Römisches Reich: Die Säule von Trajan

Aus Marmor gemeißelt und verziert mit einem Fries von 155 kunstvoll gefertigten Szenen. Die Säule Trajans ist ein Kriegstagebuch, das sich hoch über Rom erhebt und erzählt, wie der Kaiser seinen Feind vernichtete.

Von Andrew Curry
bilder von Kenneth Garrett
Hier lag das echte Dakien
In den Bergen Rumäniens stehen noch ein Altar und die halbfertige Rekonstruktion eines Tem­pels. Trajan besiedelte seine neue Provinz mit römischen Kriegs­ veteranen – ein Vermächtnis, das sich im heutigen Namen des Landes widerspiegelt.
Foto von Kenneth Garrett

Zusammenfassung: Die Trajanssäule in Rom ist eine der bedeutendsten Monumentalskulpturen Europas . Besonders die Darstellungen auf dem Fries beschäftigen die Archäologie , Geschichte und Kunstgeschichte. Die 115 Szenen zeigen die Unterwerfung der Daker durch die Römer – darüber sind sich die Forscher einig. Ob die Szenen jedoch eine zusammenhängende Handlung erzählen und ob ein oder mehrere Künstler am Werk waren, darüber wird diskutiert. Auch die Interpretation der Szenen ist strittig. Die Säule gilt als Propagandainstrument der Römer, Grabungen in der dakischen Hauptstadt Sarmizegetus bestätigen nun jedoch auch den dokumentarischen Charakter der Darstellungen.

In zwei Kriegen zwischen 101 und 106 n. Chr. mobilisierte der römische Kaiser Trajan Zehntausende Soldaten. Er überschritt mit seinem Heer die Donau und besiegte ein mächtiges Barbarenreich in den Karpaten: Dakien wurde daraufhin dem Römischen Reich als neue Provinz einverleibt. Die Beute war atemraubend. Ein Chronist prahlte, der Kaiser habe mehrere Millionen römische Pfund Gold und Silber heimgebracht, dazu wertvolle Gefäße und Schmuck – ganz zu schweigen von der fruchtbaren neuen Provinz.

Trajans Feldzug gegen das Volk der Daker, die im heutigen Rumänien siedelten, war das prägende Ereignis seiner 19 Jahre währenden Herrschaft. Das Raubgut veränderte das Stadtbild von Rom. Um seinen Sieg zu ehren, schuf Trajan eine Anlage, die eines der eindrucksvollsten Relikte der Antike birgt. Er gab den Bau eines Forums in Auftrag, an dessen weitläufigen, von Säulen gesäumten Platz zwei Bibliothekstrakte, das Gerichts- und Amtsgebäude Basilica Ulpia und vielleicht ein Tempel lagen. Das Forum sei „ein Bauwerk ohnegleichen unter dem weiten Himmel, das man nicht mit Worten zu schildern vermag und das Menschen so nicht ein zweites Mal bauen könnten“, schwärmte ein spätantiker Historiker.

Davon sind heute zwar fast nur noch ramponierte Sockel, gesprungene Bodenplatten, zerbrochene Pfeiler und Statuen zu sehen. Das Areal ist eingezäunt und nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich. Doch mittendrin steht seit mehr als 1900 Jahren noch immer aufrecht eine der charakteristischsten Monumentalskulpturen, die den Niedergang des Römischen Reichs überdauert haben: eine 38 Meter hohe Steinsäule, die Trajanssäule.

113 n. Chr. wurde sie vollendet. Die Wahrzeichen Roms zerfielen, doch sie hielt stand und begeisterte die Menschheit über Jahrhunderte. Sie beeinflusste den Baustil späterer Monumente überall im Römischen Reich, lockte Gelehrte aus ganz Europa an. Johann Wolfgang von Goethe stieg im Jahr 1787 die 185 Stufen im Inneren hinauf, „um des unschätzbaren Anblicks zu genießen“. Künstler ließen sich in Körben von oben herab und studierten den Fries.

Vor allem dieser Fries, das Reliefband, fasziniert Forscher wie Touristen bis heute. Spiralförmig windet sich diese einzigartige Verzierung um die Säule. Eine erzählende Darstellung der dakischen Feldzüge: 155 Szenen, die marschierende, bauende, kämpfende Römer zeigen und verhandelnde, flehende, sterbende Daker. Der Fries ist wie ein moderner Comicstrip, der kunstvoll in Marmor geschlagen wurde.

