Alex Honnold ist keinesfalls furchtlos – er akzeptiert nur den Tod

„Mein Überlebenswunsch ist ebenso groß wie der anderer Leute. Ich habe mich nur damit abgefunden, dass ich irgendwann sterben werde.“

Von Simon Worrall
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:22 MEZ
Alex Honnold
Alex Honnold, der hier von einem Überhang baumelt, gilt als furchtlos. Er besteht allerdings darauf, dass er sich lediglich besser mit seiner eigenen Sterblichkeit abgefunden hat.
Foto von Jimmy Chin, National Geographic

Jedes Mal, wenn er eine seiner schwindelerregenden Klettertouren unternimmt, schlägt Alex Honnold der Erdanziehung – und dem Tod – ein Schnippchen. Wie Spiderman kann er fast vertikale Flächen hinaufklettern und arbeitet dabei ausschließlich mit seinen Händen und Füßen. Er gilt als der beste Free-Solo-Kletterer der Welt und hält zahlreiche Geschwindigkeitsrekorde, insbesondere für den El Capitan im Yosemite-Nationalpark. In letzter Zeit hat er enge Freunde durch tödliche Unfälle verloren. Er besteht darauf, kein Adrenalinjunkie zu sein. Und dennoch erklärt er in seinem neuen Buch „Allein in der Wand“ (Originaltitel: „Alone On The Wall: Alex Honnold and the Ultimate Limits of Adventure“), dass er trotz der Gefahren auch weiter die Grenzen seiner geliebten Sportart austesten wird.

Bucheinband von Allein in der Wand.
Mit freundlicher Genehmigung von W.W. Norton & Company

In einem Telefoninterview vom Haus seiner Mutter in Sacramento, Kalifornien aus erzählt er, weshalb er den Spitznamen Alex „No Big Deal“ Honnold trägt, was ein „Dirtbag“ ist, wie er mit der Angst vor dem Tod umgeht und warum er mit der Stiftung Honnold Foundation etwas an die Drittweltländer zurückgeben möchte, in denen er oft klettert.

Einer deiner Kollegen hat einmal gesagt, dass du ein so furchtloser Kletterer bist, weil du keine Angst vor dem Tod hast. Ist dem so?

Viele Leute sagen, dass ich keine Angst verspüre oder keine Angst vor dem Tod habe, aber das stimmt nicht! Mein Überlebenswunsch ist ebenso groß wie der anderer Leute. Ich möchte nicht sterben – zumindest noch nicht jetzt. [Lacht] Es ist vielmehr so, dass ich mich damit abgefunden habe, dass ich früher oder später sterben werde. Darüber bin ich mir im Klaren, aber ich möchte mich deswegen unterwegs nicht verhätscheln. Ich habe mich nun mal für eine bestimmte Lebensweise entschieden und dazu gehört eben auch, dass ich bereit bin, ein größeres Risiko einzugehen. Das ist aber okay für mich. 

Dein Yosemite Valley-Spitzname ist Alex „No Big Deal“ Honnold. Wie kam es zu diesem Namen?

[Lacht] Meine Freunde machen sich darüber lustig, dass ich in ihren Augen dazu tendiere, den Schwierigkeitsgrad meiner Unternehmungen herunterzuspielen. Meiner Meinung nach neige ich vielmehr dazu, die Dinge realistisch einzuschätzen. [Lacht] Bestimmte Sachen sind mir eben schon immer leichtgefallen. Ich habe ein Tagebuch mit allen Klettertouren, die ich seit 2005 gemacht habe. Den Eintrag über das Free-Solo am Half Dome habe ich mit einem finster dreinblickenden Gesicht versehen und ein paar Notizen darüber hinzugefügt, was ich hätte besser machen sollen, und das dann noch unterstrichen. Wie sich herausgestellt hat, war diese Tour eine meiner größten Klettererfolge. Das konnte ich direkt danach noch nicht sehen. Ich habe mich nur darüber geärgert, was ich alles hätte besser machen können.

Deine Mutter hat mal in einem Interview gesagt, dass du ein „furchtbar schwieriges Kind“ warst. Erzähl doch mal ein wenig über deine Kindheit und wie du ans Freiklettern gekommen bist.

