Grabplünderungen: Das Ende der Geschichte

In Ägypten, Syrien und im Irak zerstören Grabräuber das Erbe der Menschheit. Eine Spurensuche in der Schattenwelt des globalen Antikenhandels.

Von Tom Mueller
bilder von Robert Clark
Foto von Robert Clark

Zusammenfassung: Stein-Buddhas aus Indien, Terrakotta-Reiter aus China, Reliefs aus dem Irak: Der illegale Antikenhandel hat inzwischen industrielle Ausmaße erreicht. Besonders in den Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens boomt die Grabräuberei. Die Diskussion um die Lösung des Problems ist festgefahren. Möglich wären Antiken-Datenbanken und detaillierte Herkunftsnachweise. Beenden lässt sich die Grabräuberei aber erst, wenn Schmuggler, Händler und Sammler den ideellen Wert der Objekte erkennen.

Schicke Perücke, starrer Blick. Die ältere Dame, die regungslos auf dem hell erleuchteten Untersuchungstisch von Sarah Parcak liegt, scheint der Professorin zu gefallen. „Hervorragender Zustand ... äußerst gut erhalten ...“, murmelt Parcak, die sich tief über ihre Patientin gebeugt hat und Gesicht, Oberkörper und Beine mustert. Ein Bild von einer Frau – aufgemalt auf den Deckel eines ägyptischen Sarkophags.

Sarah Parcak, Ägyptologie-Professorin an der Universität von Alabama, entdeckt unter anderem Symbole des Fruchtbarkeitsgottes Amun und Zaubersprüche aus dem ägyptischen Totenbuch. „Und hier steht ihr Name und Titel“, sagt sie, „Schesepamuntajescher, Herrin des Hauses. Indem ich den Namen laut verlese, erfülle ich ihren Wunsch, dass man sich nach ihrem Tod an sie erinnern möge.“

Die ägyptische Edelfrau starb vor etwa 2600 Jahren. Ihre mumifizierte Leiche wurde einst in drei ineinander geschachtelten Sarkophagen bestattet. Parcak untersucht den innersten Totenschrein und deutet auf einen frischen Schnitt, der quer über die Oberschenkel des Abbilds der Dame führt. Ein Hinweis auf ein schlimmes Verbrechen.

Kriminelle hatten den Sarkophag bei illegalen Ausgrabungen in Ägypten entdeckt, außer Landes gebracht und dann in vier Teile zerschnitten, um ihn per Luftpost in die USA zu schicken. Dort setzte ein Restaurator das Objekt wieder zusammen. Monate später fanden amerikanische Zollfahnder den Sarkophag in der Wohnung eines New Yorker Antikenhändlers.

TED-Talk-Video: Die von NG geförderte Archäologin Sarah Parcak entwickelt eine neue Plattform, über die dank Satellitenbilder archäologische Stätten überwacht, geschützt und dokumentiert werden können:

Nun wird er dort in einem geheimen Lagerhaus aufbewahrt – gemeinsam mit historischem Raubgut aus der ganzen Welt, das von US-Behörden beschlagnahmt wurde. Ein riesiger Stein-Buddha aus Indien, Terrakotta-Reiter aus China, Reliefs aus dem Irak, Syrien und dem Jemen – das Zolllager wirkt wie ein Altertumsmuseum und zeugt von dem Ausmaß des illegalen Antikenhandels. Auf der ganzen Welt tobt ein Kampf um das kulturelle Erbe der Menschheit.

In den Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens boomt die Grabräuberei. Der „Islamische Staat“ (IS) zerstört nicht nur bewusst uralte, mesopotamische Kultstätten in Syrien und im Irak, es gibt auch Hinweise, dass sich Terrororganisationen durch illegalen Antikenhandel finanzieren. In Indien schrecken Tempelräuber derweil selbst vor Mord nicht zurück, in Bolivien werden alte Kirchen geplündert, in der chinesischen Provinz Liaoning sind die Grabräuberbanden bisweilen hundert Mann stark.

Der illegale Antikenhandel hat industrielle Ausmaße erreicht und durchwühlt unsere Vergangenheit wie ein Schaufelradbagger. Wie bei vielen Verbrechen ist der Schaden schwer zu beziffern. Satellitenbilder, Fahndungserfolge der Polizei und Berichte von Augenzeugen deuten jedoch darauf hin, dass der Handel mit gestohlenen Artefakten weltweit floriert.