Im Laufe der Jahrhunderte studierten Althistoriker die Steinschnitzereien als visuelle Geschichte der Kriege, in der Trajan der Held und der dakische König Decebalus sein ebenbürtiger Gegner war. Archäologen erforschten die Szenen, um Informationen über Uniformen, Ausrüstung, Waffen und Taktik des römischen Heeres zu gewinnen. Und weil auf der Säule auch dakische Architektur dargestellt ist, bildet sie bis heute eine wichtige Quelle für die Archäologie in Rumänien.

Die Reliefs sind zwar mittlerweile oberhalb der ersten Windungen erodiert und nur noch schwer zu erkennen, doch seit dem 16. Jahrhundert wurden sie abgezeichnet und später Gipsabgüsse von ihnen genommen. Diese Kopien bilden bis heute die Grundlage für so manchen Forscherstreit, für Debatten über Konstruktion und Bedeutung des Bauwerks – und vor allem über die historische Genauigkeit der Geschichten, die es erzählt. Manchmal scheint es, als gäbe es ebenso viele Interpretationen wie Figuren auf dem Reliefband – und das sind etwa 2600.

Filippo Coarelli, 78,italienischer Archäologe und Kunsthistoriker, hat das Standardwerk zur römischen Stadtarchäologie geschrieben. In seinem sonnendurchfluteten Wohnzimmer in Rom zieht er seine illustrierte Geschichte der Säule aus einem vollgestopften Bücherregal.
„Die Säule ist ein ganz erstaunliches Werk“, sagt er und blättert durch Schwarz-Weiß-Fotografien. Ab und zu hält er inne und bewundert besonders dramatische Szenen: „Diese dakischen Frauen, die römische Soldaten foltern, die weinenden Daker, die sich vergiften, um der Gefangenschaft zu entgehen – das ist doch wie eine Fernsehserie.“

Oder wie Trajans Memoiren. Coarelli glaubt, dass der Fries die Nachbildung einer Schriftrolle aus Papyrus ist. Als die Säule errichtet wurde, stand sie zwischen den beiden Bibliothekstrakten, in der möglicherweise die Kriegstagebücher des Soldatenkaisers aufbewahrt wurden. Auf 17 Trommeln aus feinstem Carrara-Marmor hätten Bildhauer dort unter der Aufsicht eines Maestros Trajans Kriegsbericht als himmelhoch aufragenden Bildzyklus erschaffen: „Der Künstler muss nach Trajans Willen gehandelt haben“, sagt Coarelli. „Künstler hatten zu dieser Zeit nicht die Freiheit zu tun, was sie wollten.“

Held der Geschichte ist der Kaiser. Er wurde 58-mal abgebildet – als geschickter Feldherr, vollendeter Staatsmann, frommer Herrscher. Hier redet er zu den Soldaten; dort bespricht er sich mit seinen Beratern; an anderer Stelle leitet er eine Opferzeremonie für die Götter. „Es ist der Versuch Trajans, nicht nur ein Mann des Militärs zu sein“, sagt Coarelli, „sondern auch ein Mann von Kultur.“

Natürlich ist all das spekulativ. Welche Form Trajans Memoiren auch hatten, sie sind schon seit Langem verschollen. Details auf dem Fries und die Hinweise, die uns Ausgrabungen in der dakischen Hauptstadt Sarmizegetusa geben, lassen vermuten, dass die Steinschnitzereien an der Säule eher die römische Sichtweise auf die Geschichte wiedergeben als das, was wirklich geschehen ist.

In den 1980er- und 1990er-Jahren war die Säule für Restaurierungsarbeiten eingerüstet. Das nutzte Jon Coulston, Experte für römische Ikonografie, Waffen und Ausrüstung an der Universität von St. Andrews in Schottland, dafür, das Reliefband für seine Doktorarbeit monatelang unter die Lupe zu nehmen. „Man will die Säule unbedingt als Nachrichtenmedium oder Film aus jener Zeit sehen“, sagt er. „Sie überinterpretieren das. Glauben Sie kein Wort davon!“

Coulston bezweifelt, dass ein Einzelner den Plan für den Fries entworfen hat. Leichte Unterschiede im Stil und offensichtliche Fehler – etwa Fenster, die Szenen unterbrechen, Szenen mit unterschiedlichen Höhen – wiesen darauf hin, dass die Steinmetze eher spontan arbeiteten und sich auf das verließen, was ihnen über die Kriege zu Ohren kam. „Wir haben hier kein Werk vor uns, wie es Kunsthistoriker am liebsten haben – erschaffen von einem großen Meister, einem Genie“, sagt er. „Die Reliefs wurden von einfachen Arbeitern direkt in den Stein gemeißelt, es gab kein Reißbrett in der Werkstatt.“