Das Zitat meiner Mutter ist echt übertrieben! [Lacht] Meine restliche Familie würde sagen, dass ich ein wahrer Engel war. [Lacht] Ich erinnere mich aber an eine Anekdote aus meiner Kindheit. Unsere Mutter hatte mir und meiner Schwester verboten, aufs Dach zu klettern. Eines Tages haben wir es aber einfach gemacht und sind runtergesprungen. Als wir es ihr gebeichtet haben, hat sie nur gesagt: „Tja, wenn ihr schon da oben seid, könnt ihr das nächste Mal auch die Dachrinnen saubermachen“. [Lacht] Seitdem mache ich jedes Mal die Rinnen sauber, wenn ich bei meinen Eltern bin. Während wir uns hier unterhalten, bin ich übrigens auch gerade dabei. [Lacht]

Ich bin schon immer gerne geklettert, und als ich ungefähr 10 Jahre alt war, hat eine Kletterhalle in meinem Heimatort aufgemacht. Ab dem Zeitpunkt habe ich so ziemlich meine gesamte Freizeit kletternd in der Halle verbracht. Als Teenager habe ich mit kleinen Klettertouren in der Natur begonnen, aber da ich kein Auto hatte, war ich ziemlich eingeschränkt. Mit 19 Jahren habe ich die Uni geschmissen und mich sozusagen voll und ganz auf das Klettern in der freien Natur konzentriert.

Warum muss es ausgerechnet dieses waghalsige Free-Solo-Klettern sein?

[Lacht] Warum nicht – was spricht dagegen? Diese Sportart verschlägt mich immerhin an die schönsten Orte dieser Welt, wo ich einer extremen körperlichen Betätigung nachkommen kann, die mir unglaublich viel Spaß macht. Was bleibt dazu also Negatives zu sagen?

BELIEBT

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    Die Fitz-Traverse in Patagonien (Mitte) war laut Hannold sein anspruchsvollster Aufstieg, weil „hier alles an Technik und Ausrüstung gefragt ist“.
    Foto von Colin Monteath, Minden Pictures, National Geographic

    Viele Menschen sind der Meinung, dass ich ein Adrenalinjunkie sein muss. Beim Klettern wird aber nur wenig Adrenalin ausgeschüttet, weil man sich sehr langsam bewegt. Klettern ist ganz anders als beispielsweise Surfen oder Snowboarden. Das sind wirklich adrenalingeladene Sportarten, denn wenn man einmal auf seinem Board steht, geht es richtig ab. Beim Klettern hingegen bewegt man sich bewusst Zentimeter für Zentimeter diese riesigen Wände hinauf.

    Du wirst oft „Dirtbag“ genannt. Das ist nicht als Beleidigung gemeint, richtig?

    [Lacht] Es ist einfach eine Bezeichnung, die wir alle benutzen. In Kletterkreisen bedeutet der Begriff „Dirtbag“, dass man sich dem Klettersport verschrieben hat und ein minimalistisches Leben lebt, um einfach nur klettern zu können. Man ist also aus freien Stücken nicht sesshaft. [Lacht] Die meiste Zeit lebe ich in meinem Campervan. Ich habe keine feste Freundin mehr. Im Grunde versuche ich, so umweltbewusst wie möglich zu leben und meine Auswirkungen auf die Welt so gering wie möglich zu halten. Da ich aber unglaublich viel reise, trage ich schon meinen Teil zum Kohlenstoffdioxidausstoß und so bei. Das versuche ich dafür mit den restlichen Aspekten meines Lebens auszugleichen. Ich besitze nicht viel. Ich gebe mein Geld nur für Essen und Benzin aus. Ich bin Vegetarier. Ich trinke keinen Alkohol, rauche nicht oder nehme andere Drogen. Das liegt aber eher daran, dass ich das nicht mag.

    Alex Honnold, oben, hat sich mit seinen todesmutigen Klettertouren zu einer Mediensensation entwickelt. Ein Drittel seines Einkommens kommt der Honnold Foundation zugute, die Umweltprojekte in unterversorgten Regionen der Welt unterstützt.
    Foto von Jimmy Chin

    In deinem Buch kann man die Geschichte über sieben Klettertouren nachlesen, die du bestritten hast. Welche davon war die größte Herausforderung, und weshalb?