Um das Ausmaß der Plünderungen und Zerstörungen in Ägypten besser beurteilen zu können, analysiert Sarah Parcak auch Satellitenaufnahmen. Nach ihren Erkenntnissen ist bereits ein Viertel der 1100 bekannten archäologischen Stätten des Landes stark beschädigt. „Wenn die Zerstörung so weitergeht wie bisher, werden bis zum Jahr 2040 alle bekannten Stätten in Ägypten betroffen sein“, sagt Parcak. „Es bricht einem das Herz.“

In den vergangenen 20 Jahren hat eine Reihe spektakulärer Gerichtsprozesse und Rückführungen von Kulturgütern ein Schlaglicht auf die dunklen Seiten des Antikenhandels geworfen.

Im Jahr 2002 verurteilte ein US-Bundesgericht zum Beispiel den prominenten New Yorker Händler Frederick Schultz wegen Hehlerei von ägyptischen Kunstschätzen zu 33 Monaten Haft. Und das Metropolitan Museum of Art gab 2006 auf Drängen der italienischen Regierung den berühmten „Euphronios Krater“ zurück – einen Kelch, der aus einem etruskischen Grab in der Nähe von Rom stammt. Klar ist: Es gibt eine globale kriminelle Organisation von Raubgräbern und Händlern, die Artefakte illegal an Galerien und renommierte Museen verkauft.

Derzeit ist die Debatte darüber, wie man den Zerstörungen endlich Einhalt gebieten könnte, allerdings festgefahren. Während Archäologen den Handel mit Antiken für die Plünderungen verantwortlich machen und behaupten, bei einem Großteil der käuflichen Kunstschätze handele es sich um Diebesgut, beharren viele Sammler, Anbieter und Museumskuratoren darauf, dass die meisten Transaktionen legal ablaufen. Es gibt sogar Experten, die kein Problem darin sehen, mit Grabräubern zusammenzuarbeiten – um das kulturelle Erbe der Menschheit zu bewahren, müsse man die Antiken aus chaotischen Krisenregionen ausführen.

Vielleicht kann die ägyptische Edelfrau Schesepamuntajescher etwas zur Lösung des Problems beitragen. Der Sarkophag erzählt nicht nur faszinierende Details über den Alltag vor 2600 Jahren. Gemeinsam mit Ägyptologen, Kuratoren und Ermittlern versuche ich, seinen Weg aus Ägypten nach New York nachzuvollziehen.

Dabei stoßen wir auf ein Netzwerk von Arbeitern, Schmugglern, Spediteuren und Händlern, die mit dem Verkauf der Vergangenheit viel Geld verdienen.

In einem ersten Schritt versuchen wir, den mutmaßlichen Ursprungsort der Mumie zu identifizieren. Aus Hieroglyphen und dem Malerei-Stil folgern Ägyptologen der Universität von Pennsylvania, dass sie um 600 v. Chr. gelebt haben muss. Eine Recherche in Fachbüchern und auf Antiken-Websites ergibt, dass in Abu Sir al Malaq, etwa 100 Kilometer südlich von Kairo, ein ähnlicher Sarkophag von einer Frau mit diesem ungewöhnlichen Namen gefunden wurde.

Vor langer Zeit war Abu Sir eine florierende Stadt am Westufer des Nils unweit der Oase Fayum und für den Osiris-Tempel, des Gottes der Fruchtbarkeit und des Jenseits, und die prachtvollen, alten Gräber bekannt. Heute sieht die Gegend aus wie ein zerbombtes Schlachtfeld. Plünderer haben die Sandhügel mit Schaufeln, Baggern und Dynamit bearbeitet und unzählige Gräber zerstört. Überall sieht man Krater, Schächte und ein makaberes Geröllfeld aus Schädeln und Knochenteilen.