Der „Film“, den sie zeigen, sei eher „inspiriert von“ als „basierend auf “ wahren Ereignissen. Man betrachte nur die Gewichtung der Szenen: Weniger als ein Viertel des Frieses zeige Schlachten, Trajan selbst sei nie im Kampf zu sehen. Stattdessen bauen die Legionäre Brücken und Straßen, helfen bei der Ernte. Die Säule porträtiere die Römer als eine Kraft der Ordnung und Zivilisation, nicht der Zerstörung, sagt Coulston. Man könnte meinen, sie seien unbesiegbar, denn auf dem Reliefband ist nicht ein toter römischer Soldat verewigt.

Die Säule unterstreicht auch die gewaltige Größe des Römischen Reichs. Zu Trajans Heer gehörten afrikanische Kavalleristen mit Dreadlocks, iberische Steinschleuderer, levantinische Bogenschützen mit Spitzhelmen, Germanen mit entblößtem Oberkörper und in Hosen, was den Toga tragenden Römern exotisch vorkommen musste, denn derlei Beinkleider galten im Reich als unkultiviert. Vereint kämpften sie gegen die Daker, was nahelegt, dass jeder, egal wie wild er seine Haartracht trug oder wie ausgefallen sein Kleidungsstil war, Römer werden konnte.

Einige Szenen bleiben zweideutig. Greifen die belagerten Daker nach einem Kelch, um sich zu vergiften, ehe sie in die Hände der römischen Eroberer fallen? Oder sind sie einfach nur durstig? Und was ist mit den Frauen, die, mit lodernden Fackeln, die gefesselten Männer mit nacktem Oberkörper foltern? Die Italiener sehen in der Szene gefangene Römer, die in den Händen barbarischer Frauen leiden. Ernest Oberländer-Târnoveanu, Leiter des Nationalmuseums für die Geschichte Rumäniens, wiederum sagt: „Das sind mit Sicherheit gefangene Daker, die von wütenden Witwen gefallener römischer Soldaten gefoltert werden.“ Das, was man sieht, scheint davon abzuhängen, welches Bild man von den Römern und den Dakern hat.

Die dakische Sprache war nicht verschriftet, daher ist unser Wissen über die Daker durch römische Quellen gefiltert. So verunglimpften Politiker in Rom die Daker als betrügerischen Menschenschlag. Der Historiker Tacitus nannte sie ein „stets unzuverlässiges Volk“. Man weiß, dass sie eine Art Schutzgeld vom Römischen Reich erpressten, während sie zugleich Krieger aussandten, die dessen Grenzstädte überfielen.

Im Jahr 101 n. Chr. zog Trajan gegen die sich formierende Macht im unteren Donauraum in den Krieg – um das Gebiet im Limes-Vorfeld zu sichern, aber wohl auch, um sich als Feldherr zu beweisen. Nach fast anderthalb Jahren Kampf handelte der dakische König Decebalus einen Vertrag mit dem Kaiser aus, brach ihn aber umgehend. Bei der zweiten Invasion fackelte Trajan nicht lange. Man betrachte nur die Szenen, die die Plünderung von Sarmizegetusa zeigen oder in Flammen stehende Dörfer.

„Die Feldzüge waren schrecklich und brutal“, sagt Roberto Meneghini, der für die Ausgrabung des Trajansforums zuständige Archäologe. „Schauen Sie sich die römischen Kämpfer an, die abgeschlagene Köpfe zwischen den Zähnen halten. Krieg ist Krieg. Die römischen Legionäre hatten den Ruf, brutal und unerbittlich zu sein.“

Als die Daker besiegt waren, wurden sie zu einem beliebten Motiv für römische Bildhauer. Auf dem Trajansforum gab es Dutzende Statuen von bärtigen dakischen Kriegern, eine stolze Marmorarmee mitten im Herzen Roms. Meneghini sieht sie als Botschaft für die Römer: „Die Statuen sollten die Macht der imperialen Maschinerie zeigen, die fähig war, ein so edles und kämpferisches Volk zu besiegen.“

Trajans Säule mag ein Propagandainstrument gewesen sein, aber nicht alles auf ihr war verfälscht. Ausgrabungen an dakischen Stätten fördern bis heute neue Spuren einer wesentlich höher entwickelten Zivilisation zutage, als der verächtliche Begriff „Barbaren“ nahelegt, den die Römer für die Daker verwendeten. Sie dürften über Jahrhunderte eine starke Regionalmacht gewesen sein. Die Daker überfielen ihre Nachbarn und forderten Tribut. Sie beherrschten die Kunst des Metallhandwerks, des Bergbaus, des Eisenschmelzens und Goldwaschens, und sie stellten reich verzierte Schmuckstücke und Waffen her.

