Nächster Halt: Weltreise

Die Linie 7 der New Yorker U-Bahn bringt ihre Fahrgäste durch die multikulturellste Stadt Amerikas. Wer einsteigt, besucht die verschiedensten Ländern – von Italien bis Indien.

Von Bruce Northam
bilder von Julius Schrank
Veröffentlicht am 15. Jan. 2018, 09:41 MEZ
U-Bahn in New York
Drei Bahnen fahren durch die Station Queensboro Plaza mit der Skyline Manhattans im Hintergrund.
Foto von Julius Schrank, NG Buchverlag

Die Dame im dunkelblauen Kostüm wirft mir einen verärgerten Blick zu, als sie sich an mir vorbeischiebt. Wir sind in der U-Bahn-Station an der 34. Straße in Manhattan, und sie ist offenbar spät dran auf dem Weg zur Arbeit. Ich habe hingegen alle Zeit der Welt und setze mich entspannt auf eine der gelben Plastikbänke des Zuges; bereit für eine Grand Tour um den Globus, für die ich weder mein Konto plündern noch nach meinem Reisepass suchen musste. Schon wenige Minuten später werde ich mit der Linie 7 der New Yorker Subway ohne Anstrengung und Jetlag ganz verschiedene Länder der Erde besuchen – Italien und Irland ebenso erkunden wie Mexiko und Kolumbien, China, Tibet, Indien und Bangladesch.

Keine andere U-Bahn der Welt bietet dieses Er
lebnis. Der Bau der Linie 7 von Manhattan nach 
Flushing im Bezirk Queens begann im Jahr 1914. Den Spitznamen „Internationaler Express“ bekam sie, weil sie das wichtigste öffentliche Transportmittel zur Weltausstellung 1964 und 1965 war, auf der sich damals 80 Länder vorstellten. Heute passt die Bezeichnung besser denn je. Auf der berühmten Strecke rattern die silbernen Waggons in Richtung Osten zunächst unter Manhattan und dem East River hindurch. Am anderen Ufer kommen sie in Queens ans Tageslicht und fahren als Hochbahn weiter durch den multikulturellsten Bezirk von ganz Amerika. Jeder Halt zeigt einen anderen Aspekt seiner unglaublichen Völkervielfalt, und sie alle sind ein Beleg dafür, wie Menschen ganz unterschiedlicher Kulturen friedlich zusammenleben können.

New York ist laut. Der größte Lärm herrscht in der Midtown von Manhattan. Das Viertel ist der Motor, der die Metropole antreibt. Mit der „7“, der himbeerfarbenen Linie auf dem Streckenplan der Stadt, landen die Fahrgäste mitten im Trubel, bei berühmten Sehenswürdigkeiten wie dem Bahnhof Grand Central, dem Empire State Building, der Fifth Avenue und dem Times Square, wo die Stadt tatsächlich niemals schläft. Vor 25 Jahren gehörte die grellbunte Straßenkreuzung leicht bekleideten Prostituierten, ihren Zuhältern und anderen zwielichtigen Gestalten. Heute wirkt sie wie eine Zweigstelle von Disney World. So bunt die Kostüme hier, so ähnlich sind sich die Menschen in der Midtown. Die meisten, Pendler wie Straßenkünstler, sind weiße Amerikaner. 

Auf dem Times Square erinnert ein keltisches Kreuz an den irischstämmigen Kaplan Francis Duffy.
Foto von Julius Schrank, NG Buchverlag

Meine Weltreise soll mich zunächst nach Long Island City führen. Von Manhattan aus ragt dieser westlichste Teil von Queens wie eine Mauer aus Wohnblöcken am Ufer des East River auf. Was verbirgt sich dahinter? Ich steige an der Haltestelle Vernon Boulevard-Jackson Avenue aus – und lerne einen kleinstädtisch wirkenden Stadtteil kennen, in dem es deutlich gemächlicher zugeht als in Manhattan. Früher wohnten hier vor allem italienische Einwanderer und auch viele Mafiosi, wie es heißt. Doch diese Zeiten sind längst vorbei.