Amal Farag, die im ägyptischen Antikenministerium für Abu Sir zuständig ist, führt mich durch die Grabungsstätte. Fünf Sicherheitsleute mit Kalaschnikows begleiten uns. Farag, eine schlanke, 49 Jahre alte Frau mit freundlichen Augen und einem harten Zug um den Mund hebt ein paar Zedernholzstücke mit roten Pigmentspuren auf – Überbleibsel uralter Sarkophage. „Die Plünderer nehmen nur gut erhaltene Stücke mit“, sagt sie, „der Rest wird zertrümmert oder entsorgt. Für jedes gut erhaltene Artefakt werden Hunderte anderer Objekte zerstört.“

Farag zeigt mir einen Schacht an einem Hang, der schräg hinab in eine dunkle Grabkammer führt. An dieser Stelle hatte sie 2012 einmal drei Plünderer auf frischer Tat ertappt. Bei einem Routinebesuch mit einer Kollegin war ihr ein Taxi in der Nähe des Grabes aufgefallen. Als die beiden Beamtinnen näher kamen, standen sie plötzlich drei großen, muskulösen Männern gegenüber. „Lass dir deine Angst nicht anmerken“, sagte Faraq zu ihrer Kollegin: „Zeige ihnen, wie stolz du bist.“ Die Taktik funktionierte. Die Männer starrten sie wortlos an, stiegen dann in das Taxi und rasten davon.

Farag führt mich in die Gruft und zeigt mir die Stelle, an der sie damals zwei prächtige Sarkophage entdeckte, die die Plünderer unter einer Decke verborgen hatten. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen, erkenne ich viele Nischen und Tunnel, die in die Felswände geschlagen wurden und tiefer in den Hang hinein zu weiteren Kammern führen.

Vielleicht lag Schesepamuntajescher in einem ganz ähnlichen Grab, bevor ihre Ruhe gestört wurde. Vielleicht hatte man ihr Dinge mitgegeben, die ihr zu Lebzeiten wichtig gewesen waren: Schmuck, Papyri mit Zaubersprüchen oder kunstvoll verzierte Truhen. Und vielleicht lagen ihre Vor- und Nachfahren in den Nischen daneben.

Würden Forscher auf ein solches intaktes Familiengrab stoßen, wäre der Fund nicht nur von unschätzbarem Wert, sondern würde auch einen faszinierenden Blick in die Vergangenheit eröffnen. Zwar ist auch der einzelne Sarg, der brutal aus der Ruhestätte und dem historischen Kontext gerissen wurde, aufgrund der Bemalung und der Hieroglyphen von Interesse für die Wissenschaft. Aber es macht einen Unterschied ob man eine einzelne Seite liest, die aus dem Buch gerissen wurde, oder den vollständigen Text in einer großen Bibliothek studieren kann.

Farag und ihre Kollegin schleppten die beiden Särge damals aus dem Grab und luden sie auf ihren Wagen, um sie an einen sicheren Ort zu bringen. Auf dem Weg zurück zum Ministerium wurden sie von einem Auto verfolgt, das so dicht auffuhr, dass sich die Stoßstangen berührten. Die beiden Frauen entkamen an einer Kreuzung, als ein Lastwagen den Verfolgern den Weg abschnitt.

Als wir aus dem Grab steigen, beobachten die Wachmänner die umliegenden Felder und Häuser genau, die Waffen haben sie immer griffbereit. Die lokalen Dorfbewohner, erklärt Farag, fühlen sich der antiken ägyptischen Kultur nicht verbunden und plündern die Vergangenheit, um ihr Überleben in der Gegenwart zu sichern.

Dieses Problem existiert in vielen Ländern, die sowohl archäologische Stätten als auch wirtschaftliche Probleme haben. Arme Bauern und Arbeiter graben auf eigene Rechnung und für wenig Geld nach historischen Schätzen. Schon während der globalen Wirtschaftskrise 2009, die Ägypten hart traf, entdeckten immer mehr Ägypter das Plündern als Einnahmequelle – das legt die Analyse von Satellitenaufnahmen von Sarah Parcak nahe. Als die Regierung nach der Revolution 2011 dann auch noch die Sicherheitskräfte von archäologischen Stätten abzog, verstärkte sich das Problem dramatisch.

Der Beruf des Grabräubers hat eine lange Tradition. Das erste entsprechende Urteil wurde schon 1113 v. Chr. im ägyptischen Theben gesprochen. Der Steinmetz Amenpanefer hatte mit seinen Komplizen alte Felsgräber ausgeplündert. Die Männer wurden hingerichtet – vermutlich durch Pfählung. Auch feindliche Armeen erbeuteten ägyptische Antiken. Die römischen Eroberer verschifften ganze Obelisken über das Mittelmeer.