    Die Fitz-Traverse in Patagonien war die schwierigste Klettertour, weil hier wirklich alles an Technik und Ausrüstung gefragt ist. Wir haben allein einen ganzen Tag gebraucht, um in die Berge hoch zu wandern, und anschließend fünf Tage für das Klettern. Wir sprechen hier vom kompletten Gegenteil zum Free-Solo, bei dem man in Shorts und T-Shirt und mit seinem Kreidebeutel einfach loslegt und nur mit den Händen und Füßen arbeitet. Für die Fitz-Traverse benötigt man viel Ausrüstung wie Eisäxte und Steigeisen. Mein Kletterpartner Tommy Caldwell und ich sind den Großteil der Fitz-Traverse frei geklettert. Die Schwierigkeit bestand darin, richtig einzuschätzen, wann man frei klettern kann und wann man Ausrüstung einsetzen sollte. Wir mussten da oben auch schlafen. Wenn die Nacht einbrach, haben wir nach einem Felsvorsprung Ausschau gehalten und uns eine kleine Schneeplattform gegraben.

    Du hast kürzlich zusammen mit deinem Kletterpartner einen Rekord beim Erklimmen des El Capitan in Yosemite aufgestellt. Erklär uns doch mal, wie das abläuft.

    Ich halte vielleicht zehn oder zwölf Geschwindigkeitsrekorde auf verschiedenen Kletterrouten am El Capitan. Das schafft man, indem man die Bergwand schneller als andere hochklettert. Das ist nicht sonderlich schwierig. Viele der Geschwindigkeitsrekorde kommen gar nicht dadurch zustande, dass ich schneller klettere, sondern durch meinen Kletterstil. Man bewegt sich einfach effizienter und schafft die Übergänge besser. Für die meisten Routen am El Capitan benötigt man eine Mischung aus etwas freiem Klettern und dem Einsatz von Ausrüstung. Der Schlüssel zum Erfolg ist zu wissen, wann man wechseln sollte.

    Der wichtigste Geschwindigkeitsrekord ist aktuell „The Nose“. Diese Kletterroute habe ich mit einem anderen Kletterpartner namens Hans Warring bestritten. The Nose ist eine zentral gelegene Kletterroute am El Capitan, die etwas wie eine menschliche Nase aussieht. Selbst Nichtkletterer kommen ins Schwärmen und Staunen, wenn sie diese Wand sehen! Hauptsächlich klettert man auf der einen Seite empor und wechselt dann mit einem Manöver namens King Swing auf die andere Seite. Man pendelt quasi von einer Seite der The-Nose-Kletterroute zur anderen.

    „El Cap“ im Yosemite-Nationalpark ist eine beliebte Herausforderung für Free-Solo-Kletterer wie Honnold, der diese fast vertikale Felswand in weniger als zweieinhalb Stunden erklommen hat.
    Foto von Sean Gallup, National Geographic

    Wie lange habt ihr für diese Klettertour benötigt?

    Wir haben zwei Stunden und dreiundzwanzig Minuten gebraucht. Das sind rund 6 Meter pro Minute.

    In den vergangenen zwei Jahren hast du zwei Freunde verloren – Sean Leary und Dean Potter. Inwieweit haben dich diese Verluste beeinflusst – sowohl persönlich als auch im Hinblick auf das Klettern? Bist du weiterhin bereit, am Limit zu klettern?

    Der Tod meiner Freunde hat mich eine Zeitlang etwas innehalten lassen. Man verbringt einige Tage damit, über alles nachzudenken. Man bewertet sein Leben und sinniert über die großen Entscheidungen nach. Im Endeffekt habe ich mich aber schon lange mit diesen Fragen auseinandergesetzt und meinen Frieden damit gefunden. Der Umstand, dass jemand einen Unfall hat, ändert nichts an den fundamentalen Entscheidungen, die ich bereits getroffen habe. Trotzdem ist es sinnvoll, von Zeit zu Zeit über diese Entscheidungen nachzudenken und zu sehen, wo man sich in seinem Leben gerade befindet.

    Wie gehst du mit Angst um, Alex?

    Interessante Frage. Wenn etwas wirklich furchterregend ist, mache ich es meistens einfach nicht. Da besteht ja kein Zwang. Mich treibt nur meine eigene Motivation und Genugtuung an. Wenn mich eine Route einschüchtert, dann bereite ich mich entweder länger vor oder ich klettere sie nicht. Ich habe auch schon in 60 Meter Höhe gehangen und mich gefragt, was ich da gerade eigentlich tue. Dann bin ich einfach wieder runtergeklettert und heimgefahren. Vorsicht ist eben besser als Nachsicht. Niemand ist jeden Tag in Topform. Darum dreht es sich auch beim Free-Solo – zu wissen, wann man aufhören sollte.