Die Linie 7 rattert auf einem Betonviadukt weiter. In seinem Schatten steht seit 1928 das New Thompson Diner, ein Restaurant in einem umgebauten Waggon, der anfangs ein italienisches Restaurant beherbergte und heute für seine klassische südamerikanische Küche bekannt ist. Für viele Gäste ist er ein Stück Heimat. Sie trinken hier ihr cerveza, schauen Soaps aus der Heimat und natürlich Fußball. Nicht weit entfernt kommen im Thalia Hispanic Theatre neben Konzerten und Tanzshows auch Theaterstücke auf Spanisch auf die Bühne. Das ehemalige Stadtteiltheater hat sich zu einem kulturellen Zentrum von Weltrang entwickelt, in dem Künstler aus Spanien, Uruguay, Indien, Deutschland, Israel, Mexiko, Peru und Kolumbien auftreten.

Von der Haltestelle an der 61. Straße aus schlendere ich nach Süden – und finde mich bald in einem asiatischen Kosmos wieder. Chinesische Kosmetiker bieten ihre Dienste an, einige Männer von anderer Herkunft tragen Turbane, vor allem aber leben in diesem Teil von Woodside entlang der Roosevelt Avenue (zwischen der 63. und der 71. Straße) etwa 15 000 Filipinos. „Klein-Manila“ heißt die Gegend, in der sich Schönheitssalons und Fahrschulen, asiatische Kosmetik- und Nagelstudios, Boutiquen sowie eine Jollibee-Filiale reihen. Jollibee ist das philippinische Gegenstück zu McDonald’s, und neben Burgern gibt es Nudelgerichte und knusprige Hühnerbeine, die sie – kaum zu glauben – „Chicken Joy“ nennen. 

BELIEBT

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    Eine Zeremonie der United Sherpa Association in Elmhurst.
    Foto von Julius Schrank, NG Buchverlag

    Etwas weiter erlebe ich in der 74. Straße (zwischen der Roosevelt Avenue und der 37. Avenue) eine Miniausgabe von Indien. Sollten Bollywood-Produzenten in New York eine Filmkulisse suchen – hier würden sie fündig. Ein intensiver Geruch steigt mir in die Nase, als ich den riesigen südasiatischen Supermarkt betrete, in dem Gewürze in allen Farbnuancen und mit den unterschiedlichsten Düften angeboten werden. Ich gehe von Tonne zu Tonne und bekomme nicht genug. Im India Taj, einem Diner ganz in der Nähe, fülle ich meinen Teller etwas später mit Ziegencurry, zum Nachtisch kaufe ich in einem der Süßwarengeschäfte toffeeähnliches Mandel-Barfi. Aus den Souvenirläden tönt Bhangra-Musik aus Punjab, an Ständen gibt es alle nur vorstellbaren Waren aus Indien, von Saris über Tee bis zu kleinen Götterstatuen.

    Überwältigt von Gerüchen und Geräuschen finde 
ich nahebei einen Ort der inneren Einkehr. An der
 75. Straße im Stadtteil Elmhurst unterhält die United Sherpa Association eine Mischung aus buddhistischem Tempel und Gemeindezentrum. Seit dem Tibetaufstand 1959 leben viele tibetanische Buddhisten aus dem Himalaja in Exilgemeinschaften, nicht wenige in New York. Die nepalesische Volksgruppe der Sherpas bietet hier Yoga-, Tanz- und Meditationskurse an. Ich trete in eine andere, friedliche Welt – und atme tief durch. Erst jetzt merke ich: So eine Weltreise ist anstrengender als gedacht.

    Dieser Artikel wurde gekürzt und bearbeitet. Die ganze Geschichte steht in der Ausgabe 4/2017 des National Geographic Travelers. Jetzt ein Magazin-Abo abschließen!

    Im Bildband "NYC7" stellen der Autor Bruce Northam und der Fotograf Julius Schrank die New Yorker U-Bahn-Linie 7 vor. Mehr Informationen dazu gibt es hier.

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