Sarmizegetusa war ihr politisches und spirituelles Zentrum. Die Ruinen der Stadt liegen hoch oben in den Bergen Zentralrumäniens. Zu Trajans Zeiten hätte die 1600 Kilometer weite Reise von Rom mindestens einen Monat gedauert. Um heute dorthin zu gelangen, müssen Besucher auf einer unbefestigten Straße voller Schlaglöcher dasselbe unwirtliche Tal durchqueren wie einst die römischen Heere.

Die turmhohen Buchen, die über Sarmizegetusa aufragen, werfen selbst an warmen Tagen einen kühlen Schatten. Eine breite, mit Natursteinplatten befestigte Straße führt von den dicken, halb verschütteten Mauern eines Kastells hinunter zu einer Wiese. Auf dieser weiten grünen Fläche, einer aus dem Berghang gehauenen Terrasse, schlug das religiöse Herz Dakiens.

Man findet dort noch heute die Überreste von Gebäuden, eine Mischung aus antiken Steinen und Betonreproduktionen, dem Vermächtnis eines gescheiterten Rekonstruktionsversuchs in der kommunistischen Ära. Auch ein Ring aus Steinsäulen steht hier. Er muss zu einem beeindruckenden Tempel gehört haben, der wohl tatsächlich halbwegs so aussah wie die runden dakischen Gebäude, die auf der Trajanssäule zu sehen sind. Daneben steht ein niedriger runder Steinaltar mit einem Sonnenstrahlenmotiv – das heilige Zentrum des dakischen Universums.

Vor sechs Jahren hat Gelu Florea, ein Archäologe von der Babeș-Bolyai-Universität in Cluj, die Leitung der Ausgrabungen an diesem Platz übernommen. Sein Team hat Hinweise auf die Römer und griechische Einflüsse in Architektur und Kunst gefunden.

Mittels Luftbildfotografie identifizierten die Forscher mehr als 260 künstlich angelegte Terrassen, die sich über fünf Kilometer entlang eines Höhenzuges erstrecken. Die Gesamtfläche der Siedlung betrug fast drei Quadratkilometer.

Es ist erstaunlich, wie kosmopolitisch sie hier oben in den Bergen waren“, sagt Florea. „Es ist die größte, repräsentativste und vielseitigste Siedlung in Dakien.“ Es gab keine Äcker, auf denen die Daker Nahrungsmittel angebaut haben könnten. Stattdessen fanden Archäologen die Überreste von Werkstätten und Schmelzöfen, Tonnen von Eisenerzbrocken und Dutzende Ambosse. Wahrscheinlich war die Stadt ein Zentrum für die Herstellung von Metall, das dann gegen Gold und Getreide getauscht wurde.

In einem haben die Schilderungen auf der Säule im fernen Rom in jedem Fall recht: Die Sieger übten bittere Rache. Die Römer zerstörten die heiligsten dakischen Tempel und Altäre. Am oberen Ende der Trajanssäule gibt es eine Momentaufnahme vom Ausgang des Krieges: ein Dorf, das in Brand gesetzt wird, fliehende Daker, zurück bleiben Kühe und Ziegen.

In den beiden Kriegen müssen Zehntausende umgekommen sein. Ein Zeitgenosse behauptete, Trajan habe 500 000 Gefangene gemacht. Viele habe er nach Rom gebracht, wo sie während der 123 Tage dauernden Siegesfeiern angeblich an Gladiatorenkämpfen teilnehmen sollten. Ein Großteil ist höchstwahrscheinlich zu römischen Soldaten gemacht worden.

Dakiens stolzer Herrscher ersparte sich die Demütigung einer Kapitulation. Auch sein Ende ist auf der Siegessäule seines Erzrivalen verewigt. Der König kniet unter einer Eiche und richtet ein langes gekrümmtes Messer auf seinen Hals. „Decebalus nahm sich das Leben, als seine Hauptstadt und sein gesamtes Territorium besetzt waren und seine Gefangenschaft drohte. Sein Kopf wurde nach Rom gebracht“, schrieb der römische Historiker Cassius Dio ein Jahrhundert später. „So wurde Dakien den Römern untertan.“

(NG, Heft 5 / 2015, Seite(n) 84 bis 107)

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