Und seit Ägypten im 16. Jahrhundert unter der Herrschaft fremder Machthaber stand, wurden unzählige Artefakte verschenkt, verkauft oder gewaltsam außer Landes gebracht. Die ägyptischen Behörden gestatteten ausländischen Archäologen im Rahmen offizieller Vereinbarungen, einige der Fundstücke zu behalten. Es gab zugelassene Händler in Kairo, Luxor und anderen Orten, die Artefakte an Reisende verkauften.

Die meisten Transaktionen wurden nicht dokumentiert. Obwohl es schon damals Gesetze zum Schutz von Antiken gab, musste sich das Bewusstsein für die Bedeutung des kulturellen Erbes – und das Unrechtsbewusstsein der Plünderer – erst entwickeln.

Mit dem Ende der Kolonialreiche änderte sich seit den 1950er-Jahren die Situation in Ägypten und anderen Ländern. Von einem neuen Nationalgefühl beseelt, stärkten viele Staaten bestehende Gesetze oder erließen strengere Regeln zum Schutz ihrer Kunstschätze. 1983 erklärte Ägypten alle Gegenstände, die von kultureller Bedeutung oder älter als hundert Jahre sind, zu Staatseigentum. Im Jahr 1970 verabschiedete die Unesco das „Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut“, das bis heute 131 Länder unterzeichnet haben.

Aber der Handel mit Antiken geht weiter.

Etwas südlich von Abu Sir bin ich mit Mohammed Youssef verabredet, dem Direktor für die Grabungsstätten des Mittleren Reiches in el-Lischt und Dahschur. In den chaotischen Monaten nach der Revolution wurden die Stätten von Plünderern verwüstet, die schweres Gerät nutzten und auch vor dem Einsatz von Schusswaffen nicht zurückschreckten. Youssef zeigt mir ein Felsengrab, an dem er damals einen Streit von Räubern über zwei herrliche Sandsteinreliefs beobachtet hatte. „Als wir näher herankamen, schossen die Männer mit ihren Maschinengewehren in die Luft. Sie hatten überhaupt keine Angst vor uns“, sagt Youssef. Erst als die Gangster abgezogen waren, gelang es seinem Team, die Reliefs zu bergen.

Wenn Länder in Chaos und Gewalt versinken, gibt es nur noch ein Gesetz: das Recht des Stärkeren. Schon während des Bürgerkrieges in Kambodscha wurden die Plünderungen von Ausgrabungsstätten meist von den Roten Khmer und anderen militärischen Gruppen kontrolliert. Aktuell verlangt der IS in Syrien von Grabräubern eine Gewinnbeteiligung, Gruppen, die mit der Armee des Diktators al-Assad oder Rebellenmilizen verbündet sind, gehen ganz ähnlich vor.

In Ägypten, erklärt Ahmed Abdel Zaher, Einsatzleiter der Antiken-Polizei, ist das Grabräuber-System aufgebaut wie eine vierstufige Pyramide. Die Basis, insgesamt wohl drei Viertel der beteiligten Personen, besteht aus armen Dorfbewohnern, die ihre Arbeitskraft und ihr Wissen über die Ausgrabungsstätten anbieten. Auf der zweiten Stufe befinden sich Mittelsmänner, die Arbeiter in Teams einteilen und ihnen die Ware abkaufen. Die Männer auf der dritten Ebene, so Abdel Zaher, schmuggeln die Antiken außer Landes.

An der Spitze der Pyramide befinden sich die reichen Käufer. Je weiter oben in der Pyramide man sich befindet, desto mehr Geld hat man. Die Mittelsmänner auf der zweiten Ebene verkaufen das Raubgut angeblich zum Zehnfachen des Preises weiter, den sie den Arbeitern vor Ort zahlen. „Das sind Profis“, sagt Abdel Zaher. „Neben Antiken handeln die noch mit ganz anderen Dingen.“ Bei mehreren Razzien in der Szene fand die Polizei auch Drogen. In instabilen Regionen wird die heiße, alte Ware häufig über die Netzwerke von Waffenhändlern transportiert.

Die Antikenschmuggler in Ägypten nutzen mehr als 50 Häfen, Flughäfen und Landstraßen. Weil der Sarkophag von Schesepamuntajescher in einem Möbelcontainer von Dubai in die USA versandt wurde, beschließe ich, die Hafenstadt Damiette zu besuchen, wo einer der wichtigsten Containerhäfen Ägyptens liegt und reger Handel mit Dubai betrieben wird. Die Stadt gilt außerdem als Zentrum der Möbelindustrie Ägyptens.

