das Alleinsein am Weihnachtsabend könne einer Tradition ähneln.
Anders verhalte es sich bei Menschen, die aufgrund von Schicksalsschlägen oder anderen Lebensereignissen vom Feiern abgekommen sind. „Ihnen kann die Nähe, das Feierliche und die Tradition durchaus fehlen und es ist wichtig, diese Menschen nicht zu vergessen“, betont Carbon. In schweren Zeiten kann das starke Verlustgefühl die psychische Gesundheit negativ beeinflussen. „Inklusion und Ansprache können helfen, Menschen wieder in Traditionen einzubringen“, fügt er hinzu.
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