    Dean Potter, hier in Yosemite, war ein weiterer junger Free-Solo-Kletterer, der für Schlagzeilen gesorgt hat. Er verstarb im Mai 2015 beim Base-Jumping vom Taft Point im Yosemite Valley.
    Foto von Jimmy Chin, National Geographic

    Du hast kürzlich die Honnold Foundation ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?

    Die Stiftung habe ich gegründet, weil meine Schwester die wohl sozialste Person dieser Erde ist. Sie war schon immer eine persönliche Inspiration für mich, wenn es um bewusstes Leben und gute Entscheidungen ging. Sie lebt in Portland, Oregon, und ist sozial sehr engagiert. Zum Beispiel arbeitet sie in einem Fahrrad-Club, wo benachteiligte Kinder kostenlos ein Fahrrad bekommen, nachdem sie die Straßenverkehrsregeln gelernt und das Fahrrad selbst zusammengebaut haben. Sie verdient allerdings kaum etwas. Das scheint aber auch leider so üblich zu sein.

    Da ich inzwischen etwas berühmter bin, bietet sich mir die Gelegenheit, TV-Werbespots zu machen. Ich habe kürzlich an einem Auto-Werbespot mitgewirkt und dabei in zwei Tagen mehr verdient als meine Schwester in fünf Jahren. Das ist doch verrückt! Und mit Sicherheit nicht gerecht. Die ganze Idee war also, diese Ungerechtigkeit auszugleichen, die zwischen der Sport-/Entertainmentbranche und nützlicher, sozialer Arbeit besteht. Ich reise oft an abgelegene Orte, von denen sich viele in Drittweltländern befinden. Also wollte ich etwas tun, das gut für die Umwelt und die Menschen ist, die dort leben. Das Ganze hat mich letztendlich auf Energieprojekte gebracht, die mit Netzunabhängigkeit und Solarenergie zu tun haben.

    In Afrika geben die Menschen bis zu 25 Prozent ihres Einkommens für Petroleum aus, um Licht in ihren Häusern zu erzeugen. Dabei ist es krebserregend und einfach nur schlecht für ihre Gesundheit. Wenn sie sich eine Solarlampe oder ein sehr simples Batteriesystem leisten können, kann sich das Leben dieser Menschen entscheidend verändern. Ich habe mich also auf Umweltprojekte dieser Art fokussiert, die helfen, den Lebensstandard der Menschen anzuheben, und gleichzeitig gut für die Umwelt sind.

    Kürzlich war ich in Angola, wo ich an einem netzunabhängigen Energieprojekt mitgewirkt habe, das unser aller Erwartung übertroffen hat. Ich kann es daher kaum abwarten, weiterzumachen. Bisher habe ich noch nie Spenden gesammelt. Ich spende aber ein Drittel meines Einkommens. In Zukunft werde ich vielleicht versuchen, meine Beziehungen zu bestimmten Marken wirksam dafür einzusetzen, mehr Geld für die Stiftung aufzubringen.

    Von seinen Klettergenossen wird er „No Big Deal Honnold“ genannt, weil er seine Leistungen stets herunterspielt – wie auch sein Free-Solo den Half Dome in Yosemite hinauf.
    Foto von Jimmy Chin, National Geographic

    Philosophen haben in höher gelegenen Orten schon oft zu Gott gefunden. Ist es dir damit ähnlich gegangen?

    Nein, definitiv nicht. [Lacht] Ich bin da eher atheistisch veranlagt. Vermutlich habe ich aber ähnliche Emotionen erlebt, die die Menschen mit Spiritualität in Verbindung bringen: das Gefühl, eins mit der Welt zu sein, und das Gefühl von Ehrfurcht und Staunen und von unserer Nichtigkeit. Gläubige Menschen mögen damit eine Art höhere Macht oder Gott verbinden, ich schreibe das hingegen der Schönheit der Natur und meiner Liebe, im Freien zu sein, zu.

    Simon Worrall auf Twitter folgen. 

    Artikel in englischer Sprache veröffentlicht am 3. Januar 2016

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