Erst kürzlich hatten die Hafenbehörden hier mehrere Frachtcontainer beschlagnahmt, in denen illegale Antiken versteckt waren. Von Kairo aus sind es nur 240 Kilometer bis nach Damiette, trotzdem bin ich fast fünf Stunden unterwegs. Am Abend vorher hatten Aufständische vor meinem Hotel zwei Polizisten getötet. Die Sicherheitsvorkehrungen sind scharf, es gibt Straßensperren. Ich beobachte den endlosen Strom von Lastwagen, der die Kontrollpunkte passiert. Die Trucks sind bis oben hin mit Zwiebeln, Melonen, Hühnerkäfigen und Wollballen beladen. In jedem der Fahrzeuge hätte man Schesepamuntajescher verstecken können.

Bei ihrem Zwischenstopp in Dubai hinterließ die ägyptische Edelfrau deutliche Spuren. Aus E-Mails, Zollerklärungen und Schiffsladungslisten schlossen US-Ermittler, dass drei Männer am Transport der Sargteile von Dubai in die USA beteiligt waren: Mousa Khouli, ein in Syrien geborener Antikenhändler aus New York, arbeitete mit zwei Jordaniern zusammen. Salem Alshdaifat lebt im US-Bundesstaat Michigan, Ayman Ramadan in Dubai.

Aus Prozessunterlagen wird deutlich, dass Alshdaifat zunächst Fotos des Sarkophags an Khouli geschickt hatte. Ramadan versandte dann die vier Teile unter falschen Angaben an den New Yorker Khouli und einen Münzsammler aus Connecticut. Von dort reiste Schesepamuntajescher weiter nach Virginia. Khouli hatte den Sarkophag an den amerikanischen Sammler Joseph Lewis verkauft. Aber nur weil der Weg des Sarkophags rekonstruiert werden kann, heißt das nicht, dass die Schuldigen auch alle bestraft wurden.

Im Mai 2011 wurden Lewis, Khouli und ihre Komplizen wegen Schmugglerei und Geldwäsche angeklagt. Knapp drei Jahre später mussten die Ermittler das Verfahren einstellen. Lewis streitet alle Vorwürfe ab und besteht darauf, dass er die Objekte ja von einem amerikanischen Händler legal erstanden hatte. Mousa Khouli bekannte sich am Ende der Schmugglerei und der Falschaussage schuldig und wurde zu sechs Monaten Hausarrest verurteilt. Obwohl E-Mails zwischen Alshdaifat und potenziellen Kunden andeuten, dass er über Plünderungen in Ägypten informiert war, gestand er nur eine Ordnungswidrigkeit und zahlte 1000 Dollar Strafe.

Ramadan, der laut Erkenntnissen der US-Einwanderungs- und Zollbehörde in Syrien, Jordanien und Libyen aktiv war, ist auf der Flucht. Brenton Easter, der Sonderermittler der US-Zollbehörde in dem Fall, musste feststellen, dass die internationalen Netzwerke der Grabräuber besser und erfolgreicher zusammenarbeiten als die Ermittlungsbehörden der einzelnen Staaten. Der Container, in dem Schesepamuntajeschers Sarkophag in die USA gelangte, wurde von dem Unternehmen Amal Star Antiques aus Dubai versandt. Besitzer der Firma soll Noor Sham sein, ein Mitglied der bekannten Antikenhändlerfamilie Sham aus Mumbai. In seinem Buch „Sotheby’s: The Inside Story“ erhebt der Journalist Peter Watson den Vorwurf, die indische Familie betreibe einen globalen Schmugglerring, der unter anderem in den 1990er-Jahren viele Tempelskulpturen aus Indien nach Großbritannien verschifft habe. Mehrere bedeutende Stücke wurden später bei Sotheby’s in London verkauft.

Antikes Raubgut unterscheidet sich von anderen illegalen Gütern wie Drogen oder Waffen vor allem dadurch, dass die Antiken auf dem Weg aus der Herkunftsregion an die Spitze der Schmuggler-Pyramide immer sauberer werden. Nicht nur wird Schmutz und Dreck entfernt, mit jeder Transaktion und Station wird auch die zweifelhafte Herkunft des Objekts verschleiert.

Das stellt Sammler, Händler und Museumskuratoren vor Probleme. Ohne eine detaillierte Provenienz – eine lückenlos dokumentierte Eigentümerkette – können sie sich unmöglich sicher sein, ob ein Objekt legal erworben werden kann oder ob es sich um Raubgut handelt.

Joseph Lewis ist ein geborener Sammler. Seine Mutter häufte Karaffen, Elefantenfiguren und Lockenten aus Plastik oder Holz an. Sein Vater hatte eine Leidenschaft für Schusswaffen. Lewis selbst konnte kaum laufen, als er begann, sich für Insekten zu interessieren und Ameisen in Flaschen zu sperren. In seinem 600 Quadratmeter großen Haus in Virginia bewahrt der Mann, der Schesepamuntajeschers Sarkophag kaufen wollte, die Lieblingsstücke seiner Eltern heute neben einer Insektensammlung mit 30.000 Exemplaren und vielen ägyptischen Antiken auf.

Lewis zeigt mir die wertvollen Exponate, darunter mehrere beeindruckende Sarkophage in klimatisierten Vitrinen, die auch in einem Museum stehen könnten. Als ich vor einer bemalten Holzstatue der ägyptischen Gottheit Ptah-Sokar-Osiris stehe und in ein ernstes Gold-Gesicht mit unwiderstehlichen Augen schaue, empfinde ich dieselbe Anziehungskraft, die ägyptische Antiken seit jeher auf mich ausüben.

Ich habe das eigenartige Gefühl, dass unter der prachtvollen Oberfläche etwas am Leben ist. Ich kann das unbedingte Verlangen, ein solches Kunstwerk zu besitzen, deshalb gut nachvollziehen. Als ich im Zuge der Recherche das Auktionshaus Sotheby’s besuchte, stand ich vor der schwarzen Dioritbüste eines Priesters aus der Tempelanlage von Karnak und wusste: Für 500.000 Dollar könnte sie mir gehören.

Der Sammler Joseph Lewis ist – wenig überraschend – der Meinung, der Antikenhandel solle nicht durch strengere Gesetze eingeschränkt werden. Er hat eine Vereinigung mitgegründet, die das Image der Szene verbessern soll.

Sammler, meint Lewis, würden eine ähnliche Funktion ausüben wie Museen und das Erbe der Menschheit bewahren. Er betont auch, dass viele Sammler ihr Eigentum der Forschung zur Verfügung stellten, und plädiert dafür, dass Sammler und Wissenschaftler gemeinsam ein globales Register von allen archäologischen Objekten mit geklärter Herkunft erstellen: „Was nicht auf der Liste ist, kann nicht gekauft oder verkauft werden. Fertig!“ So könne man den Antiken-Schwarzmarkt seiner Meinung nach austrocknen.

Lewis ist bei Weitem nicht der selbstbewussteste Vertreter der Sammlergemeinde. James Cuno, Präsident des J. Paul Getty Trust, einer der wichtigsten Kunstinstitutionen weltweit, hält es für einen Fehler, dass Museen in Europa und Amerika in jüngster Zeit immer wieder Objekte in unsichere Herkunftsländer zurückgeben.

Es sei nun mal die Aufgabe von Museen, die Geschichte der menschlichen Kultur zu dokumentieren und öffentlich auszustellen. Weil Kunstschätze in Konfliktgebieten häufig in Gefahr geraten, will Cuno den Kauf von Raubgut nicht von vornherein ausschließen, wenn man sie so vor der Zerstörung retten könnte. „Würden Sie auch nicht mit Terroristen verhandeln, wenn Sie dadurch Geiseln retten könnten?“, fragt er provokativ. „Nur weil man sich nicht an einem Markt beteiligt, heißt es noch lange nicht, dass der Markt auch verschwindet.“

Der Handel mit Antiken bewegt sich in Grauzonen. Es mag sein, dass durch das Geld und die Leidenschaft privater Sammler viele Meisterwerke vor der Zerstörung bewahrt wurden. Andererseits bietet die Nachfrage nach archaischen Schätzen den Plünderern ja erst einen Anreiz. Viele Akteure auf dem Markt kommen mit dieser Unsicherheit und Ambivalenz nicht klar und glauben gern die beruhigenden Geschichten, die ihnen erzählt werden. Über den Fall Schesepamuntajescher möchte Joseph Lewis nicht reden, betont aber, dass er die Sargteile erst gekauft habe, nachdem ihm Mousa Khouli einen plausibel wirkenden Herkunftsnachweis vorgelegt hatte (der Sarkophag stammte angeblich aus der Sammlung von Khoulis Vater). Mehr als vierzig Jahre nach Verabschiedung des Unesco-Kulturgut-Übereinkommens gäbe es viele gute Gründe dafür, einen detaillierten Herkunftsnachweis zur Pflicht zu machen. Doch die Privatverkäufe bei Auktionshäusern nehmen zu, und vage Herkunftsangaben wie „aus einer Schweizer Privatsammlung“ oder „Erbmasse“ sind weiterhin üblich.

Die Priesterstatue, die ich bei Sotheby’s bewundert hatte, ist ein gutes Beispiel für dieses Dilemma. Eine Woche vor der geplanten Versteigerung stellte der Archäologe Christos Tsirogiannis fest, dass das Objekt im „Schinoussa-Archiv“ auftaucht, einer Foto- und Bilddatenbank, die von einem berüchtigten Schmugglerring zusammengestellt wurde.

Dies allein ist kein Beweis dafür, dass die Statue illegal gehandelt wurde, aber dass das Auktionshaus diese Information unterschlägt, wirft Fragen auf. Sotheby’s bezeichnete die Behauptungen von Tsirogiannis als „unrichtig und unverantwortlich“. „Seit 2007 habe ich bei fast jeder größeren Versteigerung Gegenstände entdeckt, die in derartigen Verzeichnissen auftauchen“, sagt Tsirogiannis. „Aber die Auktionshäuser sind nur am Profit interessiert.“ Zwischen den 1970er-Jahren und 2011 wurden bei Christie’s und Sotheby’s zum Beispiel viele Khmer-Statuen versteigert, obwohl ganz offensichtlich die Möglichkeit bestand, dass diese aus den Dschungeltempeln Kambodschas gestohlen worden waren.

Selbst bedeutende Museen wie das Metropolitan Museum of Art erwarben damals Khmer-Statuen. „Eigentlich hätten da alle Alarmglocken der Welt losgehen müssen“, sagt Tess Davis, Anwältin und Gesch.ftsführerin der Antiquities Coalition, einer Organisation mit Sitz in Washington, D. C., die sich für den Schutz von gefährdetem Kulturgut im Vorderen Orient und Nordafrika einsetzt.

Lange Zeit hatten Sammler und Museen über das geringe Angebot an kambodschanischer Kunst in den USA geklagt. Aber als dann der mörderische Bürgerkrieg begann, erzählt Davis, sei der Markt plötzlich mit Meisterwerken aus Kambodscha überschwemmt worden. Die Kunstschätze hatten keinen Herkunftsnachweis, wiesen dafür aber Spuren brachialer Gewalt auf. „Manche Statuen wurden oberhalb der Knöchel abgesägt“, sagt Davis, „niemand konnte diese Objekte gutgläubig verkaufen oder kaufen.“

Der Kampf um das kulturelle Erbe der Menschheit geht also weiter. Aber es gibt auch hoffnungsvolle Signale. Im Jahr 2010 schuf das Bostoner Museum of Fine Arts zum Beispiel die erste Stelle für die „Kuration von Provenienz“.

2013 gab das Metropolitan Museum freiwillig zwei Khmer-Statuen zurück und zeigte an schließend eine große Ausstellung über südostasiatische Kunst, die zusammen mit der kambodschanischen Regierung organisiert wurde.

Der Sarkophag von Schesepamuntajescher wurde am 23. April 2015 zurück in ihre Heimat gebracht und ist jetzt im Ägyptischen Museum in Kairo zu sehen. Unterdessen wollen viele Museen und Sammler verstärkt mit Archäologen kooperieren und eine Antiken-Datenbank aufbauen, um Plünderungen einzudämmen. „Es ist wichtig, dass wir eine Basis zur Zusammenarbeit finden“, sagt auch die Ägyptologin Sarah Parcak, „und zwar in den Herkunftsregionen wie in den Staaten, in denen sie später gekauft werden.“

Es wäre zu wünschen, dass Grabräuber, Schmuggler, Händler und Sammler irgendwann den ideellen Wert der Objekte erkennen, die durch ihre Hände gehen. „Die Menschheitsgeschichte ist die großartigste Geschichte überhaupt“, sagt Sarah Parcak. „Und wir können sie nur richtig verstehen, wenn wir sie gemeinsam ans Licht bringen.“

(NG, Heft 08 / 2016, Seite(n) 34 bis 57)

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